In einer Zeit grosser Verunsicherung findet in Washington ein Gipfeltreffen statt. Das Direktorium der Nationalbank glänzt durch Abwesenheit – aus schwer nachvollziehbaren Gründen.
Die weltwirtschaftlichen Aussichten haben sich in den vergangenen Wochen stark eingetrübt. Die von Donald Trump bereits umgesetzten – oder erst angedrohten – Zölle führen rund um den Globus zu grosser Verunsicherung, sei es an den Finanzmärkten oder bei den Exporteuren. Dennoch, das schlimmste Szenario, nämlich eine globale Rezession, dürfte der Weltwirtschaft erspart bleiben. Davon zeigt sich zumindest der Internationale Währungsfonds (IWF) überzeugt.
Zwei Bundesräte, kein Notenbankchef
Der IWF werde kommende Woche seine Wachstumsprognosen zwar deutlich nach unten korrigieren, aber keine globale Rezession vorhersagen, sagt Kristalina Georgiewa. Die IWF-Chefin machte ihre Ankündigung im Vorfeld der diesjährigen Frühjahrstagung des Währungsfonds und der Weltbank, die nächste Woche in Washington stattfinden wird. Während der Tagung wird auch ein Treffen der G-20-Finanzminister und der Notenbankgouverneure stattfinden.
Selten an einem Frühjahrstreffen der sogenannten Bretton-Woods-Institutionen war der Gesprächs- und Koordinationsbedarf grösser als dieses Jahr. So steht das Handelssystem vor einem Neustart, wie es Georgiewa ausdrückt. Dies hat weitreichende Folgen auch für die Finanz- und Währungspolitik. Die Schweizer Regierung wird daher gleich doppelt am Anlass vertreten sein, und zwar mit Finanzministerin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin.
Umso irritierender wirkt es, dass der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Martin Schlegel, nicht nach Washington reisen wird. Damit bricht er mit einer jahrzehntelangen Tradition der Nationalbank. Auch die beiden übrigen Vertreter des dreiköpfigen SNB-Direktoriums bleiben in der Schweiz. Die SNB wird lediglich ein stellvertretendes Mitglied des Direktoriums an das Treffen schicken. Es handelt sich um Rosmarie Schlup, sie arbeitet erst seit September 2024 bei der SNB.
Fragwürdige Prioritätensetzung
Wie wird die Abwesenheit der obersten Leitung begründet? Bei der SNB verweist man auf Anfrage auf eine Terminkollision. So finde am kommenden Freitag im Berner Kursaal die Generalversammlung der SNB statt – und da dürfe Schlegel nicht fehlen. Abgesehen davon, dass diese Termine lange im Voraus fixiert werden, lässt die Begründung offen, warum das gesamte dreiköpfige Direktorium in Bern anwesend sein muss. Denn von den dreien hält an der GV nur Schlegel eine Rede.
Die Prioritätensetzung der SNB erscheint im gegenwärtigen Umfeld als fragwürdig. Zwar werden an der Washingtoner Frühjahrstagung keine formellen Beschlüsse gefasst. Der Anlass hat jedoch weit mehr als nur repräsentativen Charakter und wird von den Delegationen vor allem für bilaterale Treffen genutzt und geschätzt. Auch wenn diese Treffen zu keinen konkreten Beschlüssen führen, ist es doch wichtig, Präsenz zu zeigen. Dies umso mehr, als der neue SNB-Präsident erst seit Oktober 2024 im Amt ist.
Wichtig wäre im derzeitigen Kontext auch, im Ausland das Verständnis für Schweizer Besonderheiten zu schärfen. Dies etwa mit Blick auf den in den USA latent vorhandenen Vorwurf, die SNB manipuliere mit ihren Deviseninterventionen die Währung. Hier klarzumachen, dass solche Interventionen in Zeiten hohen Aufwertungsdrucks nötig sein können, um für Preisstabilität zu sorgen, ist in den vergangenen Wochen wieder dringlicher geworden. So hat der Franken deutlich an Wert zugelegt.
Erstaunliche Gelassenheit
Doch offenbar ist der SNB die lückenlose Präsenz ihres Direktoriums vor den Aktionären wichtiger. Man kann dies als Zeichen erstaunlicher Gelassenheit interpretieren – oder als Versuch, sich international nicht zu exponieren. Was auch immer zutreffend sein mag: Die Verwerfungen an den globalen Finanz- und Devisenmärkten, über die man nächste Woche in den USA auf höchster Ebene diskutieren wird, sind auch für die Geldpolitik der Nationalbank von herausragender Bedeutung.
Das verdeutlichen die Aussagen der IWF-Chefin Georgiewa. Sie sagt: «Um aus dem ‹Zauberer von Oz› zu zitieren: Wir sind nicht mehr in Kansas.» Besondere Sorgen machen ihr die Entwicklungen am Markt für amerikanische Staatsanleihen. Trotz erhöhter Unsicherheit habe der Dollar an Wert verloren, und die Renditekurven nähmen die Form eines Lächelns an. «Es ist nicht die Art von Lächeln, die man sehen möchte», sagt sie. Solche Marktbewegungen seien als Warnung zu verstehen.
Eine Warnung deshalb, weil die Dollarschwäche eine wachsende Skepsis gegenüber der Leitwährung spiegelt. Im Vergleich zu früheren Krisen scheint der Dollar nicht mehr so sehr als «sicherer Hafen» betrachtet zu werden. Ob das so bleibt, ist offen. Für den Franken verhiesse es aber nichts Gutes, wenn er noch mehr Kapital anziehen und aufwerten würde. Das wäre für die Schweiz fast noch einschneidender als die Abwesenheit eines SNB-Direktoriumsmitglieds bei der ordentlichen GV.