Ein Porträt einer Frau mit vielen Leben – jetzt ist sie plötzlich verschwunden.
Alice Guo war vieles. Zum Beispiel eine aufstrebende Politikerin. 2022 wurde sie zur ersten Bürgermeisterin von Bamban gewählt, einer Stadt mit knapp 80 000 Einwohnern im Norden der Philippinen, nördlich von Quezon City. Offenbar machte die Mittdreissigerin ihre Aufgabe so gut, dass das Innendepartement ihr 2023 eine Auszeichnung für gute Lokalpolitik verlieh. Auf Facebook folgen Guo über 100 000 Fans, die ihre «Mayora» wie ein Star anbeten, Videos und Selfies mit ihr posten, Liebesbekundungen. «Du bist der beste Bürgermeister, den Bamban je hatte», schreibt ihr etwa ein Nutzer namens John Calilao.
Als Online-Spielhöllen getarnte Betrugszentren
Bevor Guo in die Politik einstieg, war sie Unternehmerin – und offenbar eine erfolgreiche. Sie stellte ihren luxuriösen Lebensstil gern zur Schau, fuhr einen McLaren, trug Louis Vuitton und Chanel. Im Frühjahr haben Ermittlungen der nationalen Geldwäscherei-Behörde aufgedeckt, dass ihre Weste wohl nicht ganz weiss sein dürfte. Die Vorwürfe sind happig. Guo soll in zwei als Online-Spielhöllen getarnte Betrugszentren verstrickt sein, mit chinesischen Firmennamen. Bei Razzien auf dem Grundstück in Bamban, das Guo gehörte und wo die zwei Betrugszentren standen, fanden die Ermittler auch Hinweise auf Menschenhandel.
Solche Zentren gibt es auf den Philippinen viele. Diese Firmen bieten Online-Glücksspiele an, bei denen hauptsächlich Kunden aus dem Ausland spielen – wie zum Beispiel aus China, wo Glücksspiele und Wetten verboten sind. Die Philippinen haben diese Art von Firmen zugelassen und reguliert, um Steuereinnahmen zu generieren. Doch nun sollen sie strenger reguliert werden. Denn in den letzten Jahren kam ans Licht, dass viele der chinesischen Arbeiter in diesen Zentren entführt und zur Arbeit gezwungen worden waren. Oft waren solche Firmen auch in Steuerhinterziehung und Geldwäsche verwickelt. Zudem sollen viele der Zentren ihre Kunden mit üblen Tricks und Manipulation um ihr Erspartes gebracht haben.
Geburtsurkunde gekauft
Jüngst spitzten sich die Ereignisse um Alice Guo zu. Im Juni wurde Guo wegen der laufenden Ermittlungen gegen sie temporär des Amts enthoben. Am Montag blieb sie zum dritten Mal einer obligatorischen Anhörung vor dem Senat fern, nachdem ihr dort vorgeworfen wurde, eine chinesische Spionin zu sein und gar keine philippinische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Der oberste Gerichtshof sprach vergangene Woche einen Haftbefehl auf sie aus, doch die Polizei suchte vergeblich nach ihr. Alice Guo ist abgetaucht.
Wer ist diese Frau wirklich?
Ihr Hintergrund ist diffus. Guo sagt, sie sei in den Philippinen als Tochter eines chinesischen Einwanderers und einer philippinischen Hausangestellten als uneheliche Tochter auf die Welt gekommen und auf einer Schweinefarm aufgewachsen. Doch die Ermittlungen der Behörden erzählen eine andere Geschichte: Alice Guo heisst eigentlich Guo Huaping und ist zusammen mit ihren Eltern aus der chinesischen Provinz Fujian eingewandert, als sie ein Teenager war. Dass sie damals vorwiegend Chinesisch sprach, bezeugen auch ehemalige Mitschülerinnen einer Schule für chinesische Einwanderer, die sie damals besuchte.
Die Geburtsurkunde, die sie als Filipina ausweist, ist zwar amtlich – aber offenbar unter Bestechung einer lokalen Behörde ausgestellt worden. Denn sie datiert auf das Jahr 2005, als Guo bereits über 15 Jahre alt war, zudem gibt es zur angeblichen philippinischen Mutter keinerlei amtliche Registrierung. Die Frau existiert wohl gar nicht.
Kontakte zu Ferdinand Marcos
Offenbar ist Guo Huaping eine Betrügerin, der es gelungen ist, das ganze Land zum Narren zu halten. Als die Behörden ihre Vermögenswerte einfroren, kamen nicht nur über dreissig Bankkonten zum Vorschein, sondern auch zwölf Immobilien, ein Dutzend Luxusautos und ein Helikopter. Jetzt ist ihr Höhenflug wohl zu Ende. Die Staatsanwaltschaft will ihre Geburtsurkunde nun für ungültig erklären lassen. Als Bürgermeisterin wird sie wohl nie mehr dienen – das ist nur Personen philippinischer Staatsangehörigkeit erlaubt.
Die Alice-Guo-Affäre zieht seit Wochen die Öffentlichkeit auf den Philippinen in den Bann. So beliebt Guo einst war, so verhasst scheint sie nun. Die Geschichte wirft kein gutes Licht auf den philippinischen Staat. Offenbar sind lokale Zivilbeamte zutiefst korrupt und die organisierte Kriminalität chinesischer Einwanderer hat sich tief ins System gefressen. Es zirkulieren auch Bilder von Guo mit dem philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos.
Guo hat mit mutmasslich illegal erworbenen Geldern ihre eigene Wahlkampagne finanziert und es so geschafft, die Wähler zu täuschen. Der Bürgermeisterposten und ihr Geld haben es ihr wohl auch ermöglicht, dass die Betrugszentren lange von Polizei und Behörden gedeckt wurden. Im Laufe der Ermittlungen haben die nationalen Behörden 40 Polizisten aus Bamban zwangsversetzt.
Für den Vorwurf einer Spionagetätigkeit für den chinesischen Staat fehlen jedoch Beweise. Er ist viel eher auf die angespannten Beziehungen zwischen den Philippinen und China zurückzuführen. Die beiden Länder kamen sich in den letzten Wochen im Südchinesischen Meer, das China zum Grossteil für sich beansprucht, öfter in die Quere. Erst am Sonntag trafen die beiden Länder aber eine vorläufige Vereinbarung über ein umstrittenes Riff.
Alice Guo – oder Guo Huaping – bleibt verschwunden. Ihr Facebook-Profil ist mittlerweile gelöscht.