Der Konflikt zwischen Thaksin Shinawatra und dem konservativen Establishment schien nach der Rückkehr des 74-Jährigen aus dem selbstgewählten Exil beendet. Nun folgt die nächste Runde.
Den einstigen thailändischen Regierungschef Thaksin Shinawatra holt seine Vergangenheit ein. Die Staatsanwaltschaft in Bangkok hat den 74-Jährigen wegen Verleumdung der Monarchie angeklagt. Da Thaksin derzeit an Covid-19 erkrankt ist, wird ihm erst am 18. Juni die Anklage verlesen. Sein Anwalt streitet alle Vorwürfe ab.
Eine Gefahr für die Monarchie und das Militär
Der Fall geht auf einen Videomitschnitt eines Interviews zurück, das Thaksin der koreanischen Zeitung «Chosun Ilbo» 2015 gegeben hatte. Darin soll er das Königshaus verleumdet und damit gegen Artikel 112 des Strafgesetzbuchs verstossen haben. Gemäss diesem Artikel wird jeder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünfzehn Jahren bestraft, der die königliche Familie verleumdet, beleidigt oder bedroht. Die vagen Formulierungen erschweren es dem Bürger jedoch, zu verstehen, welche Handlungen diesen Straftatbestand erfüllen.
Thaksin ist unter den mehr als 270 Angeklagten, die gegen Artikel 112 verstossen haben sollen, der Prominenteste. Am Montag ist Chonthicha Jangrew, die für die oppositionelle Partei Move Forward im Parlament sitzt, zu einer zweijährigen Haftstrafe ohne Bewährung wegen Majestätsbeleidigung verurteilt worden.
Auch Move Forward muss sich bald vor Gericht verantworten. Der Partei, die die vergangene Parlamentswahl überraschend gewonnen hat, wird vorgeworfen, wegen ihrer Vorschläge für eine Reform des Artikels 112 eine Gefahr für die konstitutionelle Monarchie zu sein. Alles andere als ein Verbot von Move Forward durch das Verfassungsgericht wäre eine Überraschung.
Thaksin ist einer der prägendsten Politiker Thailands der vergangenen zwei Jahrzehnte. Er hatte zunächst als Geschäftsmann Milliarden verdient, bevor er in die Politik ging. 2001 wurde er zum Regierungschef gewählt, vier Jahre später errang seine Partei 75 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus.
Thaksin stand der ersten zivilen Regierung Thailands vor, die eine Legislaturperiode beendete und wiedergewählt wurde. Er wurde wegen seiner Popularität zu einer Gefahr für die Konservativen, weshalb ihn das Militär 2006 wegputschte. 2008 floh er ins selbstgewählte Exil nach Dubai.
Erst im vergangenen August kehrte er in seine Heimat zurück. Bei seiner Ankunft am Flughafen Don Mueang in Bangkok fiel er vor einem Porträt von König Maha Vajiralongkorn auf die Knie. Der Monarch reduzierte Thaksins Haftstrafe von acht Jahren auf ein Jahr. Im Gefängnis sass er jedoch nur wenige Stunden. Wegen angeblicher Schmerzen in der Brust, Bluthochdrucks und niedrigen Sauerstoffgehalts im Blut verbrachte er die «Haft» in einem VIP-Abteil eines Spitals.
Im Februar wurde er schliesslich auf Bewährung entlassen. Die Sonderbehandlung hatte für Unmut unter den Thailändern gesorgt und auch die konservative Elite verstimmt, weil der Vorgang die Justiz und die Polizei als Pfeiler der konstitutionellen Monarchie in ein schlechtes Licht rückte.
Das kleinere von zwei Übeln
Der Rückkehr nach Thailand aus dem Exil muss ein Abkommen zwischen den einstigen Erzfeinden Thaksin und den Konservativen vorausgegangen sein. Die Monarchie und das Militär dürften den Patriarchen als kleineres von zwei Übeln angesehen haben, um den Wahlsieger Move Forward von der Macht fernzuhalten. Stattdessen stellt Thaksins Partei Pheu Thai mit Srettha Thavisin den Regierungschef. Der Regierung gehören auch Parteien jener Putschisten an, die Thaksin aus dem Amt gejagt hatten.
Mit der Klage gegen Thaksin setzt sich die alte Fehde zwischen ihm und dem konservativen Establishment fort, die mit seiner Rückkehr eigentlich beendet erschien. Die Konservativen trauen Thaksin nicht. In Thailand gilt es als offenes Geheimnis, dass der 74-Jährige, entgegen aller Bekenntnisse, sich auf seine Familie zu konzentrieren, der wahre Regierungschef ist und im Hintergrund die Fäden zieht. Mit der Anklage wollen ihm die Konservativen seine Grenzen aufzeigen.