Gefördert von Bertolt Brecht, wurde ein Regisseur aus der Romandie zur zentralen Figur der DDR-Theaterszene. Eine Ausstellung im Strauhof folgt den Spuren von Benno Besson in Ostberlin.
Was hatte die DDR mit der Schweiz zu tun? Nicht allzu viel, würde man meinen. Die DDR war aus demokratisch-schweizerischer Sicht kommunistisches Feindesland. Diplomatische Beziehungen zwischen den ungleichen Ländern wurden erst 1972 aufgenommen.
Ausgerechnet ein Schweizer aber hat die DDR-Kulturszene während des Kalten Krieges wesentlich mitgeprägt: der Theaterregisseur Benno Besson. Seiner schillernden Mission in Diensten des sozialistischen Staates ist die aufschlussreiche, vom Theaterhistoriker Christian Mächler kuratierte Ausstellung «Die Macht von Theater im Kalten Krieg» gewidmet, die derzeit im Zürcher Strauhof zu sehen ist.
Bessons Karriere beginnt in der Schweiz. Atmosphärische Fotos aus den 1940er Jahren zeigen Seelandschaften und Rebberge der Romandie. 1922 in Yverdon geboren, begeisterte sich Besson schon als Jugendlicher für Molière und Rabelais. Er formierte eine Schauspieltruppe, die ihre Produktionen mit Fahrrad und Pferdewagen in die Waadtländer Dörfer brachte.
Bekanntschaft mit Frisch und Brecht
Es brauchte aber eine Stadt wie Zürich, wo Besson Romanistik studierte und am Schauspielhaus als Assistent arbeitete, um mit der internationalen Literatur- und Theaterszene in Kontakt zu kommen. In Zürich lernte Besson Max Frisch kennen, der mit seiner Schwester Madeleine liiert war. Und als 1947 Bertolt Brecht aus den USA, wo er als Sozialist vertrieben worden war, in die Schweiz kam, suchte Besson sofort den Kontakt. Er half dem Deutschen, eine Wohnung am Zürichsee zu finden, und scharte eine Gruppe von Künstlern und Intellektuellen um den Theater-Guru. Schliesslich überzeugte er Brecht von seiner eigenen Kompetenz.
Als Bertolt Brecht 1949 nach Ostberlin weiterzog, um das Berliner Ensemble zu gründen, war im Tross auch Benno Besson dabei. In Briefen machte er sich lustig über die Angst der Schweizer vor dem roten Terror. Als junger Mann der Kommunistischen Partei beigetreten, neigte er zur Idealisierung ostdeutscher Zustände, obwohl ihn Brecht vor einem «Leben in Trümmern» gewarnt hatte. Besson war begeistert von den Leuten, die sonntags beim Wiederaufbau mithalfen. In den Strassenbahnen schimpften sie lauthals über die Obrigkeit, wenn ihnen etwas nicht passte – offenbar ganz ähnlich wie die demokratischen Schweizer. Besonders Freude hatte der Schweizer an der Volkspolizei, weil er in diesem «lustigen Korps» viele hübsche Frauen entdeckte.
Besson, der im Berliner Ensemble als «Südländer» galt und Bertolt Brechts Strenge mit sanguinischer Lebensfreude kontrastierte, war kein strenger Ideologe. Das Theater hielt er tatsächlich für eine Form von Unterhaltung, was er durchaus als ehrenwertes künstlerisches Ziel begriff. Politische und künstlerische Dogmen nahm er sich hingegen nicht allzu sehr zu Herzen. Das sollte sich in seinen DDR-Jahren immer wieder zeigen.
Zunächst im Berliner Ensemble. Besson verstand sich gut mit Brecht, der ihn förderte. Seinerseits sorgte Besson mit einem Gastspiel von «Mutter Courage» in Paris für einen neuen Brecht-Boom mit internationaler Ausstrahlung. Aber Besson nahm sich stets Freiheiten heraus und hielt sich nicht an Brechts Proben-Notate, was im Berliner Ensemble als eine Art Gotteslästerung empfunden wurde.
Mit Bessons Inszenierung von Molières «Don Juan» weihte das Berliner Ensemble 1954 sein neues Theater im Schiffbauerdamm ein – eine Ehre für den Schweizer. Als Brecht 1956 starb, kam es zu Erbfolgestreitigkeiten. Der Schweizer geriet unter Druck: Er müsse sich dem Kollektiv anpassen, verlangte Brechts Frau Helene Weigel. Ein Kollektiv könne auch einfach «eine Bande» sein, fand Besson.
Das Misstrauen der Stasi
Er musste das Berliner Ensemble verlassen, nicht aber die DDR. Vielmehr wurde ihm die Leitung des Deutschen Theaters anvertraut, wo er abermals Erfolge feiern konnte. Mit der Inszenierung des «Drachen» beispielsweise, einem Stück des russischen Dramatikers Jewgeni Schwarz, der seine Kritik an der sozialistischen Diktatur durch einen märchenhaft-phantastischen Stoff verkleidete. Es zeigt, dass der Schweizer Kommunist durchaus bereit war, auf Distanz zu den DDR-Machthabern zu gehen. Diese aber wollten das nicht merken. Der stellvertretende Ministerpräsident Walter Ulbricht schaute sich das Stück an und war begeistert.
Zum Grosserfolg wurde auch die Inszenierung von Aristophanes’ «Frieden». Besson hatte auf eine Übersetzung des Dramatikers Peter Hacks gesetzt. Die Inszenierung wurde überdies von Jazzmusikern mitgestaltet. So zeigte sich, wie Benno Besson die ganze Kulturszene einzubeziehen suchte. Das galt erst recht für seine Intendanz an der Berliner Volksbühne von 1969 bis 1978, wo er mit neuen Formen für Furore sorgte. An den sogenannten Spektakeln wurde mehrere Tage in Folge rund um die Uhr auf der Bühne und im Foyer Theater gespielt. Dabei gelang es Besson, auch Stücke von politisch umstrittenen Dramatikern wie Heiner Müller und Christoph Hein zur Aufführung zu bringen.
Dass der Schweizer früher oder später das Misstrauen der Stasi weckte, verwundert nicht. In den Akten – in der Ausstellung einzusehen – werden vor allem Bessons Abwesenheiten und Gastspiele im kapitalistischen Ausland moniert. Dass es 1978 schliesslich zum Bruch mit dem DDR-Regime gekommen ist, lag aber an Besson, der seine Saisonplanung nicht länger vom Regime genehmigen lassen wollte. Theaterinteressierte Genossen wurden zwar bei Erich Honecker persönlich vorstellig, er möge den talentierten und weltberühmten Schweizer doch möglichst weiterhin ans DDR-Theater binden. Trotzdem reiste Benno Besson nun zurück in den Westen, in die Schweiz, wo er von 1982 bis 1989 die Genfer Comédie leitete. 2006 starb er in Berlin.
Eindrückliche Zeugnisse
Die Ausstellung im Strauhof möchte zeigen, wie Benno Besson «das Theater befreite», wie es im Untertitel des Katalogs heisst. Wie Besson selbst als Künstler gewirkt hat, ist retrospektiv aber nicht leicht nachzuvollziehen. Seine Theaterarbeit, die weniger auf Theorien als auf Improvisation und Experiment basierte, wird im Strauhof durch Skizzen, Fotografien und alte Filmaufnahmen dokumentiert. So wird deutlich, wie viel Detailarbeit man in Kulissen und Kostüme investierte – in einer Zeit, in der man ohne Multimedia auskommen musste. Deutlich wird auch, wie sehr Besson Gestik und Schrittfolgen probte. Aber lebendig wird seine Kunst dadurch nicht mehr.
Umso eindrücklicher sind die schriftlichen Zeugnisse seines kulturpolitischen Wirkens, das trotz einer gewissen Loyalität dem DDR-Regime gegenüber darauf ausgerichtet war, grosse Künstler unterschiedlicher Couleur auf die Bühne zu bringen.
Die Macht von Theater im kalten Krieg. Zürich, Strauhof, bis 29. Juni.