Die Kommunistische Partei Chinas feiert einen Konsul für seine Infiltrierung der tibetischen Gemeinschaft in der Schweiz. Das ist nicht der einzige brisante Fund eines Forschungsberichts für den Bundesrat.
Vier Jahre alt ist die Forderung des Parlaments an den Bundesrat, Chinas Repression der Tibeter in der Schweiz zu untersuchen. Fast ein Jahr alt ist ein entsprechender Untersuchungsbericht, ergänzt um die Situation der Uiguren, den der Bundesrat bei der Universität Basel beauftragt hatte. Nachdem laut dem «Tages-Anzeiger» vor allem Aussenminister Ignazio Cassis und Wirtschaftsminister Guy Parmelin gebremst hatten, hat der Bundesrat nun am Mittwoch beide Berichte veröffentlicht. Sie zeigen: China drangsaliert Tibeter und Uiguren in der Schweiz offensichtlich so, wie es das kommunistische Regime weltweit tut.
Wörtlich heisst es im Basler Bericht, es könne «mit einer hohen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass tibetische und uigurische Gemeinschaftsmitglieder in der Schweiz systematisch von Akteuren der [Volksrepublik] China überwacht, bedroht und kooptiert werden». Kooptiert bezeichnet das Anwerben durch chinesische Behörden.
Einige Personen würden «unter mildem Zwang» zur Rückkehr nach China bewegt. Flüchtlinge würden ausspioniert. Akteure offizieller chinesischer Vertretungen – gemeint sind offenbar Konsulate und womöglich die Botschaft in Bern – begingen bei politischen Kundgebungen «leichte physische Gewaltanwendung» gegenüber Tibetern.
Verdächtige Person arbeitet für Schweizer Behörde
China werbe in der Schweiz lebende Tibeter und Uiguren an, damit diese andere Mitglieder der Exilgemeinden ausspionierten, glauben laut dem Forschungsbericht viele Betroffene. Insbesondere in der relativ grossen tibetischen Gemeinde würden oft dieselben Personen der Spionage verdächtigt, vor allem solche aus der tibetischen Elite, mit Familie in der Heimat, auf welche der Parteistaat Druck ausüben könne.
Brisant ist, dass auch Tibeter der Spionage verdächtigt werden, die mit Schweizer Behörden zusammenarbeiten. So verweist der Forschungsbericht auf eine Person, die seit Jahren eine «Aufgabe bei den Bundesbehörden in Bern wahrnehme», an einer für Tibeter «bedeutsamen Stelle» – offenbar geht es um Visa.
Über diese Person, heisst es sinngemäss im Forschungsbericht, könne China laut den Interviewten Insider-Informationen zur tibetischen Gemeinschaft in der Schweiz erhalten. Zudem sei die verdächtigte Person von mehreren Leuten mehrfach mit Mitarbeitern eines chinesischen Konsulats gesehen worden. Die betroffene Behörde sei laut den Befragten bereits 2016 auf den Verdacht aufmerksam gemacht worden, habe aber nicht geantwortet.
China bestätigt Infiltrierung offiziell
Der stärkste Beleg für Chinas Infiltrierung in der Schweiz – und für Chinas Schamlosigkeit – ist ein offizielles Dokument des Parteistaats. Die Basler Forscher zitieren aus einem öffentlich zugänglichen Bericht, den ein Departement der Kommunistischen Partei in einer chinesischen Stadt erstellte. Darin wird beschrieben, wie ein Beamter, der beim eidgenössischen Aussendepartement als Konsul in der Schweiz registriert war, erfolgreich die hiesige tibetische Gemeinschaft infiltrieren liess. Der Parteibericht lobt die «effektive Arbeit» des Beamten, der «die Tür für die Arbeit mit den Auslandtibetern in Europa» geöffnet und «eine solide Grundlage für die künftige Arbeit» gelegt habe.
Wie geht der Bundesrat mit diesen brisanten Informationen um, die offenbar manchen Minister aus Sorge um die Wirtschaftsbeziehungen verschreckten? Letztlich ziemlich transparent. Der federführende Autor der Basler Studie, der China-Experte Ralph Weber, bestätigt auf Anfrage, dass niemand Externes «an unserem Bericht herumgeschrieben hat» und er sich nicht in seiner akademischen Freiheit eingeschränkt gefühlt habe. Weber bescheinigt zudem dem Bericht des Bundesrats, der die Basler Forschungsergebnisse ausführlich zitiert, eine «klare Sprache».
So konstatiert der Bundesrat etwa, dass «sich exponierende» Tibeter und Uiguren offensichtlich systematisch beobachtet und fotografiert würden. Derartige «Belästigungen» durch China schüfen ein «Klima der Angst» und könnten die betroffenen Tibeter und Uiguren in ihren Grundrechten einschränken.
Zugleich betont der Bundesrat, dass Chinas repressive Aktivitäten in der Schweiz «zuweilen» keine Straftaten seien oder sie nicht ausreichten für eine «staatliche Intervention». Dazu kommt, dass dem Schweizer Geheimdienst weitgehend die Hände gebunden zu sein scheinen.
Schweizer Geheimdienst fehlt Rechtsgrundlage
Der Nachrichtendienst des Bundes könne sich wegen fehlender Rechtsgrundlagen nur dann mit Chinas Einflussnahme in der Schweiz befassen, wenn er über Beweise für eine Beteiligung chinesischer Geheimdienste verfüge, schreibt der Bundesrat. Doch es sei schwierig nachzuweisen, dass «beispielsweise ein als Journalist getarnter chinesischer Geheimdienstmitarbeiter die Teilnehmenden einer Tibet-Kundgebung nicht für sein chinesisches Magazin, sondern im Auftrag des Geheimdienstes fotografiert».
Was also tun? Hier bleibt der Bundesrat zurückhaltend. Er könnte zum Beispiel Chinas Botschafter einbestellen, nennt aber nichts dergleichen. Stattdessen werde die «transnationale Repression im Rahmen des Menschenrechtsdialogs mit den betroffenen Staaten thematisiert» – auch Russland und Iran werden in diesem Zusammenhang genannt.
Noch vager äussert sich der Bundesrat zu Massnahmen, die er prüfen lassen wolle, etwa die «Klärung der Zuständigkeiten, Vorgehensweise und Kommunikationswege und Wirkungsanalyse aktuell bestehender Instrumente und Mittel». Kurzum: Es gäbe viel zu tun.
Die grosse Frage ist nun, ob der Bundesrat den politischen Willen dazu hat. Wirtschaftsminister Parmelin hat im September die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit China begonnen. China selbst will dieses Jahr gern mit der Schweiz ein Jahr des Tourismus und der Kultur feiern. Schliesslich hat die Eidgenossenschaft vor 75 Jahren Maos Volksrepublik offiziell anerkannt, als eines der ersten westlichen Länder.