Der erste Schweizer Astronaut und sein Nachfolger machen an der EPFL eine symbolische Stabsübergabe.
Was war das für ein Abend, eine Geburtstagsfeier, eine Hommage, eine Gala, eine symbolische Stabsübergabe? Wohl ein Mix aus allem. «Von der Schweiz bis zum Mond» hiess der Abend, den der Verein Swiss Apollo am Donnerstag in Ecublens bei Lausanne zum 80. Geburtstag des ersten Schweizer Astronauten Claude Nicollier veranstaltete.
Und weil die Eidgenossenschaft seit April offiziell den zweiten Astronauten ihrer Geschichte hat, den Berner Marco Sieber, konnten die Veranstalter im Swisstech Convention Center eine Premiere präsentieren: den ersten grossen gemeinsamen Auftritt des Duos, nach einem kürzeren Anlass im Verkehrshaus Luzern im Mai.
Der Abend fiel genau auf den 25. Jahrestag von Nicolliers viertem und letztem Weltraumflug, und Sieber war kürzlich von seinem ersten sechsmonatigen Kurs bei der Nasa in Houston zurückgekehrt. So hatten beide viel zu erzählen – Nicollier in seiner ruhigen, humorvollen Art, Sieber mit dem Enthusiasmus und den grossen Augen eines Novizen, der vielleicht selbst noch nicht immer ganz glauben kann, in welch besondere Rolle er geschlüpft ist.
Nicollier beobachtete zum Feierabend die Erde
«Die Erde ist nicht flach, ich kann es bestätigen», sagte Nicollier, als er davon erzählte, wie er auf der Internationalen Weltraumstation (ISS) jeden Tag nach Feierabend eine, eineinhalb Stunden lang unseren Planeten beobachtete. Eine «wunderbare Lektion in menschlicher Geografie» sei das gewesen. «Man sieht keine Grenzen, man hat dieses Gefühl von grosser Einheit.»
Auch das Wunder der menschlichen Existenz wusste Nicollier in prägnante Worte zu fassen – und zugleich unsere Bedeutungslosigkeit. Es habe ihn immer verblüfft, wie dünn die Atmosphäre der Erde sei. «Auf der Skala des Sonnensystems ist sie so winzig!» Auf der Skala der Galaxie sei sie überhaupt nichts. «Und auf der Skala des Universums ist sie absolut überhaupt nichts.»
Marco Sieber hörte aufmerksam zu, nickte. Vielleicht malte sich der 35-Jährige aus, wie er dereinst auch mit 80 Jahren von guten alten Raumfahrtzeiten erzählen wird. So ähnlich wie Patent Ochsner im Song «Apollo 11», den Sieber sich von der Swiss-Band mit Mitarbeitern der Fluggesellschaft wünschte, die den Abend mit Weltraum-Musik begleitete. In dem Song geht es um die Mondlandung von 1969, eine hübsche Zeile lautet: «Dert oben isch dr Tüüfu los.»
Dort oben war Sieber noch nicht, aber sein Parcours ist jetzt schon spannend. Er war Fallschirmaufklärer, studierte Medizin und jobbte in einem Unternehmen für mobile Toiletten, wie er der «NZZ am Sonntag» im Sommer im Interview sagte. Auch auf dem Bau und in einer Fabrik hatte er gearbeitet.
Später war er Assistenzarzt unter anderem in der Chirurgie und in der Notfallrettung, bevor er sich bei der Europäischen Weltraumagentur bewarb. Er setzte sich 2022 gegen mehr als 22 000 Bewerber durch, um einer von fünf neuen europäischen Astronauten zu werden. Nach zwei Jahren Training und Unterricht darf er sich seit April Astronaut nennen.
Nun trainiert Sieber auf einen Einsatz auf der ISS hin. Dabei sind die Herausforderungen manchmal profaner, als man denkt. Sein Kopf sei fast zu gross, um ihn in den Helm des Weltraumanzugs zu zwängen, sagte Sieber, «aber es ist gegangen».
100 Kilogramm ist der Anzug schwer, sechs Stunden am Tag steckte Sieber drin und arbeitete an einem Modell der ISS im Massstab eins zu eins. Beim ersten Training besuchte ihn Claude Nicollier in Houston. «Das war für mich ein historischer Moment», sagte Sieber.
Sieber bat Nicollier um Rat für die Prüfungen
Mit Nicollier pflegt Sieber seit seiner Aufnahmeprüfung, als er den Veteranen um Tipps gebeten hatte, einen regen Austausch. Nicollier wiederholte am Donnerstag sein Credo, dass Vorbereitung alles sei. Er habe sich auf seine Aufgaben als Astronaut immer wie früher auf eine Prüfung an der Universität vorbereitet. An der EPFL war Nicollier am Donnerstag quasi zu Hause, hier hatte er lange Unterricht gegeben.
David Vindice, ein Endzwanziger, der den Abend mit seinen Eltern besuchte, hatte vor ein paar Jahren als Student auch Nicolliers Kurs verfolgt, in dem es um die Berechnung der Distanz zwischen Planeten ging. Bei der ersten Vorlesung sei der Hörsaal voll gewesen, Nicollier habe tolle Bilder aus dem Weltraum gezeigt. Doch beim zweiten Mal sei es um knallharte Physik gegangen, sagte Vindice, «und wir waren nur noch rund vierzig Zuhörer».
Am Donnerstag war die Halle des Convention-Centers nicht voll, aber gut besucht – 1700 Zuschauer waren es laut dem Veranstalter. Sie applaudierten, zwischen Songs der Swiss-Band wie «Rocketman», immer wieder den beiden Astronauten. Viele Augen leuchteten und auch viele Handys, die filmten und fotografierten. So konnte man sich gut vorstellen, dass nach Claude Nicollier auch Marco Sieber dereinst ein Schweizer Nationalheld werden dürfte, wenn er ins All fliegt. Wann das geschehe, sei noch unklar, sagte Sieber, wahrscheinlich werde es «zwischen 2027 und 2029».