Ursula Koch sagte in den neunziger Jahren: «Zürich ist gebaut.» Doch unter Odermatt ist die Stadt gewachsen wie kaum je zuvor.
Am Ende seiner letzten Amtszeit wird André Odermatt 16 Jahre lang das Hochbaudepartement geführt haben. Seit Edwin Frech (SP), der das Amt von 1966 bis 1982 bekleidete, hat kein Stadtratsmitglied über eine so lange Zeit das Baugeschehen in Zürich geprägt. Odermatt überholt mit seinen vier Amtsperioden sogar Ursula Koch (SP) mit deren drei.
Koch ist dank ihrer «Zürich ist gebaut»-Aussage bis heute als eine Art Schreckgespenst in Erinnerung geblieben bei all jenen, die in der Stadt bauen wollen.
Bei André Odermatt wird das anders sein. Markige Zitate und politisches Gepolter sind nicht sein Metier. Im Gegenteil. Der SP-Mann wird eher als der Stadtrat mit dem netten Lächeln in den Köpfen der Zürcherinnen und Zürcher bleiben.
Der unauffällige Strippenzieher
Doch Odermatt hat die Geschicke der Stadt auf seine Art geprägt – und zwar für die nächsten Jahrzehnte. Unter seiner Führung sind die Regelwerke entstanden, die bestimmen, wie, wo und wie hoch in Zürich in den nächsten Jahren gebaut wird.
Gleichzeitig fiel schon Odermatts Amtszeit in eine Periode des fast präzedenzlosen Wachstums. Durchschnittlich entstanden pro Jahr knapp 2000 zusätzliche Wohnungen. In mehreren Jahren übertraf der Zuwachs an Wohnraum 2500 Einheiten. Das gab es letztmals in den 1950er Jahren.
Sowohl die Bau- und Zonenordnung aus dem Jahr 2016 wie auch der kommunale Richtplan von 2021 tragen Odermatts Handschrift: Es sind keine visionären Stücke, die die Stadt umkrempeln, um das erwartete Wachstum von über 100 000 zusätzlichen Einwohnern zu absorbieren. Es sind Raster, die das Wachstum dort, wo es schon im Gange ist, lenken – beispielsweise in den Entwicklungsgebieten im Norden und Westen der Stadt – und in groben Zügen vorgeben, wie die Verdichtung in den einzelnen Quartieren umgesetzt werden soll.
Odermatt selbst spricht gerne von einer «qualitätsvollen Verdichtung». Er meint damit dichtes Bauen, das die Bevölkerung nicht vor den Kopf stösst, indem die Planung eben auch darauf ausgelegt ist, dass sie auch Grünflächen Sorge trägt. Gegen «Giesskannenlösungen» hat Odermatt sich stets gesträubt. So konnte er etwa der Aufstockungsinitiative der FDP wenig abgewinnen.
Für die Kompromissbereitschaft gab es Lob und Schelte
Schon früh in seiner Stadtratskarriere musste Odermatt seine Kompromissfähigkeit unter Beweis stellen. Sein erster Anlauf für die Teilrevision der Bau- und Zonenordnung 2013 wurde von links bis rechts mit Kritik überzogen und drohte zu scheitern.
Der Hauptvorwurf: Statt Zürich zu verdichten, würde die Vorlage eher das Gegenteil bewirken. Odermatt ging noch einmal über die Bücher. Das Ergebnis war das Ende des sogenannten «Zürcher Untergeschosses» – Parterrewohnungen werden seither nicht mehr in den Boden versenkt, sondern ebenerdig gebaut. Als Kompromiss dürfen Neubauten um ein Vollgeschoss höher gebaut werden.
Odermatts Extrarunde zahlte sich aus. Die Debatte im Stadtparlament verlief ungewohnt harmonisch und speditiv.
Auch hier bietet sich ein Vergleich mit Ursula Koch an, die sich in den neunziger Jahren an einer BZO-Revision versuchte. Die sogenannte «BZO Koch» sorgte für ein jahrelanges juristisches Hickhack, das damit endete, dass die kantonale Baudirektion einschritt.
Ein Pragmatiker in einer zunehmend kompromisslosen Partei
Mit seiner kompromissorientierten Art zog Odermatt zunehmend Kritik aus den eigenen Reihen auf sich. Gegenüber privaten Investoren knicke er zu schnell ein und engagiere sich zu wenig für den gemeinnützigen Wohnungsbau. In den letzten Jahren häufte sich der Widerstand der linken Parteien gegen Odermatts Politik.
Von aussen betrachtet, entstand der Eindruck, dass Odermatt den zunehmend kompromisslosen Kurs der Linken nicht mittragen mochte.
Das zeigte sich etwa beim leidigen Ringen um das SBB-Bauprojekt an der Neugasse. Odermatt lobte das Vorhaben, das einen Drittel gemeinnützigen Wohnraum vorsah. SP, Grüne und AL forderten, dass alle Wohnungen preisgünstig sein sollten. Die Stimmbevölkerung pflichtete an der Urne bei: Die Stadt solle das Areal kaufen. Der Hochbauvorsteher teilte postwendend mit, er werde nicht mehr mit den SBB verhandeln, diese hätten mehrfach gesagt, sie seien nicht interessiert an einem Verkauf.
Das rot-grün dominierte Stadtparlament schickte den Hochbauvorsteher mehrfach zurück auf Feld 1, beispielsweise bei der Entwicklung des Josef-Areals. Verschiedentlich erteilte das Parlament auch Bauprojekten eine Abfuhr, die in enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Städtebau ausgearbeitet worden waren.
Ausserhalb des linken Lagers hiess es derweil, Odermatt habe mit dem kommunalen Richtplan und der BZO-Revision dazu beigetragen, dass das Bauen in der Stadt so kompliziert sei wie nie zuvor. Von einem regelrechten Dschungel von Vorschriften war bisweilen die Rede.
Wenn Odermatt Kritik oder Niederlagen einstecken musste, tat er das stets mit der Gelassenheit eines Zen-Meisters. Dafür zollen ihm politische Gegner wie Mitstreiter Respekt. In der Zürcher Politszene ist man sich einig: Odermatt sei hochprofessionell, nehme Kritik nicht persönlich, und vor allem sei er nicht nachtragend.
Für Albert Leiser, FDP-Gemeinderat und Direktor des Zürcher Hauseigentümerverbands, ist Odermatts grösster Wurf das «rote Telefon» – eine städtische Anlaufstelle für Bauherren, deren Projekt ins Stocken geraten ist, weil beispielsweise feuerpolizeiliche und denkmalpflegerische Vorgaben einander ausschliessen. Das rote Telefon sorge dafür, dass sich die Chefs der jeweiligen Fachstellen zusammensetzten, um eine Lösung zu finden, sagt Leiser.
Ein Problem, das Odermatt nicht zu lösen vermochte, ist die Wohnungsknappheit in Zürich. Sie zieht sich durch seine gesamte Amtszeit – von der Kandidatur bis zum Schluss. Sie wird auch seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger beschäftigen.