Frauen mussten sich den Weg zum Fussball jahrzehntelang erkämpfen. Im Buch «Wir waren Heldinnen» erzählt Torsten Kröner die deutsche Fussballgeschichte neu.
Sie schoss Tore wie kein anderer. Wenn Ingrid Marschak auf dem Pausenplatz auftauchte, stritten sich die Jungs darum, wer sie in der Mannschaft haben durfte. Das war 1956, Ingrid war elf Jahre alt und weit und breit das einzige Mädchen, das Fussball spielte. Niemand hatte ein Problem damit. Die Buben sollen sie geradezu gezwungen haben, zum Training des SV Düneberg zu kommen. Der Trainer erkannte Ingrids Talent. Sie schoss härter, war schneller, und im Dribbeln kam ihr keiner nach.
Der SV Düneberg war ein kleiner Verein, der Nachwuchs stand nicht Schlange. Die Vereinsleitung entschloss sich, für Ingrid einen Spielerpass zu beantragen. Das ging eigentlich nicht. Mehr noch, es war verboten. Im Jahr zuvor hatte der Deutsche Fussball-Bund (DFB) klare Regeln erlassen: Vereine, die ihm angeschlossen waren, durften keinen Frauenfussball anbieten. Nicht einmal Plätze zur Verfügung zu stellen, war ihnen erlaubt, Schiedsrichter für Spiele abzuordnen, erst recht nicht. Klubs, die sich nicht daran hielten, drohten Sanktionen.
Weibliche Anmut
Die Begründung für das Verbot klingt so gewunden wie vernichtend: «Im Kampf um den Ball», heisst es im Jahrbuch des DFB von 1955, «verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand». Eigentlich müssten die Frauen dankbar sein, dass die Männer ihnen einen Sport verbieten, der sie schädigt: So legten sich die Herren das zurecht. Um zugleich doch irgendwie einzugestehen, dass es die weiblichen Körper auf dem Spielfeld waren, die sie irritierten. Dass oft von «Amazonen» die Rede war, wenn es um Frauenfussball ging, spricht Bände.
Ingrid Marschak bekam ihren Spielerpass. Der SV Düneberg hatte sich für eine Augen-zu-und-durch-Strategie entschieden. Er beantragte keine Ausnahmegenehmigung, sondern tat, als ob nichts wäre, und setzte darauf, dass die Funktionäre in den Verbandsbüros vor lauter Routine nicht mehr genau hinschauten. Mit Erfolg. Ingrid durfte spielen, wurde Torschützenkönig des Vereins. «Uwe» nannten die Jungs sie, nach dem HSV-Torjäger Uwe Seeler. Das ging so lange, bis sie zu einem Auswahltraining aufgeboten wurde und sich zeigte, dass der Torschützenkönig eine Königin war. Man erlaubte ihr, ein letztes Mal zu spielen. Sie schoss drei Tore, dann musste sie die Laufbahn beenden.
Arena der Gefühle
Torsten Kröner erzählt Ingrid Marschaks Geschichte in seinem Buch «Wir waren Heldinnen» zusammen mit denen von Dutzenden anderen Fussballerinnen, die sich den Weg zu ihrem Sport erkämpfen mussten. Manche wurden mit Steinen vom Platz getrieben, viele spielten mit den Jungs. Oder gründeten eigene Mannschaften und organisierten Turniere ausserhalb der offiziellen Ligen. Der Autor und Dokumentarfilmer Kröner zeigt die Geschichte des deutschen Fussballs aus einer neuen Perspektive.
1970 liess der DFB Frauen zu. Kröner interpretiert das als Ende der «maskulinen Meistererzählung»: Nach dem Krieg habe Fussball als Kampfsport gegolten. Männerdomäne. Anderseits sei der Fussballplatz einer der wenigen Orte gewesen, an denen Männer Gefühle zeigen konnten: «Auf dem Platz oder am Spielfeldrand», schreibt Kröner, «liegen Männer einander in den Armen, streicheln und küssen sich, werfen sich zu Körperpyramiden aufeinander, kneifen Mitspielern in die Wangen». Die Männer hätten diese «Gefühlsarena» so lange wie möglich für sich verteidigt. Der Fussballplatz sollte ihnen gehören.
Torsten Körner: Wir waren Heldinnen. Wie Frauen den Fussball eroberten. Kiepenheuer & Witsch-Verlag, Köln 2025. 336 S., Fr. 36.90. – Torsten Körners Dok-Film «Mädchen können kein Fussball spielen» läuft am 4. Juli, 23.15 Uhr, auf ARD.