Vor der Abstimmung am 3. März in der Stadt Zürich streiten Stadt und Initianten um grundlegende Fakten.
Eine Gruppe älterer Herrschaften – vier Männer, eine Frau, zwei Schaufensterpuppen – steht auf einem grünen, dreieckigen Teppich. Um sie herum ist Asphalt und rollt der Verkehr. Ein Grill, ein Liegestuhl, Sonnenschirme und Bäume wurden auf dem Dreieck so angeordnet, dass sie sommerliche Gefühle wecken sollen, mitten im Grau des Zürcher Februars.
Das Bild stammt von einer Guerilla-Aktion vom vergangenen Samstag. Die Gruppe wirbt für ein Ja zur Mythenpark-Initiative am 3. März. Zu diesem Zweck haben sie sich mitten auf der Kreuzung Mythenquai/Alfred-Escher-Strasse positioniert.
Es ist der Versuch, nochmals Aufmerksamkeit auf die eigene Sache zu lenken. Denn den Initianten von der «IG Seepärke» drohen eine Niederlage an der Urne. Zwar stösst die Idee eines «Central Park» am Seeufer rundherum auf Anklang. Doch ein Tunnel für 250 Millionen Franken, mit der eine Fläche von nicht einmal einem Fussballfeld freigespielt wird – das ist auch den sonst so ausgabefreudigen linken Zürcher Parteien SP und Grüne zu viel. Einzig die Alternative Liste und die Mitte empfehlen ein Ja.
«Der Tunnel ist keine verkehrsplanerische Idee»
Der Stadtrat sieht den Tunnel als einzige Möglichkeit zur Umsetzung des Volksbegehrens. Zum Ärger der Initianten. Sie sehen den Tunnel als bewusst eingesetztes Totschlag-Argument. Walter Wäschle, der Präsident der IG Seepärke, sagt: «Der Tunnel ist keine verkehrsplanerische Idee. Sie stammt von Polit-Strategen.»
Der Stadtrat wolle am Seeufer seine eigenen Pläne verwirklichen, die Mythenpark-Initiative störe ihn dabei, und deshalb wolle er sie zu Fall bringen. «Dabei gibt es Alternativen, den Verkehr ohne Tunnelbau zu verlagern», sagt Wäschle. Leider sei die Planung der Stadt völlig intransparent.
Gibt es die Alternativen zum Tunnel, oder gibt es sie nicht?
Die Stadt Zürich sagt, sie habe 20 Varianten durchgespielt. Davon seien 19 unrealistisch und einzig der Tunnel umsetzbar. Das Problem ist, dass der Verkehr über die Kreuzung General-Wille-Strasse auf die Alfred-Escher-Strasse umgeleitet werden müsste, um den Mythenquai freizuspielen. Und gemäss Stadt ist diese Kreuzung nicht in der Lage, den Verkehr zu schlucken.
Bei Aufhebung des Mythenquais würde er zu 160 Prozent be- und damit überlastet. Der Knoten müsste somit massiv ausgebaut werden. Dafür müssten private Gebäude abgerissen werden, die teilweise im Inventar der Denkmalpflege stünden.
Seit Beginn ihrer Kampagne sprechen die Initianten von Alternativen, die zu wenig abklärt worden seien. Sie stützen sich dabei auf die Einschätzung von Experten. Auf Nachfrage verweisen sie auf ein Exposé von Daniel Buchhofer, einem erfahrenen Planer und ehemaligen Inhaber eines Ingenieur- und Planungsbüros.
Hieb- und stichfeste Argumente für eine Verkehrsverlagerung ohne Tunnel enthält dieses Grundlagenpapier jedoch nicht. Die Stossrichtung lautet, dass eine Verlagerung nicht ausgeschlossen ist. Und dass es Möglichkeiten gebe, sofern der politische Wille wirklich vorhanden sei.
Gegenüber der NZZ sagt Daniel Buchhofer, es brauche tiefergehende Abklärungen zur Verkehrsführung. Er ist skeptisch, dass die Stadt wirklich 20 Varianten tiefgreifend geprüft hat – das erscheine ihm als Planer kaum möglich. «Im Moment stehen Behauptungen gegen Behauptungen. Schlicht deshalb, weil die Grundlagen fehlen.»
Nun, drei Wochen vor der Abstimmung, haben die Initianten nochmals eine konkrete Alternative zum Tunnel vorgelegt: einen grossen Kreisel um das Swiss-Life-Gebäude herum. Dies nachdem man die Situation an jenem Knoten «nochmals grundlegend analysiert» habe. «Gemäss Einschätzung von Experten verbessert ein Kreisel den Verkehrsfluss und die Kapazität des Knotens wird gesteigert», schreiben sie in einer Medienmitteilung.
Beim städtischen Tiefbauamt wehrt man sich gegen den Vorwurf der Intransparenz:«Wir haben Vertreter*innen des Initiativkomitees im April und Juni 2023 in zwei Besprechungen alle Varianten aufgezeigt und ihnen gegenüber auch die Verkehrsmassnahmen bewertet. Auch die Idee mit einem Kreisel war unter den Varianten.»
Swiss Life auf der Insel
Ein Kreisel um das Swiss-Life-Gebäude würde erhebliche betriebliche und bauliche Anpassungen bringen. Das Tram müsste in der General-Wille-Strasse anders geführt werden. Der Kreisel müsste mindestens zweispurig sein. Und die private Erschliessung zum Swiss-Life-Gebäude müsse sicher gelöst werden, «denn das Swiss-Life-Gebäude würde zu einer Insel.» Ohne Lichtsignal würde es nicht gehen, ein klassischer Kreisverkehr wäre somit nicht möglich.
Das Hauptproblem aus der Sicht der Stadt ist aber die Umleitung selbst: vom Mythenquai, einer Strasse ohne Anwohner, auf die Alfred-Escher-Strasse, an der Wohnbauten stehen.
Heute verkehren dort täglich 8500 Motorfahrzeuge. Künftig wären es rund 21 000. Die Stadt plante an dieser Strasse gerade das Gegenteil dessen, was die Initianten wollen, nämlich eine Verkehrsberuhigung mit Bäumen und Veloweg.
Walter Wäschle findet, die Stadt setze die falschen Prioritäten. «Wenn man jetzt nichts macht, bleibt der Verkehr und damit auch der Lärm für die nächsten hundert Jahre direkt am See.»
Und es sei falsch, die Vorlage aufgrund des Tunnels abzulehnen. Die Stimmberechtigten gingen mit einem Ja kein Risiko ein. «Diesen Tunnel wird es nicht geben. Auch wir wollen ihn nicht.»
Die Stadt würde bei einem Ja aber dazu verpflichtet, alle Varianten genau abzuklären, sagt Wäschle. Sollte am Ende der Tunnel wirklich die einzige Möglichkeit sein, werde man dieses Verdikt akzeptieren und die eigenen Pläne für das Mythenquai begraben.