Nach dem Ende der Barnier-Regierung kommt Bewegung in die französische Politik. Der Parti Socialiste, der sich am Sturz des Premierministers beteiligte, will jetzt mit Liberalen und Konservativen kooperieren. Alte Bündnispartner wittern Verrat.
Es soll dieses Mal keine Wochen oder Monate dauern, bis Frankreich wieder eine Regierung hat. Dieses Versprechen gab Emmanuel Macron am Donnerstagabend in einer Rede an die Nation, wenige Stunden nachdem Michel Barnier im Élysée-Palast seinen Rücktritt als Premierminister eingereicht hatte.
Macrons Fernsehansprache dauerte für seine Verhältnisse erstaunlich kurz, nur zehn Minuten, und der französische Präsident wirkte miesepetrig. Er werde nicht zurücktreten, denn er habe sich nichts vorzuwerfen, sagte er sinngemäss. Für die nächsten 30 Monate, bis zum Ende seines Mandats 2027, müssten die Franzosen schon mit ihm durchhalten. Und den neuen Premierminister, den werde er «in den kommenden Tagen» ernennen.
Die «Neue Volksfront» am Ende
Wer aber soll der Neue sein? Bemerkenswert war, dass Macron in seiner Rede «linksextremen und rechtsextremen Kräften» eine «antirepublikanische» Gesinnung vorwarf. Da durfte sich die Partei La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) und das Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen angesprochen fühlen. Macron warf aber auch den Sozialisten, Kommunisten und Grünen, die gemeinsam mit La France Insoumise das Linksbündnis Nouveau Front populaire bilden, vor, «Komplizen» zu sein. Schliesslich habe deren vereinter Misstrauensantrag Barnier zu Fall gebracht.
Ignorieren kann Macron die gemässigteren Linken inzwischen aber kaum noch. Am Freitag zeigte sich Olivier Faure, der Erste Parteisekretär der Sozialisten, offen für eine Zusammenarbeit mit den Liberalen und den Konservativen. Er wünsche sich Verhandlungen mit dem Lager des Präsidenten und den rechten Républicains, um eine neue Regierung zu bilden, so Faure in einem Interview mit dem Sender France Info. Dafür müsse es aber «gegenseitige Zugeständnisse» geben. Das war insofern eine kleine Sensation, als der Parti Socialiste nach der Parlamentswahl im Sommer eine Koalition ausserhalb der Neuen Volksfront noch kategorisch ausgeschlossen hatte.
Damals fühlte sich das linke Lager noch im Siegesrausch. Es hatte bei der Stichwahl am 7. Juli mehr Sitze als alle anderen Kräfte bekommen. Dies aber nur, weil nicht allein die Linken ihre Reihen geschlossen hatten, sondern eine breite republikanische Front gegen die Partei von Marine Le Pen gebildet worden war. Die Parteien hatten sich geeinigt, in Wahlkreisen, wo das RN in Führung lag, jeweils nur einen Gegenkandidaten ins Rennen zu schicken. Le Pens Sieg wurde so verhindert. Doch eine absolute Mehrheit erzielte die Neue Volksfront bei der Wahl auch nicht.
Das Linksbündnis besteht heute fast nur noch auf dem Papier. Faure und seine Sozialisten hatten in den vergangenen Wochen zunehmend Mühe, ihre Allianz mit La France Insoumise zu rechtfertigen. Differenzen gab es zwischen dem eher staatstragenden Parti Socialiste (der in Frankreichs jüngerer Geschichte zwei Präsidenten stellte) und der Partei der «Unbeugsamen», in deren Reihen sich revolutionäre Antikapitalisten und Anti-Israel-Aktivisten tummeln, von Anfang an.
Jean-Luc Mélenchon, deren Parteichef, forderte nach dem Sturz Barniers, dass Macron umgehend zurücktrete. Von dieser Forderung aber distanzierte sich Faure am Freitag deutlich. Er wolle dem «Wahnsinn» keinen weiteren hinzufügen, sagte er, das bringe nur noch mehr Chaos. Nicht wenige in seiner Partei argumentieren ähnlich, eine PS-Abgeordnete hatte aus Sorge um eine Verschärfung der Krise sogar gegen das Misstrauensvotum gestimmt. Viele Sozialisten plagen auch Gewissensbisse, dass ihr Antrag nur mit den Stimmen des RN durchging. In seinem Misstrauensantrag bezeichnet sich der linke Block als «Bollwerk gegen die extreme Rechte».
Macron will seine Rentenreform retten
Mit Faure, der dem Mitte-rechts-Lager die Hand reicht, ist nun etwas Bewegung in die französische Politik gekommen. Auch Gabriel Attal, Macrons früherer Premierminister, hatte zuvor allen Kräften ausser den Lepenisten und Mélenchonisten einen neuen republikanischen Pakt vorgeschlagen. Doch kaum verliess Faure am Freitag den Élysée-Palast, meldeten sich die ersten Kritiker: Bruno Retailleau etwa, der nur noch geschäftsführende Innenminister, vom rechten Flügel der Konservativen. Er sagte, er könne niemals einen Kompromiss mit den Linken schliessen, nachdem diese sich mit La France Insoumise in ein Boot gesetzt hätten.
Mélenchon wiederum wetterte am Freitag gegen den «Verrat», den Faure an den Ideen der Neuen Volksfront begehe. Und auch die Chefin der französischen Grünen, Sandrine Rousseau, bat die Sozialisten, sich politisch nicht zu «verirren». Man kämpfe immer noch für gemeinsame linke Ideen.
Das Programm der Neuen Volksfront ist in vielerlei Hinsicht eine Kriegserklärung an Macrons Politik, von einer Umverteilung des Reichtums, einer Abschaffung der Rentenreform oder der Anerkennung eines palästinensischen Staates ist dort etwa die Rede. Gerade bei seinen Rentenplänen aber will der französische Präsident keine Abstriche machen, das ist auch einer der Gründe, warum er einen linken Premierminister bisher ablehnte.
Sollten sich die Zentristen, Liberalen, Konservativen und Sozialisten tatsächlich zusammensetzen, was derzeit eher wenig wahrscheinlich ist, würde es für eine gemeinsame Regierung immer noch nicht reichen, denn gemeinsam kommen die Gruppen auf 276 Sitze im Parlament, für eine absolute Mehrheit braucht es aber mindestens 288 Stimmen. Man muss schon viel Phantasie für Macrons Versprechen einer schnellen Regierungsbildung aufbringen.








