545 Tage lang hat der Aussenminister mit keiner Zeitung mehr über die Verhandlungen mit der EU geredet. Das Schweigen hat Methode.
Wer wissen will, was dem Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) wichtig ist, muss den Newsletter «Standpunkte» abonnieren. Autor: der umtriebige Kommunikationschef des EDA, Nicolas Bideau.
Dem Departementschef selbst ist das Kommunizieren etwas verleidet. Wenn sich Ignazio Cassis äussert, dann im Rahmen von Vorträgen, 1.-August-Reden und hin und wieder Medienkonferenzen. Mit SRF redet er manchmal noch, aber mit den privaten Medien schon seit anderthalb Jahren nicht mehr. Sie täten ihm nicht gut, sagte er vor einem Jahr an einer Wahlveranstaltung der Tessiner FDP. Seit er keine Zeitungen mehr lese, habe er dreimal so viel Kraft.
Cassis’ Schweigen hat damit zu tun, dass er etwas beleidigt ist. In den ersten Jahren seiner Amtszeit hat er fast zu viel geredet, und die Journalisten waren nicht immer nett mit ihm. Hauptsächlich aber hat es mit den Verhandlungen mit der EU zu tun. Der Aussenminister und seine Berater haben sich für eine Taktik entschlossen, die sie Low-Level-Kommunikation nennen. Um keine falschen Zeichen nach Brüssel zu senden und um der innenpolitischen Skepsis Rechnung zu tragen, machte es Cassis wie René in der legendären Kindersendung «Spielhaus»: Er sagte hin und wieder «Ich säge nüt» und hielt im Übrigen den Mund.
In die Lücke sprang sein Kommunikationschef. Als die EU der Schweiz Anfang Oktober zu verstehen gab, dass man bis Ende Jahr abschliessen wolle, sagte Bideau zu Radio SRF: «Wenn wir das Gefühl haben, dass die Ziele des Bundesrats erreicht wurden, dann werden wir die Verhandlungen abschliessen. Das ist die Deadline.»
Seither sind zweieinhalb Monate vergangen, und der Bundesrat ist offenbar der Meinung, dass seine Ziele erreicht sind. Am Freitag hat Ignazio Cassis den Abschluss der materiellen Verhandlungen bekanntgegeben. Beim Besuch der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von Leyen, sagte er guten Tag und auf Wiedersehen. Später, bei der Medienkonferenz, die er gemeinsam mit Justizminister Beat Jans und Wirtschaftsminister Guy Parmelin bestritt, betonte er, wie wichtig stabile und geregelte Beziehungen mit der EU seien. Die Welt sei instabil genug.
Der fehlende Enthusiasmus war so augenfällig, dass ihn Journalisten darauf ansprachen: Cassis antwortete mit Buster-Keaton-Miene: Es handle sich um ein sensibles Thema, aber er könne der allgemeinen Zufriedenheit des Bundesrats über das Ergebnis Ausdruck verleihen.
Weniger Begeisterung ist schwer vorstellbar: Dabei hat die Schweiz gut verhandelt. Viel besser als beim gescheiterten Rahmenabkommen. Die Frage ist, welchen Preis seine 545 Tage Schweigen haben. So lange ist es her, dass der Aussenminister zum letzten Mal ein Zeitungsinterview gegeben hat.
Das kommunikative Niemandsland, das danach entstand, ist längst besetzt. Von der SVP, der Organisation Kompass Europa um die Gründer der Partners Group, dem Gewerkschaftsbund und anderen Fundamentalkritikern.
Aber bis zur Urnenabstimmung bleiben dem Aussenminister und seinen sechs Regierungskollegen noch mindestens drei Jahre. Zeit genug, den Enthusiasmus in sich selbst zu finden und womöglich sogar weiterzugeben.