Nordirland gehörte in den letzten Tagen zu den Epizentren der rechten Ausschreitungen im Vereinigten Königreich. Bei den Unruhen in Belfast übten probritische Loyalisten und irische Nationalisten einen überraschenden Schulterschluss.
Nach den schweren Unruhen der letzten Tage hatten die britischen Ordnungshüter für Mittwochabend erneut mit massiven rechten Protesten und Krawallen gerechnet. Am Ende aber blieb es in den englischen Städten vergleichsweise ruhig. Das grosse Polizeiaufgebot und die ersten verhängten Haftstrafen gegen Chaoten entfalteten eine abschreckende Wirkung. Zudem kam es vielerorts zu einem grossen Aufmarsch von friedlichen Gegendemonstranten.
Ein Epizentrum der Unruhen
In Nordirland hingegen flauten die ausländerfeindlichen Proteste vorderhand nicht ab. Nach Angaben der nordirischen Polizei wurden in Belfast in der Nacht auf Donnerstag fünf Männer im Alter zwischen 18 und 33 Jahren wegen Krawallen und Besitzes eines Molotow-Cocktails verhaftet. Ein Polizist wurde bei den Festnahmen verletzt und musste ins Spital eingeliefert werden.
Während es in Schottland nicht zu nennenswerten Protesten gekommen war, gehörte Nordirland in den letzten Tagen neben den nordenglischen Städten zu den Epizentren der Unruhen. Vor allem im Süden Belfasts, einem Stadtteil mit einem hohen ausländischen Bevölkerungsanteil, kam es zu schweren Sachbeschädigungen und Gewalt gegen Ausländer.
Rechte Krawallmacher griffen am Montag einen 50-Jährigen an und stampften mehrfach auf seinen Kopf. Die Behörden beschreiben den Zustand des hospitalisierten Opfers als ernst und stufen die Attacke als rassistisch motiviertes «Hassverbrechen» ein. Andere Chaoten schlugen die Fenster von Restaurants und Läden ein, verübten einen Brandanschlag auf einen syrischen Supermarkt und griffen ein islamisches Zentrum an.
Für Schlagzeilen sorgte auch der Fall einer philippinischen Mutter und Krankenschwester, die in der beschaulichen Ortschaft Ballyclare wohnt und im unter Personalmangel leidenden Gesundheitswesen arbeitet. Unbekannte warfen einen Backstein durch das Fenster ihres Wohnzimmers und zerstörten die Windschutzscheibe ihres Autos. Nun überlegt die eingeschüchterte Frau, Nordirland zu verlassen, wie sie gegenüber der BBC sagte.
Sondersitzung des Regionalparlaments
Für Aufsehen sorgte, dass im ausländerfeindlichen Saubannerzug in Belfast am Wochenende protestantische Loyalisten neben katholischen Nationalisten marschierten. Auf Bildern waren Protestierende mit der britischen Flagge neben Demonstranten mit der irischen Fahne zu sehen, was in den sozialen Netzwerken ein riesiges Echo auslöste. Denn im nordirischen Bürgerkrieg hatten sich die Loyalisten, die sich dem Vereinigten Königreich zugehörig fühlen, und die Nationalisten, die ein vereinigtes Irland anstreben, jahrelang bis aufs Blut bekämpft.
Der rechtsextreme Agitator Tommy Robinson schrieb auf X, Katholiken und Protestanten müssten sich vereinen, um die «sogenannte islamische Invasion» der irischen Insel zu stoppen. Gemäss der Volkszählung aus dem Jahr 2021 beträgt der muslimische Bevölkerungsanteil in Nordirland knapp 0,6 Prozent. In der irischen Republik machen Muslime rund 1,3 Prozent der Bevölkerung aus.
In den letzten Monaten hatten sich in Irland die Proteste gegen die Migration und die Aufnahme von Asylsuchenden gehäuft. Dies dürfte den Boden für den gemeinsamen Aufmarsch von Katholiken und Protestanten in Belfast gelegt haben. Gemäss Medienberichten sollen einige Krawallmacher über die Grenze aus Irland eingereist sein, um sich an den Unruhen in Nordirland zu beteiligen.
Allerdings bezweifeln Beobachter, dass dieser Schulterschluss nachhaltig ist. Auch ein Vierteljahrhundert nach Abschluss des Karfreitagsabkommens sind die konfessionellen Spannungen allgegenwärtig. Die ärmlichen Quartiere der protestantischen und jene der katholischen Arbeiterklasse in Belfast sind durch hohe Mauern und Zäune getrennt. Während die proirischen Nationalisten traditionell linksgerichtet sind, stehen die probritischen Loyalisten politisch rechts.
Den Schulterschluss übten am Donnerstag auch die politischen Parteien. Die Regionalpräsidentin Michelle O’Neill von der nationalistischen Sinn Fein und ihre Stellvertreterin Emma Little-Pengelly von der probritischen Democratic Unionist Party (DUP) wiesen die Gewalt in den nordirischen Strassen scharf zurück. Das Regionalparlament wurde für eine Sondersitzung aus den Sommerferien zurückbeordert. Die Abgeordneten stimmten einer Resolution zu, welche die Ausschreitungen und «jegliche Form von Islamophobie, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus» verurteilt.