Die Freiberger sind die letzte Schweizer Pferderasse und gelten als Nationalstolz. Doch ihre Population ist so klein geworden, dass sie sich eine Stoffwechselkrankheit weitervererbt.
Den Fohlen war es nicht anzusehen, doch sie litten. Sie hatten massiv erhöhte Blutfettwerte, Fieber, Durchfall, Schmerzen. Die Tierärztinnen am Berner Tierspital behandelten die Jungpferde intensiv, aber vergebens – die Fohlen starben oder mussten eingeschläfert werden, insgesamt fünf Stück in den vergangenen vier Jahren. Bei allen handelte es sich um dieselbe Rasse: die Schweizer Freiberger.
Dass die Behandlungen erfolglos geblieben waren, machte den Ärzten Sorgen. Sie forschten nach den Ursachen für die rätselhafte, bisher unbekannte Krankheit der Pferde, verglichen deren Stammbäume – und fanden eine familiäre Häufung, also Hinweise auf einen möglichen neuen Gendefekt.
«Wir müssen so schnell wie möglich etwas unternehmen»
Dieser verursacht eine Stoffwechselerkrankung, die die Organe zerstört, vor allem die Bauchspeicheldrüse. Breitet sich der Defekt weiter aus, könnte er die Freiberger weiter dezimieren. Dabei sind sie schon die einzig verbliebene einheimische Pferderasse. Vinzenz Gerber ist der Direktor der Pferdeklinik und Professor an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern. Gerber sagt: «Die Population ist schon klein, wir müssen so schnell wie möglich etwas unternehmen.»
Jüngst war der Bestand der Pferde zwar wieder angestiegen. Laut der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope gab es im Jahr 2024 mehr als 19 500 Freiberger und 1700 neue Geburten. Doch 2011 waren es noch 21 000 Tiere und 2500 Geburten. Die Freiberger sind ein Schweizer Nationalstolz und Kulturgut. Einst im Einsatz für Militär und Landwirtschaft, sind die Kaltblüter heute als Allrounder-Pferde geschätzt. Der Freiberger ist ein sicheres, geselliges und gelassenes Pferd, leistungswillig beim Reiten oder Fahren.
Er verkörpert jene Eigenschaften, die die Schweizer sich auch von ihren menschlichen Einwohnern wünschen. Damit das genau so bleibt, ist das Herdbuch der Pferde seit 1998 geschlossen – es gibt keine Kreuzungen, keine Blutauffrischungen mehr, sondern nur noch Züchtungen innerhalb der eigenen Rasse.
Doch was gut ist für den Charakter und die besonderen Eigenschaften der Pferde, ist schlecht für ihren Genpool. Gerber sagt: «Ein gewisses Mass an Inzucht ist normal und gewollt.» Doch daraus ergebe sich auch ein erhöhtes Risiko für Erbkrankheiten. Ein Phänomen, das man aus allen Tierrassen kennt, die reinrassig gezüchtet werden.
«Wir betreiben nun Detektivarbeit»
Tosso Leeb, Direktor des Instituts für Genetik und Professor an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, sagt, dass gerade bei Rindern rezessive Erbkrankheiten gang und gäbe seien. Der Ausbruch neuer Erbkrankheiten lasse sich nicht mit absoluter Sicherheit verhindern. Das zeigt das Beispiel der Rinder. «Aber mit einer guten Überwachung kann man früh gegensteuern», sagt Leeb. Im Optimalfall identifiziert man den ersten Fall und leitet sofort Massnahmen ein, zum Beispiel, indem man von ihm keine Nachkommen mehr zeugt.
Eine Analyse der Stammbäume von den im Berner Tierspital verstorbenen Fohlen ergab, dass sie alle von einem sehr häufig zur Zucht eingesetzten Hengst mit vielen Nachkommen abstammten. Dessen Namen und Herkunft wollen Gerber und Leeb bewusst nicht öffentlich machen, ehe sie nicht mit absoluter Sicherheit sagen können, dass dieser Patient null war. Sie vermuten, dass es eine Dunkelziffer an Fohlen gibt, die an den Folgen des Gendefekts erkrankten und starben.
Freiberger werden oft als Nutztiere eingesetzt, Besitzer können oder wollen sich teure Untersuchungen am Tierspital nicht leisten und bringen ihr krankes Pferd nicht in eine Klinik nach Bern oder Zürich. Der Fall wird damit nicht erfasst.
Tosso Leeb vom Berner Institut für Genetik sagt: «Wir betreiben nun Detektivarbeit.» Seine Forscher und er gehen bis zu zehn Generationen zurück in der Ahnengeschichte der Freiberger-Zucht, untersuchen auffällige Krankengeschichten vom Tierspital oder von Pferdekliniken. Auch private Züchter sollen sich melden, wenn sie Erfahrungen mit verstorbenen Fohlen gemacht haben, deren Todesursache unklar blieb.
Nach der Stammbaumanalyse folgt in Leebs Labor eine molekulargenetische Analyse, die die krankheitsverursachende DNA-Veränderung und das fehlerhafte Gen identifizieren soll.
Am Ende der Forschung wollen Tierspital und Uni einen neuen Gentest entwickeln, um herauszufinden, welche Pferde das veränderte Gen in sich tragen und die Krankheit vererben können. «Wir hoffen, den Test bis zur nächsten Deck-Saison im kommenden Frühjahr entwickeln zu können», sagt Tosso Leeb. Damit der Samen von belasteten Hengsten dann nicht mehr zur Deckung eingesetzt wird.
Test soll Risiko-Anpaarungen vermeiden
Für einen anderen Gendefekt gibt es solche Tests. 2011 war die Erbkrankheit Caroli-Leberfibrose (CLF) unter Freibergern entdeckt worden. Hengste, die positiv auf CLF getestet wurden, wurden kastriert, euthanasiert oder ihr Samen nicht mehr zur Zucht verwendet. Das soll nun anders werden. Vinzenz Gerber, der Direktor der Pferdeklinik, sagt: «Mit dem Gentest sollen die Träger des Gendefekts deklariert werden, damit die Züchter Risiko-Anpaarungen vermeiden können.»
Die neue Krankheit vererbt sich nur, wenn Hengst und Stute beide das defekte Gen in sich tragen, nur dann kann ein krankes Fohlen geboren werden. Die Träger des Gendefekts selbst sind völlig gesund und weiter zur Zucht geeignet – sofern man sie nicht untereinander verpaart.