Der Chef der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer erhofft sich in Steuerfragen einen Schulterschluss mit den USA. Vielleicht könne die Schweiz in den Genuss eines amerikanischen Schutzschildes kommen, um die Mindestbesteuerung auszuhebeln.
Europa befindet sich in einer Schockstarre: Donald Trump stellt derzeit viele internationale Abkommen infrage, um die herum der alte Kontinent seine Wirtschaftsordnung gebaut hat. Zum Beispiel eine Vereinbarung der OECD, die eine globale Mindestbesteuerung von 15 Prozent bei grossen Firmen sicherstellen soll.
In einem Dekret machte Trump am 20. Januar klar, dass dieser «Global Tax Deal» für die USA «keine Gültigkeit und Wirkung hat». Er droht Staaten, die Steuern erheben wollen, die «extraterritorial sind oder amerikanische Unternehmen unverhältnismässig stark betreffen», Konsequenzen an: Innert 60 Tagen wollen die USA nun präzisieren, was das genau bedeutet.
Vor allem die EU stehen hinter den Mindeststeuern
Die Durchsetzung von Mindeststeuern ist vor allem den EU-Ländern ein Anliegen – und auch die Schweiz sah sich veranlasst, mitzumachen. Nach einer Volksabstimmung im Sommer 2023 hat sie die entsprechenden Zusatzsteuern auf Anfang dieses Jahres eingeführt – so dass grosse Firmen nun mindestens 15 Prozent Steuern bezahlen.
Wird das OECD-Abkommen nun obsolet, wo die grösste Wirtschaftsmacht dieses rundweg ablehnt?
Das erhofft sich Rahul Sahgal, der Chef der Swiss-American Chamber of Commerce. Er sieht sogar einen möglichen Schulterschluss mit den USA. «Ich bin daran, eine Delegation aus Schweizer Firmen mit grossem US-Geschäft und amerikanischen Firmen mit grossen Ablegern in der Schweiz zusammenzustellen. Die Idee ist, dass wir in den nächsten Wochen nach Washington reisen, um uns dort mit der Regierung und dem Kongress über die OECD-Mindestbesteuerung auszutauschen», sagt Sahgal.
Interessen der Schweiz und der Republikaner decken sich
Die Interessen der Schweiz deckten sich bei der Unternehmensbesteuerung in vielen Bereichen mit den Vorstellungen der US-Administration: tiefe Steuersätze und dafür nur wenige Abzüge.
«Der Königsweg wäre, dass die Schweiz wieder aus der OECD-Mindeststeuer aussteigt, falls das machbar ist, ohne den Zorn der EU zu erregen», sagt Sahgal. «Vielleicht ist es möglich, auszuhandeln, dass die Schweiz unter den UTPR-Schutzschirm der USA kommt, was womöglich auch im Interesse der jetzigen US-Regierung ist.»
UTPR ist der Name einer ungewöhnlichen Massnahme, die helfen soll, die Mindestbesteuerung weltweit durchzusetzen: Sie gibt einem Land das Recht, Unternehmen mit Hauptsitz in Staaten, welche die Mindeststeuer von 15 Prozent nicht erheben, «nachzubesteuern». Sahgal sieht also die Möglichkeit, dass dank den USA Firmen in der Schweiz vor dem Zugriff des Fiskus anderer Länder geschützt wären.
Würden die USA dazu wirklich Hand bieten? Die Republikaner wollten ja erreichen, dass die OECD-Mindeststeuern definitiv vom Tisch seien und nicht zurückkehrten, falls in vier Jahren die Demokraten wieder an die Macht kämen, argumentiert Sahgal. «Ausserdem sind die USA der grösste ausländische Investor in der Schweiz und haben auch deshalb ein Interesse, dass die hiesigen Ableger von amerikanischen Konzernen steuerlich nicht über Gebühr belastet werden.»
Ob das realistisch ist? Steuerexperten zeigen sich skeptisch. Klar ist aber, dass die Mindestbesteuerung, die den Standortwettbewerb stark einschränkt, bei uns viele Feinde hat.
«Das ideale Szenario für die Schweiz wäre, wenn das OECD-Regelwerk nun in sich zusammenfällt», sagt Martin Hess, Leiter Steuern bei Swissholdings, dem Verband der multinationalen Unternehmen in der Schweiz. «Doch wir gehen nach unseren aktuellen Informationen davon aus, dass die EU an diesem festhalten will, da viele europäische Länder Geld benötigen.»
Doch ein Szenario, bei dem Europa Regeln aufrechterhält, um die sich alle anderen foutieren, ist noch viel schlechter als der Status quo: «Das Schlimmste aus Schweizer Sicht wäre, wenn wir bei den Unternehmenssteuern in eine Art Geiselhaft der EU kämen, während andere Standorte wie etwa Singapur, die mit uns in direkter Konkurrenz stehen, keiner Mindestbesteuerung unterliegen», sagt Hess.
EU wird sich nicht gegen die USA stellen
Genau dies zeichnet sich momentan ab. «Die EU hat viel politisches Kapital in die OECD-Mindeststeuer investiert. Es scheint mir unwahrscheinlich, dass sie jetzt davon ablässt», sagt Roger Krapf, Managing Partner Tax & Legal EY Schweiz. «Gleichzeitig wird sie sich nicht gegen ihren wichtigsten Handelspartner, die USA, stellen. Die Schweiz steht irgendwo dazwischen und muss eine neue Interessenabwägung vornehmen.»
Krapf findet es daher wichtig, dass die Schweiz zu verstehen versucht, in welche Richtung die US-Regierung genau zielt. Diese habe sich erstaunlich schnell und scharf gegen die OECD-Mindeststeuer ausgesprochen. «Aber die Executive Order ist sehr kurz. Nun obliegt es der Verwaltung, die Details auszuarbeiten.»
Krapf gibt zu bedenken, dass kein Land verpflichtet ist, bei der OECD-Mindeststeuer mitzumachen. Die Schweiz habe zwar eine Verfassungsgrundlage, die dem Bundesrat erlaube, Ergänzungssteuern zu erheben. Er könne dies tun, müsse aber nicht. «Natürlich hat der Schweizer Stimmbürger Ja gesagt, aber dies geschah unter der Prämisse, dass die OECD alle Länder hinter sich bringt.»
«Wenn andere plötzlich die Spielregeln ändern, wird auch der Bundesrat über die Folgen für die Schweiz diskutieren», sagte vor kurzem bereits Wirtschaftsminister Guy Parmelin in der «NZZ am Sonntag».
Ein Artikel aus der «»