Designikone, Kultmarke und Inbegriff des italienischen Lebensstils: Mit dem Espressokocher von Bialetti verliert Italien wieder ein Aushängeschild seiner Industrie.
Der achteckige Espressokocher von Bialetti trägt in Italien diverse Namen: «la moka, la macchinetta, la caffettiera». Das klingt für ein Küchenutensil doch alles sehr vertraut, ja fast liebevoll. Was aber auch nicht verwundert, denn die 92 Jahre alte Alu-Kanne lässt sich aus der italienischen Alltagskultur nicht wegdenken. Es gibt sie in fast jedem Haushalt. Oft steht sie in zwei, drei oder vier Grössen bereit, um den unterschiedlichen Bedarf des Muntermachers angemessen befriedigen zu können. Ihr Erfolgsgeheimnis ist die Schlichtheit.
Ihren Charme strahlt die Form der kleinen Moka aber weit über das Heimatland hinaus aus. Die 1933 von Alfonso Bialetti erfundene Moka Express ist zu einer absoluten Ikone des italienischen Designs und zu einer internationalen Kultmarke geworden. Im Ausland steht die Espressokanne zudem für italienisches Lebensgefühl. Die Moka aufsetzen ist wie Vespa fahren oder zum Apéro dem Campari Spritz frönen – eben uritalienisch.
Die Espressozubereitung als sakraler Moment
Diese Fremdwahrnehmung trifft die Sache erstaunlich genau. Antonio Citterio, Mailänder Architekt und preisgekrönter Möbeldesigner, hält den simplen Espressokocher nicht nur für einen Meilenstein des Designs. Citterio bekannte in einer Hommage an die kleine Espressokanne auch einmal: «Ich benutze die Moka täglich, um eines der wenigen noch verbliebenen Rituale zu zelebrieren.» Die Espressozubereitung sei ein sakraler Moment, den er sich bewusst selbst gönne.
Wohlgemerkt gilt der Kult einem schnöden Massengut: Die Moka wurde 320 Millionen Mal verkauft. 60 Prozent der 2 Millionen Exemplare, die Bialetti noch jährlich herstellt, wird das Unternehmen im Ausland los.
Nun verliert Italien seine Kultkanne. Und das ausgerechnet an China. Der in Luxemburg ansässige Investmentfonds Nuo Capital des chinesischen Unternehmers Stephen Cheng aus Hongkong kauft dem heutigen Eigentümer Francesco Ranzoni für 53 Millionen Euro knapp 79 Prozent von Bialetti ab.
Im Zuge der Übernahme wird den übrigen Aktionären des Traditionsunternehmens ein Kaufangebot unterbreitet, um den Moka-Hersteller schliesslich von der Mailänder Börse zu nehmen. Wieder einmal greift sich also ein ausländischer Investor ein kriselndes Unternehmen, das den Italienern als Inbegriff ihres begehrten und stilvollen «made in Italy» am Herzen liegt. Für das sich allerdings offenbar kein heimischer Retter finden lässt.
Hochgerüstete Konkurrenz
Bialetti kämpft schon seit Jahrzehnten gegen den Niedergang. Zunächst setzte die Globalisierung mit der starken Konkurrenz aus Niedriglohnländern den Hersteller aus Crusinallo di Omegna am Ortasee in Piemont unter Druck. Nach der Jahrtausendwende eroberten dann glänzend polierte Espressomaschinen und teure Kaffeevollautomaten die Haushalte.
Die hochgerüsteten Statussymbole verdrängten die handliche Moka nach und nach aus den Küchen. Mitten in der Pandemie erlebten die zischenden und fauchenden Elektrogeräte dann einen regelrechten Absatzboom. Sogar in Italien überholten die Absatzzahlen für Espressomaschinen 2021 den Alu-Kocher für den Herd.
Die chinesische Übernahme beendet nun vorerst ein wirtschaftliches Drama. Der Versuch der Unternehmerfamilie Ranzoni, die berühmte Marke mit dem Börsengang und der Eingliederung in eine Unternehmensgruppe für Küchenutensilien zu stärken, scheiterte schon vor Jahren. Nur mit drastischen Sanierungsmassnahmen und Umschuldungen konnte Ranzoni den Moka-Hersteller über Wasser halten.
Bialetti ächzt inzwischen unter 123,3 Millionen Euro Nettoschulden. Demgegenüber erzielte man im vergangenen Jahr einen Umsatz von 150 Millionen Euro. In einem Wettlauf gegen die Zeit stand jetzt die Existenz des 1919 gegründeten Unternehmens auf dem Spiel. Um einen Konkurs abzuwenden, musste Ranzoni bis 30. April neue Investoren auftreiben. Die Refinanzierung der Schulden von Bialetti wird nun der erste Schritt von Nuo Capital sein.
Die Rettung der Kultmarke, die in der Nachkriegszeit den Kaffeegenuss in Italien revolutioniert hat, liegt also jetzt in chinesischen Händen. Alfonso Bialetti hatte nach langem Tüfteln 1933 den achteckigen Espressokocher aus Aluminium auf den Markt gebracht. Seine Erfindung war ebenso einfach wie genial: Die Kanne besteht aus zwei zusammenschraubbaren Teilen, einem kleinen Heizkessel, einem Filtereinsatz und einem Auffangbehälter für den Kaffee.
Da Aluminium porös ist, nimmt es das Kaffee-Aroma gut an. So sorgt das Material dafür, dass der Espresso mit dem Gebrauch der Kanne über die Jahre immer aromatischer wird. Die Folge war durchschlagend: Mit seiner Moka veränderte Bialetti den italienischen Alltag. Er holte den Espresso aus der Bar in die Privatsphäre. Denn mit seinem unverwüstlichen und günstigen Alu-Kocher konnte das schwarze Lebenselixier der Italiener plötzlich auf dem eigenen Küchenherd zubereitet werden. So wurde Bialetti zum Synonym für den häuslichen Kaffeegenuss und begleitete seither das tägliche Ritual von Millionen Menschen.
Allerdings ist die Moka schon lange nicht mehr wirklich italienisch. 2010 schloss Bialetti das Stammwerk in Omegna am Ortasee und entliess 118 Beschäftigte. Mit dem Slogan «Sie ist nicht chinesisch. Sie ist nicht rumänisch. Sie ist schlicht piemontesisch» hatte die Belegschaft damals für den Erhalt «unseres italienischen Kulturguts» gekämpft. Vergeblich, die Produktion der unverwechselbaren Moka wurde nach Rumänien verschoben.
Nun geht also auch der Besitz der Kultmarke in ausländische Hände über. Ironie der Geschichte: Am Tag vor der Übernahmeankündigung hatte Italiens rechtspopulistische Regierung gerade zum zweiten Mal den «Nationaltag des made in Italy» gefeiert. Industrieminister Adolfo Urso war aus diesem Anlass nach Neapel gefahren und hatte dort den weltberühmten Krawattenhersteller Marinella besucht. «Das italienische Savoir-faire beruht seit je auf der Identität und den Besonderheiten unseres Landes», sagte Urso und rühmte den wachsenden Erfolg des «Made in Italy»-Labels in der Welt. Wenige Stunden später präsentierte Bialetti seinen chinesischen Retter.