Das Ende des syrischen Diktators kommt einer Zeitenwende gleich. Doch es wäre nicht zum ersten Mal, dass ein Neuanfang in Nahost in Blut und Tränen endete.
Bashar al-Asad ist Geschichte. Der vom schüchternen Augenarzt zum brutalen Autokraten gewordene Langzeitherrscher über Syrien ist ein Mann ohne Land. Er ist auf der Flucht ins Exil oder bereits tot – wie so viele gefallene Diktatoren vor ihm. Zurück lässt er ein Land mit ungewisser Zukunft und einen Nahen Osten, in dem nichts mehr zu sein scheint wie zuvor.
Jahrelang galt Asad als nahezu unantastbar. Den Volksaufstand von 2011 überlebte er genauso wie den darauf folgenden brutalen Bürgerkrieg, den er mit iranischer und russischer Hilfe für sich entschied. Westliche Sanktionen konnten sein zum kleptokratischen Mafia-Staat mutiertes Regime ebenfalls nicht in die Knie zwingen. Zuletzt begannen selbst seine einstigen Feinde am Golf, sich mit dem scheinbar so starken Mann in Damaskus zu arrangieren.
Doch dann fegte das Rebellenheer der von der Türkei unterstützten Islamisten über Syrien hinweg, und Asads Reich zerfiel wie eine Sandburg in der Brandung. Es erwies sich als Chimäre. Anders als 2003 im Irak oder 2011 in Libyen war es nicht das Eingreifen des vielkritisierten Westens, das dieses Gewaltregime zu Fall brachte.
Erleichterung in Syrien und Libanon
An diesem historischen Sonntag ist nicht nur die Asad-Dynastie auf dem vielzitierten Müllhaufen der Geschichte gelandet. Die Jubelszenen in Damaskus sind auch ein Genickschlag für die sogenannte Achse des Widerstands – jene von Iran angeführte Koalition von Staaten und Milizen, die in den letzten zwei Jahrzehnten die Geschicke des Nahen Ostens massgeblich bestimmte, bis nach Libanon und Gaza.
Nun liegt die gefürchtete Allianz in Trümmern. Das Damaszener Regime, Teherans bester Freund seit den achtziger Jahren, existiert nicht mehr. Der libanesische Hizbullah, die Prätorianergarde Irans, ist nach Israels Hammerschlägen der letzten Monate nur noch ein Schatten seiner selbst. Nach dem Verlust der Nachschublinien in Syrien könnte er bald in sich zusammenfallen. Die Islamische Republik Iran steckt in ihrer tiefsten aussenpolitischen Krise seit dem Überraschungsangriff des Iraks im Jahr 1980.
Die radikalen Palästinenser der Hamas, die mit ihrem selbstmörderischen Angriff auf Israel vor mehr als einem Jahr diesen Zusammenbruch ausgelöst hatten, dürfen sich fortan rühmen, nicht nur Gaza, sondern die ganze Anti-Israel-Front mit in den Abgrund gerissen zu haben. Weder in Teheran noch in den Schiitenvierteln von Beirut wird man ihnen das so schnell verzeihen.
Eine Zeitenwende im Nahen Osten
Andere hingegen atmen auf. Der Untergang des Hauses Asad ist nicht nur für Millionen von Syrern eine Erleichterung, die unter den Schergen des Diktators unermesslich gelitten haben. Auch viele Libanesen, die sich für ihr Land eine andere Zukunft wünschen als ein ewiges Schattendasein im Orbit Irans, schöpfen Hoffnung. Nicht zuletzt sind die Nachrichten aus Syrien eine frohe Kunde für all jene, die Putins Russland geschwächt sehen wollen. Moskau war ebenfalls ein Verbündeter des gestürzten Asad.
Der Fall von Damaskus bedeutet eine Zeitenwende im Nahen Osten. Das kann eine Chance sein. Doch dazu muss in Syrien nun ein neuer Staat entstehen, der seinen Bürgern nicht nur Freiheit, sondern auch wirtschaftliche Stabilität bietet. Nicht nur die Rebellen, sondern auch die oft zerstrittenen regionalen Mächte am Golf und am Bosporus sind nun gefragt. Der Westen muss sie dabei unterstützen, ohne in missionarische Hybris oder Gleichgültigkeit zu verfallen.
Ob das gelingt, ist fraglich. Denn der Rebellenführer Mohammed al-Julani, der neue starke Mann Syriens, ist nicht nur ein strammer Islamist. Er regierte in Idlib auch wie ein Autokrat. Und er ist nicht allein. In dem kaputten Land streben weitere Milizen nach einem Platz an der Sonne: Kurden, die türkischen Vasallen von der Syrischen Nationalen Armee und die Überreste des Islamischen Staats. Sie drohen schon jetzt aufeinander loszugehen. Sollten sie dabei auch noch von äusseren Mächten unterstützt werden, könnte Syrien ganz schnell wieder in die Finsternis des Bürgerkriegs zurückzufallen.
Der Nahe Osten hat in den letzten Jahrzehnten so manche Zäsur erlebt. Immer wieder war dabei von grossen Chancen und neuen Möglichkeiten die Rede. Doch die Euphorie des Augenblicks machte viele Akteure blind für die Mühen der Realpolitik. Dieses Risiko besteht auch jetzt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein mit Hoffnungen beladener Neuanfang in Blut und Tränen enden würde.







