Die grosse muslimische Gemeinschaft in Michigan ist wütend über die Solidarität des Präsidenten mit Israel. Das zeigt sich nun in der Vorwahl der Demokraten: Jeder siebte Wähler in dem wichtigen «Swing State» legte eine Proteststimme ein.
Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner führten am Dienstag in Michigan ihre Vorwahlen durch. Alle Augen waren dabei vor allem auf Präsident Joe Biden gerichtet. Seinen einzigen Gegenkandidaten, den unbekannten Kongressabgeordneten Dean Phillips, musste er nicht fürchten. Aber auf den Wahlzetteln in Michigan gibt es auch die Option «uncommitted» (neutral). Und vor allem Anführer der grossen arabischstämmigen Gemeinschaft in dem Gliedstaat riefen die Wähler dazu auf, aus Protest gegen Bidens Solidarität mit Israel dieses Kästchen anzukreuzen.
So lieferte die Vorwahl einen ersten Anhaltspunkt darüber, wie gross der Riss ist, der wegen des israelischen Kriegs gegen die Hamas durch die Demokratische Partei geht. Nach Auszählung der Stimmen tut sich ein beträchtlicher Graben auf: 13.3 Prozent der Wähler machten das Kreuz bei «uncommitted» – rund 100 000. 80 Prozent stimmten für Biden. Phillips erhielt knapp 3 Prozent der Stimmen.
Druckmittel für einen Waffenstillstand
Allerdings scheint sich der demokratische Unmut in Michigan nicht nur auf die Muslime zu beschränken. In Detroit, wo der arabischstämmige Wähleranteil besonders hoch ist, legten 24 Prozent eine Proteststimme ein. Im Vorort Dearborn waren es gemäss den vorläufigen Resultaten gar 75 Prozent. Aber auch im Bezirk Washtenaw, zu dem die Universitätsstadt Ann Arbor gehört, stimmten 17 Prozent «uncommitted». Das ist ein mögliches Zeichen dafür, dass Biden auch ein Problem mit jungen Wählern und insbesondere Studenten hat.
Zu den Anführerinnen des innerparteilichen Protests gehört die in Detroit geborene Kongressabgeordnete Rashida Tlaib. Die Tochter palästinensischer Einwanderer gehörte 2018 zu den zwei ersten Musliminnen, die ins amerikanische Repräsentantenhaus einzogen. Sie habe «neutral» gewählt und sei stolz darauf, erklärte sie am Dienstag. «Wenn 74 Prozent der Demokraten in Michigan einen Waffenstillstand unterstützen, aber Präsident Biden uns nicht erhört, ist das ein demokratisches Mittel, um uns Gehör zu verschaffen.»
Die Protestbewegung hofft, dass sie Biden mit diesem Warnsignal dazu bringen kann, mehr Druck auf Israel auszuüben. Der Präsident indes scheint sich des Problems durchaus bewusst zu sein. Am Vorabend der Vorwahl in Michigan zeigte er sich zuversichtlich, dass ein Waffenstillstand im Gazastreifen in den nächsten Tagen erreicht werden könnte. Das Timing dieser Erklärung war kaum ein Zufall.
Michigan gehört zu den wichtigen Swing States, die Biden im November für eine Wiederwahl unbedingt gewinnen muss. Vor vier Jahren gewann der Präsident in dem Gliedstaat knapp 3 Prozent mehr Stimmen als Donald Trump. In absoluten Zahlen wies er einen Vorsprung von 155 000 Stimmen auf. Hillary Clinton hatte Michigan gegen Trump hingegen mit rund 11 000 Stimmen Rückstand verloren.
Die grösste Unterstützung erhielt Biden damals in der Grossstadt Detroit, dem historischen Zentrum der amerikanischen Autoindustrie. Deshalb unterstützte er im vergangenen Jahr auch den Streik der Autogewerkschaften. Im September besuchte er als erster amerikanischer Präsident einen Streikposten, setzte sich eine Mütze der Gewerkschaft auf und sagte durch ein Megafon: «Ihr verdient verdammt viel mehr, als ihr jetzt bezahlt kriegt.» Im Gegenzug sprach sich die Gewerkschaftsführung im Januar für Bidens Wiederwahl aus.
Risse in beiden Parteien
Doch dann kamen der brutale Terrorangriff der Hamas auf Israel und der Krieg im Gazastreifen. Während sich Biden mit Israel solidarisierte und bis heute keinen sofortigen Waffenstillstand fordert, fühlten die vielen muslimischen Amerikaner in Michigan mit den Palästinensern im Gazastreifen. Vor allem in Detroit und seinem Vorort Dearborn leben viele Wähler mit arabischen Wurzeln. Insgesamt 200 000 von ihnen sind muslimischen Glaubens. Rund 70 Prozent von ihnen stimmten 2020 für Biden.
Als der Präsident den Gliedstaat zu Beginn dieses Monats besuchte, wurde er von propalästinensischen Demonstranten begleitet. Sie beschimpften ihn als «Genozid-Joe» und skandierten eine Zeile aus einem Protestsong gegen den Vietnamkrieg: «Wie viele Kinder hast du heute getötet?»
Kritiker werfen der Protestbewegung derweil vor, dass sie damit Bidens Wiederwahl gefährden und Donald Trump zum Sieg verhelfen könnte. Dieser hatte in seiner ersten Amtszeit eine äusserst israelfreundliche Aussenpolitik betrieben und ein umstrittenes Einreiseverbot in Bezug auf mehrere muslimische Länder verhängt. Trump hat zudem versprochen, ein erneutes Verbot zu implementieren, sollte er ins Weisse Haus zurückkehren.
Der 33-jährige Bürgermeister von Dearborn, Abdullah Hammoud, weist diese Kritik jedoch von sich. «Trump ist eine Gefahr für die amerikanische Demokratie», gestand er kürzlich in einem Interview mit CNN ein. Aber die Frage sei, was Biden zu tun gedenke, um den Untergang der Demokratie zu verhindern. «Warum ist eine Allianz mit Benjamin Netanyahu und der vielleicht rechtsextremsten Regierung in der israelischen Geschichte es wert, unsere Demokratie zu opfern?»
Ob die Protestbewegung ihr Ziel aber wirklich erreichen kann, ist fraglich. Biden und seine Regierung haben den Druck auf Israel zwar erhöht, indem sie vor allem Ministerpräsident Netanyahu schärfer kritisierten. Aber wirklich schmerzhafte Sanktionen hat Washington bisher weder angekündigt noch implementiert. Biden hat dafür auch innenpolitische Gründe. Während der linke Flügel seiner Partei und die arabischstämmigen Wähler wichtig sind für seine Wiederwahl, darf er auch die politische Mitte und darunter auch gemässigte Republikaner nicht vergessen.
Die republikanischen Vorwahlen in Michigan zeigten erneut, dass rund ein Drittel der Konservativen nicht von Trump überzeugt sind. Nach der Auszählung von 22 Prozent der Wahlzettel zeigte sich am Dienstagabend folgendes Resultat: Knapp 30 Prozent der Stimmen gingen an Nikki Haley. Trump erhielt rund 67 Prozent. Der Graben in der Republikanischen Partei scheint daher mindestens so gross zu sein wie der Riss in der Demokratischen Partei. Und wenn Biden seiner Linie gegenüber Israel treu bleibt, kann er damit vielleicht die Stimmen in der Mitte wieder wettmachen, die er am linken Rand verliert.