Drei Ministerinnen weigern sich, den Sparbefehl des deutschen Finanzministers umzusetzen. Die Meuterei zielt auf den FDP-Politiker, trifft aber die ganze Regierungskoalition.
Würde man die deutsche Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und FDP mit einem Schiff vergleichen, dann müsste man einerseits feststellen, dass sich der Kutter gerade durch stürmische Gewässer kämpft. Andererseits könnte man seit dieser Woche zur Überzeugung kommen, dass Teile der Schiffsbesatzung eine offene Meuterei losgetreten haben.
Weil in der deutschen Staatskasse Ebbe herrscht, insgesamt 25 Milliarden Euro fehlen, hatte Finanzminister Christian Lindner seine Kabinettskollegen dazu verdonnert, ihm bis zum vergangenen Donnerstagabend Sparvorschläge für das kommende Haushaltsjahr zukommen zu lassen. Drei deutsche Ministerinnen liessen die Frist allerdings nicht nur verstreichen. Sie meldeten obendrein sogar einen höheren Finanzbedarf an, als ihnen die Finanzplanung des Bundes zugesteht.
Mehr Geld für Krisen in Nahost und der Ukraine
So fordert Aussenministerin Annalena Baerbock fast 2,5 Milliarden Euro mehr, als ihr der FDP-Politiker Lindner zugestehen will. Die Grünen-Politikerin begründet ihren Kapitalbedarf mit hohen Ausgaben, die ihr Ministerium für humanitäre Hilfen in Krisengebieten wie der Ukraine und im Nahen Osten stemmen müsse.
Ebenfalls unter Verweis auf die Krisenherde dieser Welt weigert sich auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze, ihr Budget zu stutzen. Die SPD-Politikerin hat deshalb einen Mehrbedarf von rund 1 Milliarde Euro beim Finanzminister angemeldet.
Ihre Parteifreundin Nancy Faeser wiederum hat bislang zwar darauf verzichtet, eine konkrete Zahl zu nennen. Dass die Innenministerin aber keineswegs sparen möchte, das hat auch sie Lindner mitgeteilt. Sogar schriftlich: In einem Brief, über den «Der Spiegel» berichtet, legt sie dar, dass die von Lindner gewünschte Kürzung um 1,1 Milliarden Euro «nicht ansatzweise verantwortbar» wäre.
Unter anderem weil die Personalkosten bei den Sicherheitsbehörden gestiegen und die Kosten für die Asylverfahren im Land hoch seien, sieht Faeser keine Möglichkeit zu sparen. Und will deshalb lieber noch einmal mit dem Finanzminister ihr Budget nachverhandeln. «Einem Gespräch sehe ich entgegen», heisst es im Brief.
Deutsche Steuereinnahmen sinken
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sich Lindner viel Zeit nehmen wird, um mit den Haushalts-Rebellinnen über ihre Wünsche zu diskutieren. Denn es stellt sich die Frage, woher Lindner die Milliarden nehmen soll, die seine Kabinettskolleginnen verlangen. Weil die deutsche Wirtschaft in der Krise feststeckt, darf der Bund zwar mehr Schulden aufnehmen – so sieht es die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse vor. In Regierungskreisen ist hier von zusätzlichen Mitteln in Höhe von bis zu 25 Milliarden Euro die Rede.
Doch viel Hoffnung, die Finanzlücke damit schliessen zu können, sollten sich die Regierungskoalitionäre nicht machen. Denn die Wirtschaftsflaute schlägt sich zugleich auch auf der Einnahmenseite des Staates nieder: Das Steueraufkommen dürfte deutlich geringer ausfallen als noch in den vergangenen Jahren.
Die immer wieder vorgetragene Forderung von SPD und Grünen wiederum, die Schuldenbremse aufzuweichen, läuft ebenfalls ins Leere. Dafür brauchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Selbst wenn die FDP dem Drängen nachgeben würde, wäre die Ampelkoalition auf weitere Stimmen der Opposition angewiesen. Und eines scheint sicher: Auf Schützenhilfe der Unionsparteien können die Koalitionäre in dieser Frage nicht hoffen.
Bliebe Lindner nur noch die Option, erneut eine «Notlage» auszurufen und auf dieser Basis ein Paket mit schuldenfinanziertem Sondervermögen zu schnüren. Sollte der FDP-Politiker diesen Schritt aber wagen – oder sich von seinen Koalitionspartnern dazu drängen lassen –, wären die Chancen seiner Partei, bei der nächsten Wahl wieder ins Parlament gewählt zu werden, endgültig in Gefahr. Statt die Schuldenbremse erneut zu verwässern, wird sich Lindner daher genau überlegen, ob er die Koalition in diesem Fall noch fortführen will.
FDP appelliert an die Koalitionspartner
Die Meuterei der drei Ministerinnen zielt dabei auf Lindner, sie trifft aber auch Kanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen. Denn der Finanzplan, der dem Kabinett nun harte Einschnitte auferlegt, wurde auch mit ihrer Zustimmung im vergangenen Jahr genehmigt.
Daran erinnert Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP. Es gelte weiterhin die Finanzplanung für das Jahr 2025, die im vergangenen Jahr vom Kabinett, also auch den jetzt betroffenen Häusern, offiziell beschlossen wurde und die für jedes Ministerium klare Ausgabenobergrenzen vorsehe. «Darüber hinausgehende Finanzmittel gibt es nicht», sagte Fricke der NZZ. «Wer für seine politischen Vorhaben mehr Geld zur Verfügung haben möchte als noch im letzten Jahr einstimmig beschlossen, muss also sagen, welchem Kollegen er es wegnehmen oder welche Steuer er gar erhöhen möchte.»
Auch der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai erhöht den Druck auf Sozialdemokraten und Grüne. «Allen muss klar sein: Wir können den wirtschaftlichen Aufstieg nicht durch neue Schulden erkaufen, denn neue Schulden belasten künftige Generationen, treiben die Inflation nach oben und verengen den Spielraum für Investitionen», sagte er der NZZ. Deswegen seien alle Ministerien in der Pflicht, ihren Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts zu leisten.
In den kommenden Tagen wird Lindner mit Kanzler Scholz und Vizekanzler Habeck die bislang eingegangenen Meldungen sichten. Viel Zeit bleibt nicht: Schon am 3. Juli soll der Etat für das kommende Jahr im Kabinett verabschiedet werden und der Bundestag dann seine Beratungen über das Budget aufnehmen. Spätestens im November soll der Haushalt dann vom Parlament beschlossen werden. Die nächsten Tage werden also darüber entscheiden, ob das «Ampel»-Boot schwimmt oder sinkt.