«Elisabeth!» von Mareike Fallwickl ist ein feministisches Lehrstück. Dank der Schauspielerin Stefanie Reinsperger zeigt sich die Protagonistin als lebendige Frau mit Ecken und Kanten.
Am Ende stehende Ovationen. Die Begeisterung der Wiener in ihrem Burgtheater gilt zunächst der umwerfenden Schauspielerin Stefanie Reinsperger (die ihren Weg von Berlin zurück nach Österreich gefunden hat). Aber aus dem Applaus hört man noch etwas anderes heraus: Es geht um die Ehrenrettung einer jahrzehntelang verkitschten Figur.
Endlich ist da jemand, um aus der gequälten Sisi eine gestählte Elisabeth zu formen und der Kaiserin das Krönchen zurechtzurücken, das sie vier Zentimeter grösser macht als ihren backenbärtigen Franz Josef. Die Wiener, so scheint es, haben da auf einmal eine Frau vor sich, ein Weibsbild, das viel besser zu ihrer aufmüpfigen Natur passt als das süsse Anhängsel einer ohnehin sterbenden Monarchie.
Eine Frau ohne Makel
Seit sie tot ist, wird Sisi in den seligen Himmel gehoben. Ihre Schönheit soll legendär gewesen sein, ihre Haare waren ein Kunstwerk, ihre Fitness trieb sie bis zur Erschöpfung. Fotos von Elisabeth, die aus einer freien bayrischen Familie kam, zeigen sie stets als junge, makellose Frau; jeglichen Alterungsprozess versteckte sie. Ihr Rückzug in die griechische Natur, ihre Lyrik, die sie von Heine gelernt haben will: Das waren in der gängigen Interpretation Marotten eines verwöhnten Balgs, das sich um nichts kümmern musste. Die Kinder nahm man ihr weg, die Politik hielt man von ihr fern.
Die verfälschenden Filme aus der Nachkriegszeit zeigten eine Sisi aus dem kaiserlichen Bilderbuch, deren Liebreiz alle in den Bann schlägt. Die Autorin Mareike Fallwickl aber hat die Geschichte gegen den Strich gebürstet. Sie konnte dabei auf eine Schauspielerin vertrauen, die weit davon entfernt ist, Elisabeth als dynastische Marionette im Hofburg-Museum verkümmern zu lassen.
Wer Stefanie Reinsperger diese Rolle gibt, dem wird garantiert, dass am Ende die Widersprüche, aus denen sich die Persönlichkeit der Sisi zusammensetzte, wie Wunden klaffen. Elisabeth wandelte sich in ihrem Leben, sie betrog ihre Wahrheiten, versteckte sich hinter ihren Zweifeln und irritierte die Gesellschaft als ein Ich, das ganz sicher eine andere war.
Reinsperger rollt Sisis Dasein vom Ende her auf. Sie ist tot, ermordet – und weiss nicht so recht, warum gerade sie. Hat sie sich doch herausgehalten aus all den widrigen Tagesgeschäften, aus den völkerverbindenden Klüngeleien, aus den Liebschaften ihres Mannes, dem Dauerstreit mit der Schwiegermutter. Sie hat ihren Egoismus gepflegt wie eine kostbare Pflanze, sie hat sich ihre Freiheiten verbriefen lassen und ausgekostet. Wenn sie schön sein sollte, bei irgendwelchen Anlässen, war sie schön ohne Anteilnahme. Pflichterfüllung im Tausch gegen Ausbrüche aus dem Käfig.
Mal Mädel, mal Furie
Reinsperger spielt all diese Phasen einer gezirkelten Rebellion grandios durch, sie geisselt sich und lässt ihrem Hass gegenüber der ganzen Entourage freien Lauf. Von dem süssen Mädel zur Furie ist es bei ihr nur ein Schritt. Aus der riesigen schwarzen Robe befreit sie sich Stück für Stück, bis sie nur noch im Hemd dasteht. Befreit von all den Zwängen, ohne Sicherheit und Zukunft, dafür mit der Gewissheit, dass sie sich endlich als Frau einen Raum geschaffen hat, in dem das Überstehen sicher ist, fernab von den Lügen, Intrigen, Unterdrückungen bei Hofe.
Ob so nun die wirkliche Elisabeth war? Wir wissen es nicht. Mareike Fallwickl zumindest wollte es so in ihrem Text, der ohne grosse historische Untermauerung eine emanzipierte Sisi auf die Bühne bringt. Ihr Blickwinkel ist ein feministischer, und das macht ihr Stück über weite Strecken und ohne Not didaktisch. Sie ruft sogar moderne Zeuginnen an und legt der Elisabeth blanke Bewunderung in den Mund: Rosa Parks, die als schwarze Frau im Bus keinem Weissen den Platz frei machte; das Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot, die die Greueltaten öffentlich machte. Das sind auf einmal Vorreiterinnen für eine Frau, die in ihrem Käfig wenig Möglichkeiten hatte zum Aufbegehren.
Doch da springt auch schon wieder Stefanie Reinsperger in die mitunter heftig mäandernde Erzählung und konterkariert ihre Figur, die sie liebt, der sie aber auch grosse Zweifel entgegenbringt. Eine «Schwester» war diese nie, für Frauenrechte trat sie nicht ein. Es ging ihr nur um sich, um ihre Freiheiten, die sie sich teuer bezahlen liess, während das Volk draussen vor dem goldenen Hoftor hungerte. Die Apanage hätte eigentlich für alle gereicht.
Keine falsche Ehrfurcht
Aber genau das ist spannend an diesem Abend (Regie: Fritzi Wartenberg). Reinsperger schmeisst sich in das ganze Gefühlschaos hinein, keift in breitem Dialekt, bricht in tiefer Traurigkeit zusammen, schert sich nicht um Lüge und Wahrheit und schafft dennoch das Kunststück, dass da vorne auf einmal eine Frau im rechten Licht steht. Da ist kein bisschen falsche Ehrfurcht, kein Mitleid, aber denunziert wird Elisabeth auch nicht. Die Figur zertrümmert all die Devotionalien, die sich um sie türmen und sie zu ersticken scheinen.
Die Wiener haben sich mit Reinsperger (und ihren beiden famosen Musikerinnen) eine Sisi zurückerobert. Sympathisch ist diese nicht unbedingt, sie hat Ecken und Kanten, sie ist keine Kämpferin gegen Unterdrückung oder für Frauenrechte. Sie ist nur ehrlich, verletzt, in Blitzmomenten glücklich. Sie ist mehr als ihre sagenhafte Taille, die man im Sisi-Museum in der Hofburg bestaunen mag: 50 Zentimeter! Die Hungerödeme sieht man dort nicht.