Der Sektor hat im ersten Halbjahr erhebliche Schwankungen mitgemacht. Im historischen Vergleich ist er nicht teuer bewertet. Positive Studiendaten und Übernahmefantasie könnten in den kommenden Monaten für Auftrieb in den Kursen sorgen.
Die amerikanischen Aktienmärkte tasten sich weiter voran. Der US-Leitindex S&P 500 schloss am Dienstagabend 0,3% höher und notiert auf Rekordniveau. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten gewann 0,7%. Auch er bewegt sich auf Allzeithoch.
Für Auftrieb sorgt das Indexschwergewicht Apple. Die Aktien des iPhone-Herstellers haben gestern mehr als 7% zugelegt und mit 207.15 $ erstmals seit Mitte Dezember ein Allzeithoch markiert. Zuversicht geben erste konkrete Anhaltspunkte zur Strategie im Bereich künstliche Intelligenz – ein markanter Stimmungswechsel, nachdem die erste Reaktion zu Wochenbeginn negativ ausgefallen war.
Zu den neuen Funktionen der «Apple Intelligence» genannten KI-Dienste, die an der Entwicklerkonferenz WWDC vorgestellt wurden, gehört hauptsächlich ein Upgrade der digitalen Assistentin Siri. Angekündigt wurde zudem eine Zusammenarbeit mit dem KI-Pionier OpenAI. Ebenso präsentierte Konzernchef Tim Cook ein Software-Update für das iPhone, für die Apple Watch und für Mac-Computer.
Ob das reicht, um einen grösseren iPhone-Erneuerungszyklus auszulösen, bleibt umstritten. Im Zug der Kursavancen ist Apple mit einer Marktkapitalisierung von 3,2 Bio. $ wieder auf den zweiten Platz der wertvollsten US-Konzerne hinter Microsoft vorgerückt. Der Chipdesigner Nvidia, dessen Aktien nach dem Split seit Montag im Verhältnis 10:1 handeln, fällt auf den dritten Platz zurück.
Weitere wichtige Unternehmensnachrichten zur IT-Industrie stehen im Verlauf der Woche mit den Quartalsabschlüssen von Broadcom und Adobe an. Wie gross die Obsession an der Börse mit dem Thema KI momentan ist, zeigte sich gestern Abend anhand der Zahlen von Oracle.
Wie andere Branchennachbarn legte Anbieter von Unternehmenssoftware einen durchwachsenen Leistungsausweis vor. Gewinn und Umsatz bleiben hinter den Erwartungen zurück. Auch für das laufende Quartal verfehlt Oracle mit einem prognostizierten Umsatzwachstum von 5 bis 7% die Analystenschätzungen. Doch die Ankündigung von KI-Partnerschaften mit OpenAI und Google sorgt für Begeisterung. Der Kurs tendierte nachbörslich 9% höher.
Heute Mittwoch richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Zinsentscheid der US-Notenbank (Fed). Wenige Stunden zuvor werden neue Daten zur Inflation publiziert. Ökonomen gehen davon aus, dass der Index der Konsumentenpreise (Consumer Price Index, CPI) im Mai um 3,4% gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist; gleich viel wie im April. Bei der Kernrate (ohne Energie und Nahrungsmittel) wird ein leichter Rückgang von 3,6 auf 3,5% erwartet.
Unmittelbar dürften die CPI-Daten die Geldpolitik des Federal Reserve kaum beeinflussen. An den Finanzmärkten gilt es als so gut wie sicher, dass Fed-Chef Jay Powell den Leitzins unverändert auf 5,5% belassen wird. Weniger klar ist der Ausblick. Nach dem überraschend robusten Stellenwachstum im Mai stehen die Chancen im Terminhandel momentan nur noch etwa Fifty-fifty, dass es an der Fed-Sitzung von Mitte September zu einer ersten Zinssenkung kommen wird.
Wie es mit der Geldpolitik in den USA weitergeht, ist unter anderem für Aktien aus dem Biotech-Sektor relevant. Vor allem die Titel kleinerer Unternehmen mit naturgemäss spekulativem Charakter reagieren besonders stark auf Veränderungen im Zinsumfeld.
Ein guter Grund für «The Pulse», sich in der heutigen Ausgabe mit den Aussichten für die Branche zu befassen.
Grosses Gefälle bei der Performance
Biotech-Aktien haben ein bewegtes Halbjahr hinter sich. Der SPDR S&P Biotech ETF (XBI), die am meisten beachtete Benchmark zur Performance Sektors, notiert seit Anfang Januar 3,5% im Plus. Das mag auf den ersten Eindruck hin wenig aufregend erscheinen, doch der Kurs tendierte im Verlauf der vergangenen Monate temporär mehr als 15% höher und dann fast 8% im Minus.
Gegen Ende des ersten Semesters fällt die Zwischenbilanz für 2024 damit eher bescheiden aus. Der marktbreite S&P 500 verzeichnet eine Avance von knapp 13%. Aktien aus dem amerikanischen Gesundheitssektor generell haben annähernd 8% zugelegt.
Beim Blick auf die Performance der Branchenschwergewichte werden allerdings beträchtliche Unterschiede ersichtlich. Am besten haben sich erneut Eli Lilly und Novo Nordisk entwickelt, die vom Boom im Bereich Abnehm-Präparate profitieren. Ansprechend gelaufen sind ebenso Merck, AstraZeneca und Novartis. Weniger gut unterwegs waren Roche, Sanofi, Pfizer und Johnson & Johnson.
Ein deutliches Gefälle lässt sich ebenso bei den führenden Biotech-Konzernen ausmachen. Mit einem Plus von fast 50% seit Anfang Jahr schneidet Moderna nach einer langen Kursflaute am besten ab. Positiv fallen auch Vertex und Regeneron auf, die seit Anfang Mai neue Dynamik zeigen. Branchenprimus Amgen hinkt etwas hinterher. Incyte, Biogen, Illumina und Gilead haben Terrain eingebüsst.
«Es herrscht momentan eine extreme Zweiteilung», meint dazu Thomas Heimann, Analyst bei der auf Biotech-Gesellschaften spezialisierten Investmentfirma HBM Partners. «Die Dynamik ist ähnlich wie im Tech-Sektor: Manche Aktien laufen und laufen weiter, während alle anderen mehr oder weniger im Abseits stehen.»
Was die Fundamentaldaten betrifft, bleiben die Perspektiven ansprechend. Analysten rechnen für den US-Gesundheitssektor im zweiten Quartal mit einem Gewinnwachstum von 16%, was den Durchschnittswert für den S&P 500 übersteigt. Für das dritte und vierte Quartal wird eine Zunahme von 18 bzw. 24% erwartet, womit der Sektor selbst mit Big Tech gut mithalten kann.
Ermutigende News aus Chicago
In Sachen Forschung und Entwicklung haben zuletzt Nachrichten aus Chicago für Gesprächsstoff gesorgt. Dort fand Anfang Monat mit der Asco-Tagung das wichtigste Ärztetreffen im Bereich Onkologie statt, dem gemessen am Umsatz mit Abstand grössten und wettbewerbsintensivsten Therapiegebiet der Branche.
Gemäss dem Researchdienst Evaluate Pharma beliefen sich die weltweiten Einnahmen mit Krebsmedikamenten im vergangenen Jahr auf gut 204 Mrd. $ oder 18% der globalen Verkäufe in der Pharmaindustrie. Bis 2028 soll der Anteil angesichts der alternden Weltbevölkerung auf 22% steigen, was annähernd 400 Mrd. $ entsprechen würde.
Der Star in Chicago war AstraZeneca. Der britisch-schwedische Pharmariese präsentierte neue Daten zum Blockbuster Enhertu, den er zusammen mit dem japanischen Partner Daiichi Sankyo entwickelt hat. Bei bestimmten Patientinnen mit Brustkrebs konnte das Risiko eines Fortschreitens der Krankheit um fast 40% im Vergleich zu herkömmlicher Chemotherapie gesenkt werden.
Enhertu ist ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, im Englischen Antibody-Drug Conjugate oder kurz ADC genannt. Solche Medikamente ermöglichen es, mit toxischen Wirkstoffen direkt auf einen Tumor zu zielen, ohne normale Zellen zu schädigen. Sie gehören zu den vielversprechendsten Innovationen bei der Krebsbekämpfung, was beispielsweise die 43 Mrd. $ teure Übernahme des ADC-Spezialisten Seagen durch Pfizer verdeutlicht. Auch Merck und Johnson & Johnson haben auf diesem Gebiet unlängst grössere Akquisitionen vollzogen.
Zusammen mit Darzalex, einem monoklonalen Antikörper-Präparat von J&J, gehört Enhertu denn auch zu den Therapien, denen in den kommenden Jahren das stärkste Wachstum zugetraut wird.
AstraZeneca erntete in Chicago ebenso mit neuen Testergebnissen zum Lungenkrebsmedikament Tagrisso Applaus. Analysten rechnen damit, dass der Konzern bis 2030 auf den zweiten Platz im Bereich Onkologie vorstossen könnte. Mehr Umsatz wird bis dahin nur von Johnson & Johnson erwartet.
Ein anderer Branchenriese fiel an der Asco-Tagung ebenfalls positiv auf: «Insgesamt sind wir der Meinung, dass Pfizer mit den erfreulichsten Daten aufwarten konnte», berichtet UBS-Analyst Trung Huynh, der sich auf amerikanische Pharma- und Biotech-Konzerne konzentriert. Konkret nennt er ermutigende Langzeitresultate zum Lungenkrebsmittel Lorbrena, robuste Ergebnisse bezüglich Medikamente aus dem Portfolio der Seagan-Akquisition sowie spannende Frühdaten zu einem neuartigen Wirkstoff für die Behandlung von Brustkrebs.
Im Feld der kleinen und mittelgrossen Gesellschaften stach Merus heraus. Die niederländische Biotech-Firma präsentierte aussichtsreiche Phase-2-Daten zum Medikament Petosemtamab in Kombination mit dem Merck-Blockbuster Keytruda bei Patienten, die an Kopf- und Halskrebs leiden. Entsprechend positiv reagierte der Aktienkurs.
Bei Petosemtamab handelt es sich um einen bispezifischen Antikörper. Damit werden Wirkstoffe bezeichnet, die sich an zwei Zielmoleküle binden und eine Krankheit dadurch besser bekämpfen können. Auch solchen Medikamenten wird erhebliches Potenzial zugetraut. Dies nicht nur in der Onkologie, wie zum Beispiel die 1,3 Mrd. $ teure Übernahme eines Wirkstoffs gegen die Hautkrankheit Dermatitis durch Johnson und Johnson Ende Mai veranschaulicht hat.
Die nächsten Kurskatalysatoren
Mit Blick nach vorne wird sich das Interesse in den kommenden Wochen und Monaten mitunter auf das Alzheimer-Medikament Donanemab von Eli Lilly richten. Ein elfköpfiges Beratungsgremium der US-Gesundheitsbehörde FDA hat die Therapie am Montag einstimmig zur Zulassung empfohlen.
Die Chancen stehen gut, dass Donanemab in den USA auf den Markt kommt. Bereits im vergangenen Jahr hat das Alzheimer-Präparat Leqembi von Eisai und Biogen die Zulassung erhalten. Die Kosten der Behandlung belaufen sich auf 26’000 $ pro Jahr, wobei die Einführung bisher langsam verläuft. Obwohl schätzungsweise über eine Million Menschen für die Therapie infrage kommen, erzielte Leqembi im ersten Quartal nur 19 Mio. $ Umsatz. Eli Lilly hat sich bisher noch nicht zum anvisierten Preis von Donanemab geäussert.
Eine Art Schicksalsmoment steht Alnylam bevor. Das Unternehmen ist ein Pionier in der RNAi-Technologie, auch RNA-Interferenz genannt. Sie zielt darauf ab, die Produktion schädigender Proteine im Körper zu stoppen. Bei der praktischen Anwendung konzentriert sich Alnylam auf ATTR-Amyloidose. Die lebensbedrohliche Erkrankung, die durch eine genetische Mutation verursacht wird, führt unter anderem zur Ablagerung toxischer Proteine im Nervensystem.
Der kommerzielle Erfolg von Alnylam hängt massgeblich von den mit Spannung erwarteten Daten zu einer Phase-III-Studie mit dem Medikament Amvuttra ab (hier mehr dazu). Ursprünglich wollte das Unternehmen die Ergebnisse dazu Ende März/Anfang April veröffentlichen, musste den Termin dann aber um drei Monate vertagen. Beträchtliche Kursbewegungen sind so gut wie sicher.
Die Daten zur Helios-B genannten Studie dürften ebenso den Aktienkurs von Ionis Pharmaceuticals und BridgeBio Pharma beeinflussen, die ebenfalls an der RNAi-Technologie forschen. Eine Reaktion wird wohl auch bei Intellia Therapeutics nicht ausbleiben. Die Biotech-Firma hat Mitte März mit einer Phase-III-Studie zur Behandlung von ATTR-Amyloidose mit der Genscheren-Therapie Crispr begonnen und arbeitet dafür mit Regeneron zusammen.
Auf einen bedeutenden FDA-Entscheid gegen Ende Monat wartet ferner auf Sarepta Therapeutics. Das Unternehmen erhofft sich eine breitere Anwendung für Elevidys. Die Gentherapie hat im Juni 2023 die Zulassung zur Behandlung von Duchenne Muskeldystrophie erhalten; eine seltene, fortschreitende Muskelerkrankung, die im Kindesalter beginnt.
Bislang dürfen mit Elevidys nur Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren behandelt werden. Bis am 21. Juni wird die US-Gesundheitsbehörde entscheiden, ob die Altersbeschränkung wegfällt. Im vergangenen Jahr verdiente Sarepta mit dem Medikament über 200 Mio. $, und im ersten Quartal sind weitere 134 Mio. $ hinzugekommen. Ob es Patienten aber tatsächlich hilft, ist unter Experten umstritten.
Eine «Wildcard» ist schliesslich, wie sich die Lage bezüglich der Vogelgrippe entwickelt. Die amerikanische Agrarbehörde USDA hat Anfang Woche gemeldet, dass drei weitere Rinderherden vom H5N1-Virus befallen sind. Insgesamt sind inzwischen 95 Herden in zwölf Bundesstaaten infiziert worden, die meisten davon in Michigan, Idaho und Texas. In drei bekannten Fällen haben sich Farmarbeiter angesteckt.
Noch sind die Fakten zur Ausbreitung des Virus und möglichen Mutationen dünn. Wie es heisst, soll die US-Regierung mit Herstellern von mRNA-Impfstoffen über einen möglichen Auftrag für grössere Lieferungen eines Vakzins diskutieren. Die Nachrichten haben die Spekulation mit Aktien von Spezialisten wie Moderna, CureVac, BioNTech und Novavax in den vergangenen Wochen angeheizt.
Drei Favoriten und eine Aussenseiterwette
Aus einer Investmentperspektive erscheinen Aktien aus dem Biotech-Sektor nach wie vor attraktiv bewertet. Der XBI-ETF bewegt sich derzeit ungefähr auf dem gleichen Niveau wie im Sommer 2015 und hinkt dem Gesamtmarkt deutlich hinterher.
Die unmittelbaren Risiken sind bekannt. Bleiben die Zinsen für längere Zeit auf erhöhtem Niveau, haben Biotech-Werte weiterhin keinen einfachen Stand. Umgekehrt könnten Signale aus der US-Notenbank zu einer möglichen Lockerung der Geldpolitik für Auftrieb sorgen, wie das die eindrückliche Rally von Ende Oktober bis Anfang März demonstriert hatte.
Zu Turbulenzen könnte es möglicherweise angesichts der US-Präsidentschaftswahlen kommen. Das Gesundheitswesen und speziell die Medikamentenpreise sind politisch immer ein brisantes Thema. Möglicherweise heizt sich die politische Debatte in den nächsten Monaten auf. Erfahrungsgemäss sind Kursrückschläge im Vorfeld der Wahlen jedoch meist eine Kaufgelegenheit.
Zuversichtlich auf mittlere bis lange Sicht stimmt ausserdem, dass sich der Markt für Übernahmen belebt. Gemäss dem Researchdienst GlobalData ist das Volumen an Akquisitionen im Pharma- und Biotechsektor im ersten Quartal weltweit auf 43,5 Mrd. $ gestiegen. Transaktionen im Umfang von 1 Mrd. $ oder mehr haben gegenüber der Vorjahresperiode über 70% zugenommen. Zuletzt hat sich das Geschäft mit Akquisitionen speziell an den Privatmärkten belebt.
Was Einzeltitel betrifft, zählen Namen wie Vertex, Regeneron und Amgen weiterhin zu den Favoriten. Sowohl Vertex wie auch Regeneron haben überaus erfreuliche Zahlen zum ersten Quartal präsentiert. Im Fall von Amgen ist zudem etwas Fantasie in Hinblick eines innovativen Abnehm-Präparats im Spiel.
Eine Aussenseiterwette könnte sich bei Gilead lohnen. Der Aufbau eines substanziellen Portfolios im Bereich Onkologie dauert zwar länger als erhofft. Mit dem Geschäft mit HIV- und Hepatitis-Medikamenten erwirtschaftet der Konzern jedoch einen ausgesprochen robusten Cashflow. Der Analystenkonsens rechnet für dieses Jahr mit freien Mitteln von 8 Mrd. $. 2025 und 2026 sollen es jeweils 10 Mrd. $ sein.
Diese defensiven Qualitäten könnten besonders dann gefragt sein, falls sich die Konjunkturaussichten wider Erwarten eintrüben sollten. Auf Basis der Analystenschätzungen für die nächsten zwölf Monate sind die Aktien von Gilead zum Kurs-Gewinn-Verhältnis von weniger als 10 sowohl im Branchenvergleich wie auch relativ zum Gesamtmarkt günstig. Auch zahlen sie eine substanzielle Dividendenrendite von 4,7%.
Wer sich ausserdem etwas breiter ausrichten will und vom Potenzial in kleineren und mittelgrossen Unternehmen profitieren will, ist mit einem spezialisierten Biotech-Fonds gut beraten.
Deep Diving
An dieser Stelle präsentieren wir wie immer einige Links, die einen vertieften Einblick in ein aktuelles Thema geben:
- Das Problem gewinnt angesichts der ambivalenten Reaktion auf Apples neue KI-Strategie an Brisanz: Wie kann man eine Technologie kommerziell erschliessen, die offensichtlich noch nicht ausgereift ist und nicht selten falsche Resultate produziert? Oder anders gesagt: Was für Produkte lassen sich mit generativer künstlicher Intelligenz für den Massenmarkt erstellen? Branchenkenner Benedict Evans macht sich in seinem neuen Essay auf die Suche nach Antworten.
- Halbleiter sind das moderne Pendant zu Magie. Dank des atemberaubenden Fortschritts in der Miniaturisierung werden Milliarden von Transistoren auf Mikrochips von wenigen Zentimetern Grösse platziert, deren Architektur einer Grossstadt gleicht. Wie der faszinierende Prozess genau funktioniert, zeigt dieses Erklärvideo anhand der Fertigung eines CPU (Central Processing Unit), dem «Gehirn» von PCs und Grossrechnern.
- Europa wird bereits von Chinas Exportoffensive im Bereich Elektrofahrzeuge (EV) überrollt. Bis das auch in Amerika passiert, scheint es nur eine Frage der Zeit. Marken in chinesischem Besitz wie Volvo, Polestar und Lotus sind bereits in den USA präsent. Um direkte Einfuhren abzuwehren, hat die US-Regierung die Importzölle im Mai deutlich erhöht. Doch wie diese Dokumentation des Börsensenders «CNBC» zeigt, wird die Massnahme auf lange Sicht möglicherweise wenig bringen.
- Zu diesem Thema noch ein Seitenblick: Der chinesische EV-Champion BYD liefert für die Stadt London künftig den kultigen roten Doppeldeckerbus mit Elektromotor und fast 650 km Reichweite.
Und zum Schluss noch dies: Payday
Ein Deal ist ein Deal. Doch gilt das auch, wenn er unter unrechtmässigen Bedingungen abgeschlossen wurde?
Das ist – vereinfacht gesagt – der entscheidende Punkt, über den an der Generalversammlung von Tesla diesen Donnerstag abgestimmt wird. Konkret geht es um das Vergütungspaket von Elon Musk, das die Aktionäre eigentlich schon 2018 abgesegnet hatten.
Für den Tesla-Chef und gemäss der Milliardärs-Liste von «Forbes» reichsten Mann der Welt steht viel Geld auf dem Spiel. Anders als bei regulären Vergütungspaketen wurde ihm in der damaligen Vereinbarung weder ein festes Gehalt noch ein Bargeld-Bonus zugesprochen. Stattdessen wurde sein Salär nebst operativen Zielen in erster Linie an Teslas Aktienperformance gekoppelt.
Um das Potenzial seines ungewöhnlichen Arbeitsvertrags maximal auszuschöpfen, musste die Marktkapitalisierung von Tesla demnach in den nächsten zehn Jahren auf 650 Mrd. $ steigen. Das war bereits Ende 2020 der Fall. Der Börsenwert des Elektroautoherstellers wuchs bis im Herbst 2021 sogar auf mehr als 1200 Mrd. $. Heute beläuft er sich auf knapp 540 Mrd. $.
Der Betrag, der Musk gemäss seinem Vertrag zustehen würde, beläuft sich somit aktuell auf annähernd 47 Mrd. $ – die mit Abstand grösste Entschädigung für einen CEO in Corporate America. Doch wie ein Gericht in Delaware, Teslas juristischem Sitz, aufgrund einer Aktionärsklage Ende Januar entschieden hat, ist diese «unfassbare Summe» gesetzeswidrig.
Die Begründung: Den Aktionären von Tesla wurden seinerzeit unvollständige Informationen über das Vergütungspaket des Konzernchefs vorgelegt. Unter anderem wurden massgebliche Personen im Verwaltungsrat irreführenderweise als unabhängig bezeichnet. Im Gremium sitzt beispielsweise Musks Bruder Kimbal. Auch weitere Einzelheiten wurden nicht korrekt kommuniziert.
Auf der Traktandenliste steht in diesem Zusammenhang noch ein weiterer Punkt. Der juristische Sitz von Tesla soll von Delaware nach Texas verlegt werden; quasi aus Protest gegen das Gerichtsurteil.
Wie also stehen die Chancen? Robyn Denholm, Präsidentin des Tesla-Verwaltungsrats, fordert zur erneuten Absegnung des Vergütungspakets auf. «Fairness und Respekt erfordern, dass wir die kollektive Verpflichtung, die wir gegenüber Elon eingegangen sind, einhalten – eine Verpflichtung, bei der es im Wesentlichen darum ging und immer noch geht, Elons Interesse zu erhalten und ihn zu motivieren, sich auf ein staunenswertes Wachstum unseres Unternehmens zu konzentrieren», schreibt sie in einem offenen Brief.
Denholms Wortwahl irritiert. Dass eine angeblich unabhängige Vorsitzende des Verwaltungsrats die Aktionäre in einem öffentlichen Schreiben zur Genehmigung des Vergütungspakets für den CEO auffordert, ist ungewöhnlich. Das Gleiche gilt für die Behauptung, die exorbitante Vergütung sei notwendig, um ihn zu «motivieren».
Musk und seine Anhänger machen derweil seit Wochen mit allen Mitteln mobil. Um Kleinanleger zur Abstimmung zu bewegen, muss selbst der Tesla-Roboter Maximus mithelfen. Derweil hat Musk vor wenigen Tagen bereits ein erstes Zwischenresultat auf seiner Social-Media-Plattform X veröffentlicht. Rückendeckung gibt ihm zudem die kontroverse Investorin Cathie Wood, die Tesla als grösste Position in ihrem ARK Innovation ETF hält.
Angesichts des Personenkults um Musk wird intensiv darüber spekuliert, wie der Kurs reagieren wird. Musk könnte bei einem für ihn negativen Abstimmungsergebnis den CEO-Posten verlassen, fürchten Fans. Schon Anfang Jahr hat er eine Androhung in diese Richtung geäussert: Er fühle sich unwohl, Tesla zu einem führenden Unternehmen in den Bereichen künstliche Intelligenz und Robotik zu machen, wenn sein Stimmrecht nicht von aktuell knapp 13 auf rund 25% erhöht werde.
Doch der ganze Effort wird möglicherweise nichts nützen. 2018 wurde Musks Vergütungspaket zwar mit mehr als 70% Stimmen abgesegnet. Anders als damals umfasst das Aktionariat von Tesla heute jedoch einen grösseren Anteil institutioneller Investoren, wogegen sich der Einfluss von Kleinanlegern seit der Aufnahme der Aktien in den US-Leitindex S&P 500 verringert hat.
Führende Stimmrechtsberater wie ISS und Glass Lewis empfehlen, gegen die Vorlage zu stimmen. Ein klares Signal senden ebenso namhafte Investoren. Die kalifornischen Pensionskassen CalPERS und CalSTRS, zwei der grössten Pensionsfonds in den USA, lehnen Musks Vergütungspaket ab; ebenso der norwegische Staatsfonds, Teslas achtgrösster Aktionär.
Sicher ist: In der Tesla-Saga ist einmal mehr für Drama gesorgt.