Die Armutsrate in Argentinien ist wahrscheinlich schon niedriger als bei Mileis Amtsantritt vor einem Jahr. Auch die Wirtschaft hat die Rezession hinter sich gelassen. Doch der Aufschwung ist noch kein Selbstläufer.
Das sind gute Nachrichten für Argentiniens Präsidenten Javier Milei, der seit einem Jahr im Amt ist: Die Armutsrate ist in den vergangenen drei Monaten gesunken. Ende des Jahres könnte sie sogar unter dem Niveau liegen, auf dem sie sich vor einem Jahr befand, als Javier Milei die Regierung übernahm.
Auch die Wirtschaft erholt sich. Im dritten Quartal hat sie die Rezession hinter sich gelassen. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) wuchs von Juli bis September saisonbereinigt um 3,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Damit verzeichnet Argentinien das erste Wachstumsquartal seit dem Eintritt in die Rezession Ende 2023, wie die argentinische Statistikbehörde mitteilt.
Für Milei sind das überraschend gute Nachrichten. Denn sein radikales Sparprogramm, mit dem er das Haushaltsdefizit des Staates in einen Überschuss verwandelte und damit die Inflation stark senkte, wird heftig kritisiert. Viele machten die Kürzungen für wachsende Armut und die zeitweise schwere Rezession verantwortlich.
Um 11 Prozentpunkte hatte die Armut dieses Jahr zugelegt
Anfang des Jahres war die Armutsrate um 11 Prozentpunkte auf über 54 Prozent gestiegen. Nun prognostiziert der Nationale Rat für die Koordinierung der Sozialpolitik (CNPS) auf Basis von Daten des Statistikamtes Indec, dass die Armutsrate im dritten Quartal dieses Jahres bei 38,9 Prozent lag. Offizielle Armutszahlen werden aber erst wieder im März veröffentlicht.
Für seine Prognose hat der CNPS eine Hochrechnung der Armutsentwicklung im dritten Quartal mit den neuesten Daten zur Arbeitslosigkeit, zur Einkommensverteilung und zur sinkenden Inflation vorgenommen. Danach ist auch die Quote der extremen Armut von über 20 Prozent im ersten Quartal auf 8,6 Prozent gesunken.
Die Armutsquote wird in Argentinien zweimal jährlich von der nationalen Statistikbehörde Indec ermittelt. Dazu werden in einer repräsentativen Haushaltsbefragung die Einkommen der Argentinier erfasst und mit den Lebenshaltungskosten verglichen.
Haushalte, die mit ihrem Einkommen Bedürfnisse wie Wohnen, Kleidung, Transport, Bildung und Gesundheit nicht decken können, gelten als «arm». Wer nicht einmal den minimalen Kalorienbedarf decken kann, gilt als «extrem arm».
Unabhängige Wissenschafter bestätigen inzwischen die Verbesserung der Armutssituation: So hat nach Einschätzung des Observatoriums für soziale Schuld der Katholischen Universität (UCA) die rückläufige Inflation die Lebensmittelpreise gesenkt. Gleichzeitig erhöhte die Regierung die Sozialausgaben für die Ärmsten und für Kinder und schaltete vor allem Mittler wie Kooperativen, Suppenküchen und politische Organisationen aus. Statt dass wie zuvor 50 Prozent der Hilfe über Vermittler verteilt würden, erreichten nun 93,5 Prozent der Sozialhilfe direkt die Bedürftigen, erklärte der CNPS, der dem Ministerium für Humankapital untersteht.
Dennoch befindet sich Argentinien unter Milei erst am Anfang eines möglicherweise dauerhaften Aufschwungs: Noch immer gelten 18 von 47 Millionen Argentiniern als arm – und das in einem Land, das traditionell eine der grössten Mittelschichten Lateinamerikas hat.
Der Konsum und die Investitionen legen wieder zu
Auch beim Wachstum muss sich der positive Trend des dritten Quartals fortsetzen, um Argentinien aus dem tiefen Rezessionstal zu führen: Denn im Gesamtjahr 2024 werde die Wirtschaft noch um 3,6 Prozent schrumpfen, prognostiziert die Investmentbank Morgan Stanley, die Argentinien für 2025 ein Wachstum von 4,4 Prozent voraussagt.
Lokale Finanzdienstleister wie Cohen aus Buenos Aires sind positiver gestimmt. Sie beobachten, dass das Wachstum in diesem Jahr mit einem erwarteten Minus von 2,1 Prozent deutlich besser ausfallen wird als prognostiziert. Allerdings seien die Unterschiede zwischen den Branchen sehr gross.
So befindet sich die Industrie wieder auf dem Niveau von Ende 2023. Die arbeitsintensive Bauwirtschaft steckt dagegen noch tief in der Krise, mit einem Rückgang der Aktivitäten um 15 Prozent in diesem Jahr. Milei hat alle öffentlichen Aufträge gestoppt. Im dritten Quartal waren es vor allem der lokale Konsum und die Investitionen, die das Wachstum angetrieben haben, wie die Investmentbank BBVA feststellt.
JP Morgan rechnet damit, dass selbst bei einem erwarteten Wachstum von 5,2 Prozent im kommenden Jahr das Pro-Kopf-Einkommen erst wieder das Niveau von 2021 erreichen wird.
Dennoch sind immer mehr Menschen davon überzeugt, dass sich ihre wirtschaftliche Situation im nächsten Jahr verbessern wird. Das zeigen Umfragen zum Verbrauchervertrauen der Universidad Torcuato Di Tella. Danach schätzt die Mehrheit der Argentinier ihre persönliche Situation als schlecht ein, nur rund ein Drittel hält sie für gut. Aber 58 Prozent glauben, dass es aufwärtsgeht. Dabei ist die Stimmung in den Provinzen und bei der ärmeren Bevölkerungsmehrheit besser als in der Hauptstadt und bei der Mittelschicht.