Die starke operative Leistung, die Dezentralisierung, die Ausgliederung von Robotik und die positive Stimmung im wichtigen Markt für Rechenzentren sorgen für Schwung. Anleger können sich positionieren.
Bei ABB bleibt vieles im Fluss. Seit CEO Morten Wierod den Industrie- und Elektrikkonzern im vergangenen August übernommen hat, laufen Dezentralisierung und Restrukturierung weiter. Bester Beweis dafür ist die Ankündigung zur Abspaltung der Sparte Robotik & Fertigungsautomation. Geplant ist, den Bereich mit seinen 2,3 Mrd. $ Umsatz in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres an die Börse zu bringen. Ähnlich wie schon bei der Abspaltung der Turboladersparte 2022, die heute als Accelleron den Anlegern viel Freude macht. Mit beiden trennt sich ABB von Bereichen, die zyklisch und zu wenig profitabel sind (Robotik) oder strategisch nicht mehr passten (Turbolader).
Die heutige ABB (Asea Brown Boveri) entstand 1988 aus der Fusion der schwedischen ASEA und der schweizerischen BBC. Von Beginn an ist die Geschichte des fusionierten Konzerns geprägt von Strategiewechseln und charismatischen CEO, die nach intensiven, aber am Ende enttäuschenden Amtszeiten gehen mussten. Die unterschiedlichen Amtszeiten spiegeln sich im Aktienkurs.
Für nachhaltige Veränderung und Schwung sorgte Wierods Vorgänger Björn Rosengren, der kurz vor der Coronapandemie antrat und die Dezentralisierung anpackte. Das Handwerk dazu hatte Rosengren beim schwedischen Industriekonzern Atlas Copco gelernt, wo er in verschiedenen höheren Managementpositionen tätig war. Atlas Copco gilt als Vorzeigebeispiel für eine gelungene Dezentralisierung. Auf diesen Spuren wandelt nun ABB, die hinter ihren offen sichtbaren Strukturen achtzehn operative Untereinheiten betreibt. Jede für sich soll innerhalb eines definierten Rahmens unternehmerisch handeln, was sie näher an die Kunden bringt.
Können die ABB-Aktien den guten Lauf fortsetzen?
Dadurch machte der Schwede Rosengren ABB wesentlich profitabler, was den Investoren gefiel. Die Titel setzten zu einem langen Lauf von 14 auf 54 Fr. an, der erst durch die neue Handelspolitik der US-Regierung diesen Frühling an ein Ende kam. Die Frage ist nun: Können die Aktien von ABB wieder Fahrt aufnehmen und unter dem Norweger Wierod den Aufwärtstrend an der Börse nachhaltig fortsetzen?
Heute ist das Unternehmen weltweit führend in der Energie- und Automationstechnik und beliefert Kunden aus den Bereichen Strom-, Gas- und Wasserversorgung, Industrie, Verkehr und Infrastruktur. Die Aktivitäten sind derzeit in vier Geschäftsbereiche aufgeteilt: Elektrifizierung, Antriebstechnik, Prozessautomation sowie Robotik & Fertigungsautomation (noch). Damit profitiert das Unternehmen von Megatrends wie Elektrifizierung, Energiesicherheit, Emissionsreduzierung, Energieeffizienz und Automatisierung.
Der grösste und rentabelste Geschäftsbereich ist die Elektrifizierung. Hier gilt der riesige weltweite Bedarf an neuen KI-Datenzentren als Wachstumstreiber. ABB liefert vor allem die Strominfrastruktur im Mittelspannungsbereich für diese Anlagen. 2024 entfielen auf diesen Endmarkt rund 12% der Aufträge. In den vergangenen fünf Jahren ist das Geschäft im Schnitt um 25% gewachsen. Das Tempo dürfte sich fortsetzen. Experten rechnen damit, dass der Strombedarf für Datenzentren bis 2030 jährlich um 11% zunimmt.
Steigende Aufträge mit Datenzentren
Allerdings gab es auch Rücksetzer. Zunächst sorgte der Wirbel um das chinesische Start-Up DeepSeek für Unsicherheit. Anfang Jahr kündigte ABB-Grosskunde Microsoft an, seine Bestellungen bei einigen Projekten für rund 45 Tage zurückzustellen. Die USA, wo die meisten Datenzentren entstehen, sind der grösste Einzelmarkt von ABB. In den vergangenen drei Jahren hat der Konzern dort 500 Mio. $ investiert und baut die Produktion weiter aus. Für 120 Mio. $ sollen zwei Werke in Tennessee und Mississippi erweitert werden, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. ABB stellt 75 bis 80% der in den USA verkauften Produkte vor Ort her.
Der generelle Trend zum Ausbau von Datenzentren ist ungebrochen, wie das Unternehmen in einem Gespräch mit Analysten Ende Februar versicherte. Nur Kunde Microsoft pausierte kurz das Geschäft. Die allgemeine Stimmung bleibe stark und für das Gesamtjahr rechne ABB weiter mit steigenden Aufträgen.
Abgesehen von den Datenzentren wird das Geschäft mit der Elektrifizierung vom Megatrend Energietransformation angekurbelt. Laut Experten müssten die Kapazitäten für die Energieproduktion bis 2030 verdreifacht werden, um den weltweiten Bedarf zu decken. Strom ist dabei der Schlüsselfaktor, weil er geringere Emissionen verspricht. Allein die Investitionen in die Stromübertragung werden sich gemäss Schätzungen von ABB bis 2030 verdoppeln.
VR drängt auf Gewinn von Marktanteilen
Von diesem Nachfrageschub profitiert nicht nur ABB, sondern die gesamte Elektrotechnikbranche. Vorne dabei sind die Marktführer Schneider Electric aus Frankreich und die deutsche Siemens. Das vom ABB-Verwaltungsrat ausgegebene Ziel, nach der Verbesserung der Profitabilität unter Rosengren, nun unter Wierod Marktanteile zu gewinnen, führt über diese beiden Konzerne, was nicht ganz einfach wird.
Zudem sind Marktanteilsverschiebungen je nach Produkt schwer zu messen. Bisher geht es in kleinen Schritten voran. Zuletzt konnte ABB im Bereich Prozessautomation Anteile im Endmarkt Marine&Hafen gewinnen, wie ein Unternehmenssprecher auf Anfrage von The Market ausführt.
Ebita-Marge auf Rekordhoch
Dass ABB auf dem Wachstumspfad solide unterwegs ist, wird von den zuletzt ausgewiesenen Jahres- und Quartalszahlen gestützt. So gut wie 2024 lief es ABB in der langen Unternehmensgeschichte noch nie. Der vergleichbare Umsatz stieg um 3% auf 32,85 Mrd. $. Gleichzeitig nahm das Auftragsvolumen um 1% auf 33,69 Mrd. $ zu. Die operative Marge auf Stufe Ebita verbesserte sich markant auf 18,1 von zuvor 16,9%. Und unter dem Strich erhöhte sich der Konzerngewinn vergangenes Jahr 5% auf 3,94 Mrd. $. Auch das bereits abgeschlossene erste Quartal 2025 bestätigte den robusten Trend. Der Umsatz konnte 3% zulegen.
Beim Umsatzwachstum und den Margen bewegt sich ABB nun nahe dem Niveau der Konkurrenten Schneider Electric und Siemens. Ein Blick auf die Verschuldung stimmt ebenfalls optimistisch. So gelang es dem Unternehmen, 2024 im Vergleich zum Vorjahr seine Netto-Verschuldung von rund 2 Mio. $ auf gut 1,3 Mio. $ zu reduzieren. Im Jahr 2022 waren es sogar 2,8 Mrd. $. Dieser erfreuliche Rückgang ist hauptsächlich auf starke operative Cashflows zurückzuführen, die unter anderem durch ein effektives Working-Capital-Management und eine stabile Geschäftsentwicklung unterstützt wurden.
Mit einem Ebitda von rund 6,5 Mrd. $ ergibt das ein sehr gesundes Verschuldungsniveau. Die Nettoverschuldung im Verhältnis zum Ebitda beträgt 1,3.
Aktionärsfreundliche Ausschüttung
ABB könnte theoretisch 2025 schuldenfrei werden, da das Unternehmen hohe Cashflows erwirtschaftet. Der Free Cashflow stieg 7% auf 3,9 Mrd. $. Aber stattdessen dürfte ABB wohl die überschüssigen Mittel in Forschung und Entwicklung, den Ausbau der Fertigungskapazitäten, Übernahmen sowie Dividenden und Aktienrückkäufe investieren. Die Dividendenrendite beträgt aktuell 2,1%, ein neues Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 1,5 Mrd. $ läuft.
Darüber hinaus betrug die von ABB ausgewiesene Rendite auf dem eingesetzten Kapital (Return on Capital Employed, ROCE) rekordhohe 22,9%. ABB hatte sich zum Ziel gesetzt, einen ROCE von mehr als 18% zu erreichen, was übertroffen wurde. Ab 2021, also unter Rosengren als CEO und nach dem Verkauf der Turbolader, ist ein signifikanter Anstieg zu verzeichnen, was auf eine verbesserte Kapitalrendite und Effizienz im Unternehmen hindeutet.
Dies könnte sich mit dem Spin-off der Division Robotik noch verbessern. Die Robotik ist den Wirtschaftszyklen am meisten ausgesetzt. Nach einem Boom in den vergangenen Jahren ist nun angesichts der Unsicherheiten im Automobilsektor Schrumpfung angesagt. 2024 ging der weltweite Umsatz bereits leicht zurück. Auch die Preise für Roboter sind unter Druck, und mit der chinesisch kontrollierten Kuka und Fanuc aus Japan ist die Konkurrenz stark.
Auch die Margen lagen unter denen der anderen Divisionen. Die operative Ebita-Marge von ABB würde ohne die Einheit 0,5 Prozentpunkte höher ausfallen, wie Analysten schätzen. Falls sich ABB auch noch dazu entschliesst, den kleinen Unterbereich E-Mobility zu verkaufen, wäre sogar eine Marge von 20% möglich, was für einen Konzern in der Grössenordnung von ABB eine tolle Leistung wäre und den Aktien Schwung verleihen sollte. E-Mobility gilt als Bremse. Der Bereich meldete 2024 einen Verlust von 270 Mio.$, die Restrukturierung läuft. Ohne einen Verkauf ist eine Ebita-Marge von über 20% erst 2027 realistisch, wie Daten von S&P Capital IQ zeigen.
Ertragsqualität kommt vor Grösse
Die Entscheidung, die Division Robotik auf eigene Füsse zu stellen, wird daher von den Investoren geschätzt. «Mit dem Robotik-Spin-off setzt CEO Morten Wierod ein erstes grosses Zeichen: ABB strebt nach Ertragsqualität und Optimierung, nicht nach absoluter Grösse – ganz im Sinne der Anteilseigner», bewerten die Analysten der Zürcher Kantonalbank die Abspaltung. Geplant ist, die Anteile analog der Vorgehensweise bei Accelleron proportional an die ABB-Aktionäre abzugegeben.
Hauptsitz und Börsenplatz des Unternehmens sind noch nicht beschlossen. Neben Zürich kommt auch Stockholm infrage. Zudem läuft die Suche nach einem CEO. Bis zum 1. Januar 2026 sollte alles entschieden sein.
Die starke operative Leistung, die Dezentralisierung, die für Mehrwert sorgt, die Ausgliederung von Robotik und die anhaltend positive Stimmung im wichtigen Markt für Rechenzentren sollten die Bahn frei machen für ABB. Auch langfristig sind die Wachstumsaussichten dank der Megatrends im Bereich Energie intakt. Intern helfen die schlankeren Strukturen.
Bewertung stimmt optimistisch
Die Bewertung stimmt ebenfalls optimistisch. Mit Blick auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) müssen die Investoren etwa das 18-Fache des Gewinns bezahlen (für die nächsten 12 Monate). Die Titel waren schon deutlich teurer. Im Vergleich zu Marktführer Schneider Electric (KGV 23) sind ABB damit aktuell günstiger und in etwa gleichauf mit Siemens (KGV 18).
Bisher konnten die Aktien von ABB ihre Verluste in diesem Jahr, ausgelöst durch die weltweiten Ausverkauf an den Börsen, noch nicht ausgleichen. Das gibt Anlegern Zeit für einen Einstieg.
Spannend wird es, wenn die Titel sich ihrem Hoch von 54 Fr. nähern. Gut möglich, dass dann Investoren, die bereits länger in den Titeln investiert sind, Gewinne mitnehmen. Das sollte von neuen Engagements aber nicht abschrecken.