Ein Video wird zum Spiegel von Ausländerhass und Hass auf die eigene Elite. Denn hatte man es nicht schon immer gewusst: Wer vorgibt, die FDP zu wählen, ist eigentlich ein «Prosecco-Nazi».
Sylt, das ist die Insel der sogenannten Schönen und Reichen. Ein deutscher Sehnsuchtsort, hoch oben im Norden. Noch-Deutschland und Fast-Dänemark. Hier werden deutsche Wagen gefahren und deutsche Hunde ausgeführt. Beliebte Hosenfarbe ist Weiss, das Hemd darf auch mal blassrosa sein. Beginnt es zu regnen, trägt man Barbour. Die Dächer der Häuser sind aus fröhlichem Reet, im BMW tingelt man von einem Hobbit-Dorf zum nächsten. Und vor der legendären «Sansibar» (in Sylt ist alles legendär) mummelt man sich beim Sonnenuntergang in eine Mercedes-Benz-Wolldecke ein.
Das ist Wahrheit und Klischee zugleich. Denn natürlich ist Sylt nicht nur die Insel der deutschen Schickeria, sondern auch die der Möchtegern-Schickeria. Der FDP-Chef Lindner hat hier seine Traumhochzeit gefeiert. Viele Deutsche unternehmen den Tagesausflug nach Westerland, dem Hauptort der Insel. Programm: «Scampi Knobi» essen bei Gosch, ein Glas Sekt trinken und die leichte Hose tragen. Zur Kulisse: «Betonsilos am Meer», notierte Walter Jens, «geballte Hässlichkeit über einer der scheusslichsten Strassen, Friedrichstrasse, einer misslungenen Mischung aus St. Pauli und Baden-Baden.»
«Deutschland den Deutschen»
Sylt ist schon lange schön und hässlich zugleich. Und man tritt der Insel nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass sie fast absolut deutsch ist. In einem Jahr kommen 98 Prozent der Touristen aus Deutschland, in einem anderen sind es 97 Prozent. Die Deutschen fühlen sich da oben pudelwohl, ja sie entwickeln ein fast mediterranes Lebensgefühl.
Über Pfingsten muss die Stimmung auch Bombe gewesen sein. Vor dem «Pony» in Kampen versammelten sich die Sylt-Profis zur Saisoneröffnung. Rosé, Aperol Spritz. Die unvermeidlichen weissen Kleider und Strickpullover, die um die Schultern hängen, denn auf der Insel kann es auch schnell mal kühl werden. Zur Melodie des Klubhits «L’amour toujours» von DJ Gigi D’Agostino wird gehüpft und gegrölt: «Ausländer raus, Ausländer raus. Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.»
Einfach sich selber sein: auf Sylt und Mallorca
Hätte Christian Kracht seinen Roman «Faserland» (1995) nicht schon geschrieben, er hätte diese Szene integrieren müssen. Der Protagonist reist von Sylt nach Deutschland, auf der Suche nach sich selbst und seinem Land. Hinter den Fassaden lauert meistens ein SPD-Nazi oder sonst etwas Kaputtes.
Die Szene vor dem «Pony» hat nichts Bedrohliches, schliesslich ist man ja unter sich. Auf Sylt (und auf Mallorca) kann man sich endlich mal von der politischen Korrektheit erholen, scheinen sich diese Leute zu denken. Wobei, man denkt gar nicht so viel. Einfach mal Elite sein, völlig losgelöst. Deutsche Neonazis hatten den Song von D’Agostino auch schon entweiht. Man war auf Sylt also nicht Avantgarde, aber immerhin. Und das wird man ja noch filmen dürfen!
Eine junge Frau nimmt sich sogar selbst beim «Ausländer raus»-Singen auf und lässt die Kamera schwenken. Toller Moment für einen anderen, der nun bouncend zwei Finger an die Lippen hält, um ein Hitlerschnäuzchen anzudeuten.
Die Frau von der Hundebettenfirma
Wer das Video gesehen hat, wusste sofort: Nun wird Deutschland ausser sich sein. Denn natürlich ist Sylt wegen seiner ganzen Deutschheit auch eine in weiten Teilen der Bevölkerung verhasste Insel. Endlich hatte man den Beleg dafür, dass diese Schnösel eben nicht nur FDP (was schlimm genug wäre), sondern sogar die AfD wählen. Ein Kommentator auf Twitter meint: «Wir sollten das Projekt Sylt insgesamt aufgeben und das Ding einfach komplett mit Windrädern zustellen, es reicht.» Ein anderer sieht in dem Video eine perfekte Werbung für die Erhöhung der Erbschaftssteuer auf 100 Prozent.
Von der Frau, die gefilmt hat, ist mittlerweile bekannt, dass sie als Presse-Expertin für ein Unternehmen, das auf Hundebetten und Hundepflegeprodukte spezialisiert ist, gearbeitet hat. Die Firma distanziert sich von dem «schlimmen Video» und weist darauf hin, dass die Frau schon seit über zwei Jahren nicht mehr da arbeite. Auch das legendäre «Pony» meldet: Tief schockiert, keinen Platz für Rassismus! Bei der Party hat der Klub nach eigenen Angaben davon nichts mitbekommen.
Ruf nach den Punks
Die ehemalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles postet ein Bild mit einer Gruppe Punks – diese hatten die Insel im letzten Jahr besetzt – und schreibt: «Eine antifaschistische Eingreiftruppe soll jetzt permanent auf Sylt stationiert werden.» Der Grüne Jürgen Trittin pflichtet ihr bei: «Ist angesichts der Umtriebe der Prosecco-Nazis von Sylt überfällig.» Deutschland, Kaputtland, Entnazifizierung 2.0 erforderlich? Ein Video von 14 Sekunden verdichtet Ausländer- und Elitenhass. Deutsche Befindlichkeiten.