Rüdiger droht nach dem Eklat im spanischen Cup-Final eine Sperre von bis zu zwölf Spielen. Die Knie-Operation des Real-Verteidigers bewahrt den deutschen Nationalcoach Julian Nagelsmann vor einer unangenehmen Entscheidung.
Den Dingen einen Spin zu geben, lernt man bei Real Madrid. Der Klub hat in der laufenden Saison mit Boykotten und Kampagnen gegen Schiedsrichter einen regelrechten Opferkult um sich kreiert.
Antonio Rüdiger reihte sich am Montag mit einem Post in den sozialen Netzwerken ein, in dem er sich im Krankenhaus nach einer Knieoperation präsentierte und darüber informierte, «über sieben Monate lang mit starken Schmerzen gespielt» zu haben.
Schaut auf meine Schmerzen und nicht auf meine Sünden! Am Wochenende hatte der deutsche Nationalspieler noch all diejenigen geschockt, die den Fairplay-Gedanken im Fussball nicht schon längst begraben haben. In der Schlussminute des mit 2:3 gegen den FC Barcelona verlorenen spanischen Cup-Finals flogen aus seiner Richtung nicht nur übelste Verunglimpfungen, sondern auch Eisbeutel in Richtung des Schiedsrichters. Vier Mitspieler hielten ihn fest.
Experten fordern Sanktionen im Nationalteam
Rüdiger entschuldigte sich am nächsten Tag, der Aufschrei war trotzdem enorm. In Spanien, wo ihn eine Sperre von bis zu 12 Spiele erwartet, wie in seiner deutschen Heimat, wo etliche Experten Sanktionen im Nationalteam fordern.
Die durch die Operation geschaffenen Tatsachen könnten den Deutschen Fussball-Bund (DFB) nun vor einer eher ungemütlichen Entscheidung im Hinblick auf die Anfang Juni anstehende Finalrunde der Nations League bewahren. Zwar erklärte Rüdiger in seinem Post, so bald wie möglich zurückkehren zu wollen. Experten rechnen allerdings mit vier bis sechs Wochen Pause.
Gesund ist Rüdiger ein unverzichtbarer Teil der DFB-Equipe. Deutschland hat keinen besseren Innenverteidiger, das wissen sowohl Rudi Völler, der Sportdirektor, als auch der Trainer Julian Nagelsmann. Und eben der Spieler selbst. Um eventuellen Sanktionen zuvorzukommen, entschuldigte sich Rüdiger und gelobte Besserung.
Der Verband nahm die Entschuldigung an und redete ihm ins Gewissen. Davon, dass der DFB künftig auf ihn verzichten wolle, war denn auch keine Rede. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass die Diskussion noch einen anderen Dreh bekommen hätte. Deutschlands Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus forderte Konsequenzen, Stefan Effenberg und Dietmar Hamann ebenfalls.
In der Tat gibt es in Europa wohl kaum einen unsportlicheren Spitzenfussballer als Rüdiger. Dabei bleibt es nicht immer bei den Nickligkeiten, die er in der spanischen Liga seit seinem Wechsel nach Madrid 2022 fast wöchentlich zur Aufführung bringt. Allein in den letzten Champions-League-Runden fiel er zunächst durch eine «Kopf-ab»-Geste gegenüber den Fans des Lokalrivalen Atlético Madrid auf, für die er vom europäischen Fussballverband (Uefa) mit 40 000 Euro Strafe sowie einer Spielsperre auf Bewährung belegt wurde.
Gegen Arsenal hatte Rüdiger Glück
Im Viertelfinal gegen Arsenal landeten dann seine Stollen auf dem Gemächt von Myles Lewis-Skelly. Der Schiedsrichter übte sich in Nachsicht, genauso wie der Unparteiische des Champions-League-Finals 2021, als Rüdiger, damals noch im Trikot von Chelsea, Kevin De Bruyne mit der Schulter checkte und der Spieler von Manchester City sich dabei Augenhöhle und Nasenbein brach.
Im Vergleich zu den 1990er Jahren, als Stefan Effenberg wegen eines ausgestreckten Mittelfingers in Richtung der Fans im DFB auf Jahre hinaus nicht berücksichtigt wurde, ist der Anspruch des Verbandes an seine Nationalspieler heute zumindest offiziell ein anderer. Man redet gerne von «Werten» wie Vielfalt, Offenheit und Toleranz. Und gerade Rüdiger ist jemand, der anschaulich von eigenen Rassismus-Erfahrungen erzählen kann.
Nun zieht er daraus für sich unzureichende Konsequenzen. Zwar sagt Rudi Völler, dass Rüdiger den Respekt, den er sich selbst gegenüber zurecht einfordere, selbstverständlich auch gegenüber anderen zeigen müsse. In der praktischen Umsetzung allerdings hapert es gewaltig.
Die «Kopf-ab»-Geste war nicht die erste von Rüdiger, über die heftig diskutiert wurde. Im vergangenen Jahr präsentierte er sich auf einem Gebetsteppich mit erhobenem Finger und bot Grussworte an die Muslime in aller Welt dar. Den sogenannten Tauhid-Finger wollten manche als islamistische Geste verstanden wissen. Drei Experten kamen in der NZZ zu jeweils unterschiedlichen Auslegungen.
Der Extremismus-Kritiker Hamed Abdel-Samad etwa nannte sie harmlos, die Islamwissenschafterin Susanne Schröter sprach von einer Dominanzpose. Vor der EM zeigte Rüdiger an einem Fototermin der Uefa erneut den erhobenen Zeigefinger, eine an sich harmlose Sache. Allerdings warb ein islamistisches Portal mit dem Spieler. Der DFB liess eine Anfrage der NZZ, was man gegen die Instrumentalisierung seines Nationalspielers zu tun gedenke, unbeantwortet.
Die Fans nennen ihn «loco»
Insofern ist es nur folgerichtig, Rüdiger als kontroverse Figur zu betrachten. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien, wo er mit seinen oft weit aufgerissen Augen als «loco» gilt, als «verrückt». Nur dass die Fans von Real den Beinamen liebevoll für seinen oft mitreissenden Einsatz verwenden, die Gegner aber seinen Hang zu Unsportlichkeiten meinen.
Die bisher erfolgte Reaktion aus dem DFB könnte auch damit zu tun haben, dass sich Rüdigers Verhaltensauffälligkeiten selten im Nationaltrikot ereignen, und zumeist im Dress Reals. Dort mag er in der Vergangenheit auch davon profitiert haben, dass sich die Schiedsrichter beim Verteilen von roten Karten gegenüber Real-Profis eher zurückhalten. Am Samstag aber erwies er sich dann doch zu eindeutig als Erfüllungsgehilfe der von Real unablässig gerittenen Attacken auf die Schiedsrichter.