Die Entwicklungen in Iran werden vom russischen Regime sehr genau beobachtet. Teheran ist zu einem der wichtigsten Verbündeten Moskaus im Konflikt mit dem Westen geworden.
In der Nacht auf Montag rief der russische Präsident Wladimir Putin eine kleine Runde zu sich: den Verteidigungsminister, den Minister für Katastrophenschutz, einen seiner Berater – und den Botschafter Irans in Moskau. Mit ihnen wollte er die Nachrichten über den Helikopterabsturz in Iran beraten und die sich verdichtenden Anzeichen dafür, dass der iranische Präsident Ebrahim Raisi dabei ums Leben gekommen war. Zwei Flugzeuge mit Rettungsmannschaften schickte er nach Tabriz, aber noch ehe sie angekommen waren, bestätigte sich Raisis Tod.
Im Beileidstelegramm bezeichnete er den Verstorbenen als «echten Freund Russlands», der unschätzbaren persönlichen Einsatz zur Entwicklung der Beziehungen geleistet habe. Am nächsten Tag telefonierte Putin mit dem Interimspräsidenten Mohammed Mokhber. Die Hektik im Kreml zeigt, wie wichtig Iran derzeit für Moskau ist.
Lange ein ambivalentes Verhältnis
Russland muss kaum befürchten, dass ein Nachfolger Raisis plötzlich die Grundlagen der Politik gegenüber Moskau ändert. Aber die Ungewissheiten, die mit jeder Erschütterung eines diktatorischen Regimes einhergehen, dürften trotzdem auch in Moskau gewisse Sorgen auslösen.
Das russisch-iranische Verhältnis war jahrelang von Ambivalenzen gekennzeichnet. Auf der einen Seite imponierte der russischen Führung die Unbeirrtheit, mit der die iranischen Mullahs sich dem Westen und seinen regionalen Verbündeten entgegenstellten. Russland half Iran bei der Nutzung ziviler Atomkraft, diente als Technologielieferant vor allem im Rüstungsbereich und verfolgte ab 2015 mit Iran zusammen die Stützung des Asad-Regimes in Syrien. Auf der anderen Seite beteiligte sich Moskau, mitunter zweideutig, an den internationalen Bemühungen um die Lösung des Atomstreits mit Teheran und war durchaus an der Eindämmung des regionalpolitischen Einflusses Irans interessiert.
Bedeutsamer Helfer für den Krieg
Mit dem Einmarsch in die Ukraine und dem vollständigen Zerwürfnis mit dem Westen 2022 wurde Iran zu einem der wichtigsten Partner. Die Vorsicht gegenüber dem Land wich einer mitunter fast grotesken Euphorie. Dem mit präzedenzlosen Sanktionen belegten Russland diente Iran plötzlich, weil es jahrzehntelange Erfahrung mit westlichen Strafmassnahmen aufweist. Auch im Rüstungsbereich ist es nun umgekehrt. Iran hat Drohnentechnik, Raketen und Munition zu bieten, die Russland im Krieg gegen die Ukraine dringend benötigt. Iranische Kampfdrohnen sind zu einer der wichtigsten Waffen für Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur geworden.
Seine erste Auslandreise nach Kriegsbeginn 2022 machte Putin nach Teheran. Die Zusammenarbeit im Energiesektor vertiefte sich. Mit Investitionen in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, besonders der Eisenbahn ans Kaspische Meer, wird Iran besser in den Nord-Süd-Transportkorridor eingebunden, der Russland alternative Exportrouten nach Asien ermöglichen soll. Die russische Fluggesellschaft Aeroflot soll sogar Airbus-Flugzeuge zur Wartung nach Iran gebracht haben.
Russische Kommentatoren weisen aber darauf hin, dass die beiden Staaten auch Konkurrenten sind, vor allem im Rohstoffbereich. Gerade weil beide mit Sanktionen belegt sind, buhlen sie um die wenigen Abnehmer wie China und Indien, die bereit sind, mit Paria-Staaten Geschäfte zu machen.
«Tragödie für die freie Welt»
Die russische Erschütterung über den Tod des iranischen Präsidenten zeigte sich auch an den vielen Blumen, die an der iranischen Botschaft in Moskau abgelegt wurden. Es gibt zwar russische Stimmen, die sagen, solche öffentliche Trauerbekundung sei orchestriert. Auf die Frage eines russischen Journalisten, weshalb er Blumen ablege, wusste ein junger Mann nicht einmal, wie genau Raisi umgekommen war. Klar war für ihn und andere Befragte aber, dass es kein Unglück gewesen sein kann. So sieht es auch die russische Propaganda, die von einer westlichen Verschwörung überzeugt scheint.
Propagandisten stellten sofort einen Zusammenhang her zum Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico und zu Berichten über angebliche geplante Anschläge auf den saudischen Kronprinzen, auf den türkischen und den serbischen Präsidenten. Die Amerikaner zielten jetzt direkt auf diejenigen, die noch eine «unabhängige Aussenpolitik» machten, meinten sie. Das zeige, wie verzweifelt der Westen sei und wie nah der Erfolg Russlands und seiner antiwestlichen Verbündeten.
Wie sehr sich zwischen Russland und dem Westen die Massstäbe verschoben haben, brachte Konstantin Malofejew, ein ultranationalistischer Medienunternehmer und Financier der russischen Aufwiegelung im Donbass 2014, zum Ausdruck. Er nannte Raisis Tod «eine grosse Tragödie für die gesamte freie Welt, die Welt, die der amerikanischen Diktatur entgegentritt».