Eine der Überraschungen der amerikanischen Präsidentschaftswahl war, dass fast die Hälfte der Latinos für Trump stimmten. Aber viele unter ihnen sind konservativ und religiös, die Familie ist ihnen heilig. Eigentlich ist ihre Nähe zu den Republikanern natürlich, wie Gespräche in New Mexico zeigen.
«Wir Latinos haben aus denselben Gründen für Trump gestimmt wie andere Amerikaner auch: wegen der Wirtschaft und der Kriminalität», sagt Freddie Lopez. «Unser Lebensstandard hat in den letzten Jahren einen Dämpfer erlitten, alles ist teurer geworden. Schuld ist Joe Biden mit seinen gigantischen Ausgaben, die die Inflation angekurbelt haben.» Lopez ist erst 23, aber bereits stellvertretender Vorsitzender der Republikanischen Partei von Santa Fe in New Mexico. Was er sagt, wiederholen viele Latinos, aber auch Angehörige anderer Minderheiten: Man müsse keine besonderen Erklärungen für ihr Wahlverhalten suchen. Sie haben – was eigentlich eine gute Nachricht ist – nicht als Vertreter einer bestimmten Bevölkerungsgruppe gewählt, sondern einfach als Amerikaner.
Die Republikaner sind nicht mehr die Partei der Weissen
Bemerkenswert ist der Trend trotzdem. Die Latinos und Hispanics machen 15 Prozent der amerikanischen Wähler aus und sind damit eine wichtige Zielgruppe für die Kandidaten. Traditionellerweise legten die Latinos ihre Stimmen mit grosser Mehrheit für die Demokraten ein, aber dieses Mal stimmten 42 Prozent von ihnen für Donald Trump. So viele hatten noch nie zuvor für einen republikanischen Kandidaten votiert. Bei der letzten Wahl von 2020 waren es nur 32 Prozent gewesen.
Denselben Popularitätsschub, sowohl bei Männern wie bei Frauen, verzeichnete Trump auch bei anderen Minderheiten wie den Afroamerikanern und den Natives, die ebenfalls zahlreicher denn je für den Republikaner stimmten. Das ist umso bemerkenswerter, als die Republikaner zunehmend als Partei der Weissen galten und die Demokraten als diejenige der Nichtweissen; dazu passte, dass sich Trump oft abschätzig über Latinos (insbesondere papierlose Immigranten aus Mittel- und Südamerika), Schwarze und Indigene äusserte und bei vielen seiner Gegner als Rassist gilt. Im Gespräch erklären Latinos im Gliedstaat New Mexico, wo sie 49 Prozent der Bevölkerung ausmachen, was sie an Trump anspricht.
Es scheint, dass ausgerechnet die demografischen Minderheiten genug haben von einer Politik, die sich deren Förderung auf die Fahne geschrieben hat. «Die Demokraten propagieren eine Identitätspolitik, die die Leute aufgrund ihrer Rasse in angebliche Interessengruppen einteilt», sagt Lopez. «Das ist für mich nicht progressiv, sondern regressiv. Was bei dieser Ideologie zählt, ist nicht deine Überzeugung, sondern nur deine Herkunft und deine Hautfarbe. Eine Schlussfolgerung aus der Wahl ist, dass Amerika diese Mentalität, die die Gesellschaft spaltet, zurückweist.» Stattdessen habe ausgerechnet Trump, und nicht Harris, eine Koalition aus Weissen, Latinos, Schwarzen, Juden, Muslimen und anderen Minderheiten geschmiedet, die sich politisch eben gerade nicht über diese Zugehörigkeiten definierten.
Latinos ärgern sich über illegal eingewanderte Migranten
Lopez ist in Santa Fe geboren und aufgewachsen. Er hat hier das College besucht und arbeitet jetzt in der Kunstgalerie seines Vaters. «Wie die meisten Latinos hat meine Familie immer demokratisch gewählt. Aber jetzt hat sich etwas geändert. Die Partei ist radikal geworden und repräsentiert unsere Werte nicht mehr.» Bei den Demokraten stört ihn neben der Fixierung auf «Rassen» auch die Obsession mit der sexuellen Identität. «Wir haben keine Probleme mit Homosexuellen, aber warum diese Schubladen rund um LGBTQ+, und warum muss das bereits in den Schulen propagiert werden?»
Er findet, solche privaten Fragen solle man den Individuen und den Familien überlassen, und die Politiker sollten sich stattdessen darauf konzentrieren, dass die Leute genug zu essen auf dem Tisch hätten. Aber er hat den Eindruck, die Demokraten hätten sich von der Arbeiterklasse abgewendet.
Zur Frage der Einwanderung, eines der Hauptthemen von Trumps Wahlkampf, sagt er: «Wir haben nichts gegen legale Einwanderung. Aber es ist natürlich, dass die illegale Migration ausgerechnet die Latinos, die legal hierhergekommen sind, ärgert. Sie sind durch diesen ganzen Prozess gegangen und wurden am Ende akzeptiert. Sie fragen sich: Wozu haben wir all das auf uns genommen und so hart gearbeitet, wenn manche nun einfach so hereinspazieren können und erst noch unterstützt werden?» New Mexico sei ein Grenzstaat, sagt er, also betreffe das Problem die Einwohner ganz direkt. «Wir brauchen eine sichere Grenze, auch wegen des ganzen Fentanyls, das nach Amerika geschmuggelt wird.»
Er sagt, selbstverständlich seien nicht alle papierlosen Einwanderer Kriminelle. «Aber sie sprechen kein Englisch, verfügen über keine beruflichen Qualifikationen, kennen niemanden hier. Sie arbeiten schwarz und werden ausgebeutet. Wie sollen sie sich integrieren, was sollen sie tun? Sie müssen schliesslich überleben. Wir bringen sie in eine schwierige Situation und missbrauchen sie unter dem Deckmantel der Grosszügigkeit.»
Bei den Demokraten beklagt Lopez eine paternalistische Haltung. Sie seien überzeugt gewesen, dass die Latinos sowieso für sie stimmen würden. Sie betrachteten die Latinos als natürliche Verbündete, aber eigentlich verachteten sie ihre Traditionen und Werte. Ihr Credo sei: «Ihr habt keine Ahnung, aber wir wissen, was gut ist für euch».
In Wirklichkeit würden viele Latinos nicht aus Überzeugung für die Demokraten stimmen, sondern weil sie abhängig seien von den Fürsorgezahlungen. «New Mexico ist arm, es gibt wenige Unternehmen und Arbeitsplätze hier», sagt er. «Viele arbeiten für den Staat, als Beamte oder auf den Militärbasen. So lange der staatliche Check eintrifft, stimmen viele meiner Leute für die Demokraten.»
Viele Latinos sind katholisch und konservativ
Amy Sanchez ist Geschäftsführerin der Republikanischen Partei des Bernalillo County in New Mexico. Sie ist in Los Alamos in New Mexico aufgewachsen. Beim Gespräch in Albuquerque erklärt sie, Religion, Familie und Freiheit seien die zentralen Werte für viele Latinos. «Eigentlich deckt sich das eher mit den republikanischen als den demokratischen Vorstellungen», sagt sie. «Viele von uns wählten traditionellerweise Demokraten; aber in Wirklichkeit passen wir eher in die Welt der Republikaner.»
Besonders deutlich zeige sich das beim Thema Abtreibung. Viele Latinos seien Katholiken oder Evangelikale, also gegen Schwangerschaftsabbruch. Sie seien bestenfalls für eine Fristenlösung, aber nicht für eine völlige Liberalisierung.
Einen weiteren Grund für den Erfolg Trumps sieht Sanchez im Thema Covid-19. «In den demokratisch geführten Städten litten wir unter dem strengen Lockdown», sagt sie. Verheerend sei das vor allem für die Jungen gewesen. Ein ganzes Schuljahr hätten sie verloren, dabei sei der Unterricht sowieso schon schlecht. Ganz zu schweigen von der Isolation, den psychischen Folgen und der Belastung für arbeitende Eltern. Eine Tyrannei sei das gewesen, mitsamt dem Aufruf zu Denunziantentum. «Die Bevölkerung wurde aufgefordert, Ansammlungen von mehr als fünf Personen bei den Behörden zu melden.»
Überhaupt sei der Anpassungsdruck enorm, sagt Sanchez, die Politologie studiert hat. «An der Universität und allgemein im Unterrichtswesen verrätst du besser niemandem, dass du Republikanerin bist.» Sie kenne Leute, die wegen ihrer Überzeugung die Arbeit verloren hätten. Das spiegle sich auch in den Medien. Die Öffentlichkeit werde durch die Mainstream-Medien einer Gehirnwäsche unterzogen, sagt sie.
Aber mit X und anderen sozialen Netzwerken sowie Podcasts wie jenem von Joe Rogan sei dieses Monopol nun gebrochen worden; Trumps Erfolg sei auch eine Folge dieser Diversifizierung. Sie hofft, dass man sich jetzt, nach der Wahl, als Republikanerin weniger verstecken müsse. Es sei ja klar geworden, dass Trump-Wähler nicht eine verrückte Minderheit seien, wie das die Medien dauernd suggeriert hätten, sondern eine Mehrheit von normalen Amerikanern.
Sanchez ist auch entsetzt über die Verwahrlosung von demokratisch geführten Städten wie Albuquerque. Im sogenannten «International District», einem armen Quartier entlang der Central Avenue, versammeln sich die Drogensüchtigen und Dealer. Es wird auch «War Zone» oder «Zombieland» genannt, weil sich die Fentanyl-Konsumenten wie Untote durch das Viertel bewegen und oft mitten auf der Strasse verharren, ohne irgendetwas um sich herum wahrzunehmen. Es seien viele Kriegsveteranen unter ihnen. «Oft stecken psychische Probleme hinter der Abhängigkeit», sagt sie. Es sei ein Suizid in Zeitlupe, aber die Verwaltung lasse es einfach geschehen, mitsamt der Kriminalität, unter der oft auch die ärmere Latino-Bevölkerung leide.
Stört sie die abschätzige Art nicht, wie Trump gelegentlich über Ausländer und Frauen redet? «Vom Alter her könnte er mein Grossvater sein», sagt sie. «Diese Generation sprach halt in einer Art, die heute verpönt ist. Aber er sagt, was er denkt.» Er sei transparent und ehrlich, sagt Sanchez. Im Gegensatz zu Kamala Harris, die für jeden Satz, den sie äussere, Berater und einen Teleprompter brauche.
Bewunderung für Trumps Widerstandskraft
Ronnie Lucero ist der Vorsitzende der republikanischen National Hispanic Assembly von New Mexico. Der 53-Jährige war sechs Jahre bei der Navy und arbeitet jetzt im Autohandel in Albuquerque. Er war früher Demokrat. «Bei der Wahl von 2016 dachte ich auch noch, Trump sei ein Rassist», sagt er. «Aber dann merkte ich, wie sehr die Medien seine Aussagen jeweils aus dem Zusammenhang reissen und verzerren.» So bezeichne Trump keinesfalls alle Mexikaner als Verbrecher und Vergewaltiger, wie das immer wieder behauptet werde.
Aber er mache auf die kriminellen Umtriebe der mexikanischen Kartelle aufmerksam, die sich längst auch in den USA breitgemacht hätten. «Trump hat mir gezeigt, dass ich im Herzen eigentlich ein Konservativer bin», sagt er. Auch er betont, wie wichtig ihm Familienwerte seien. «Meine Frau und ich haben sieben Kinder», sagt er. «Deshalb leiden wir – wie viele andere kinderreiche Latinos – besonders unter der Teuerung.»
Lucero glaubt, dass die dauernden Angriffe auf Trump – von den Medien, von Harris und den Gerichten – ihm letztlich geholfen hätten, weil die Unfairness der Demokraten offensichtlich geworden sei. Zudem habe die Widerstandskraft von Trump viele beeindruckt. «Er steckte Schlag um Schlag ein, aber er gab nicht auf und kämpfte jeden Tag weiter. Jeder andere hätte längst aufgegeben.» Dasselbe gelte für die Angriffe gegen Trumps Wähler. Sie seien letztlich kontraproduktiv für die Demokraten. Er hat den Eindruck, von den Linken dauernd beleidigt zu werden. Jetzt werde den Latinos zum Beispiel unterstellt, sie seien Machos, und deshalb hätten sie Harris nicht gewählt. «Wie viele meiner Leute hätte auch ich absolut nichts gegen eine Präsidentin – wenn sie Mut hätte und nicht nur eine Marionette wäre.»
Noch auf einen anderen Grund für Trumps Beliebtheit weist er hin: «Viele Latinos kommen aus sozialistisch oder kommunistisch geführten Staaten wie Kuba, Venezuela oder Honduras. Sie reagieren allergisch auf linke Rezepte, weil sie deren Resultate aus erster Hand kennen.»
Aber abgesehen davon seien die Latinos kein homogener Block. Vielleicht sei es Trumps Erfolgsrezept gewesen, dass er die Leute eben nicht als Latinos, Schwarze, Natives oder Muslime angesprochen habe, sondern einfach als Amerikaner, als Arbeiter oder als Konservative, und sie sich dadurch integriert und ernst genommen gefühlt hätten.