Sie hinterliess ein gewaltiges Werk, viele ihrer Bücher wurden verfilmt. Nun sind einige von Colettes Werken in neuer deutscher Übersetzung wieder erschienen.
Auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise ist das beeindruckende Grab nicht zu übersehen: eine aus rostrotem Granit gefertigte Platte, eine schwarze Stele dahinter, darauf lapidar «Ici repose Colette», dann folgen nur noch ihre Lebensdaten: 1873–1954. Tagtäglich kommen Touristen vorbei, hier halten ihre Leserinnen und Leser inne, hinterlegen Blumenbouquets und dulden keine Zweifel daran, dass Frankreich hier ein würdevolles Angedenken für die Grande Dame seiner Literatur bewahrt. Als Colette am 3. August 1954 starb, lagen ihre vielgelesenen Bücher in opulenten Werkausgaben vor, und sie erhielt, als zweite Frau nach der Schauspielerin Sarah Bernhardt, ein Staatsbegräbnis.
Dieser Ruhm spiegelte sich, trotz früh einsetzenden Übersetzungen, im deutschsprachigen Raum nie recht wider. Das hatte zum einen wohl mit ihrem skandalträchtigen Leben zu tun, mit ihren freizügigen Auftritten in Variétés, ihren Liebesbeziehungen, die sie auch mit Frauen unterhielt. Und es hing zum anderen mit ihren Büchern zusammen, die man zumindest ausserhalb Frankreichs voreilig der Unterhaltungsliteratur zuschlug. Geflissentlich übersah man, dass sie in Marcel Proust oder André Gide gewichtige Fürsprecher hatte.
Nun könnte sich das ändern. Denn siebzig Jahre nach ihrem Tod sind die Rechte an ihrem Werk frei geworden, und gleich drei Verlage präsentieren Colette in neuen Übersetzungen. Ausserdem dringt erst allmählich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass sie in ihren Anfängen von einem männlich dominierten Literaturbetrieb ausgegrenzt worden war.
Dreister Ehemann
Beispielhaft dafür steht ihr Frühwerk. Zwar hatte ihr erster Ehemann Henry Gauthier-Villars ihr Talent erkannt, doch gleichzeitig besass er die Dreistigkeit, ihre «Claudine»-Romane (1900 bis 1903) unter seinem eigenen Pseudonym Willy zu veröffentlichen. Nach der Trennung von Colette beanspruchte er die Rechte daran für sich. Diese frühen Bücher schlugen sofort ein und führten zu einem wahrhaftigen Claudine-Kult.
Sidonie-Gabrielle Claudine Colette, wie sie mit vollem Namen hiess, publizierte seit 1923 unter dem Namen Colette. Sie liess sich von der Ausbeutung durch ihren ersten Mann nicht aus der Bahn werfen. Vielmehr veröffentlichte sie nun Buch um Buch, wurde mit «La Vagabonde» für den Prix Goncourt nominiert und gewann auch als Journalistin grossen Einfluss, als sie an der Seite ihres zweiten Ehemanns Henry de Jouvenel des Ursins das Feuilleton der Tageszeitung «Le Matin» leitete.
Georges Simenon erzählte immer wieder gern, wie er seinerzeit versuchte, Texte dort unterzubringen, und auf Colettes eisernen Widerstand stiess. Sie beschied ihm: «Sie sind zu literarisch. Sie dürfen keine Literatur schreiben. Keine Literatur! Streichen Sie alles Literarische, und Sie werden vorankommen.» Als er diesen Rat beherzigte, fand Simenon Gnade vor ihren Augen.
Zur gleichen Zeit veröffentliche Colette mit «Claudines Elternhaus», ohne dass der Name Claudine einmal fällt, eine raffinierte Reminiszenz an jene Romanfigur, die viele für ihre Doppelgängerin hielten. In gut dreissig kleineren Texten beschwört Colette, durch die Zeiten springend, den unwiderstehlichen Reiz ihres burgundischen Geburtsorts Saint-Sauveur-en-Puisaye herauf. Dieser entbehrte, wie Colettes Biograf Herbert Lottman schrieb, «jeglicher Anmut» und lag in einer Region ohne «natürliche oder erworbene Besonderheit».
Eine Odyssee durch Paris
Dessen ungeachtet erzählt «Claudines Elternhaus» sehnsuchtsvoll von der unvergessenen Zeit in ihrer Heimat, dem Dorf in «Lethargie und Frieden». Und es erinnert sich an die Eltern, an Hochzeitsgelage, Gärten, Katzen (die in Colettes Werk stets einen Sonderstatus hatten) oder an die schaurige Schönheit der Charcuterie im Ort: «Es gibt Tage, an denen die Metzgerei von Léonore, ihre Messer, ihr Hackbeil, ihre aufgeblähten Rinderlungen, die im Luftzug schillern und schaukeln, rosarot wie das Fleisch der Begonie, mir so gut gefallen, als wäre es eine Konfiserie.»
Bereits in solchen Zitaten fällt Colettes aussergewöhnlich lebendiger Stil auf, ihre Fähigkeit, den Dingen mit Satzgirlanden und erfrischenden Bildern auf den Grund zu gehen und das Ganze nicht zuletzt mit Ironie und Humor zu würzen.
Immer wieder verliess Colette die Provinz damals und besuchte ihren späteren Lebensmittelpunkt Paris, wo sie die «Höhe der Häuser» als Sechsjährige verängstigte. Wahre Sesshaftigkeit fand Colette auch in der Metropole nicht. Das Büchlein «Vom Glück des Umziehens» (1944 im Original erschienen) erzählt von ihren häufigen Wohnungswechseln, die unumgänglich wurden, sobald die alten Behausungen für sie nurmehr «Schale» und «Hülle» waren.
Nie hoffte sie allerdings auf ein glückliches Ende dieser Pariser Odyssee: «Unsere Wunschwohnung bleibt so gut wie stets ein Traum. Bei meinen Umzügen ging es weniger darum, einen Traum zu realisieren, als vielmehr auf ihn zu verzichten.» Für fünf Jahre machte Colette aus der Not eine Tugend und residierte gut versorgt im Hotel Claridge auf den Champs-Élysées, ehe sie von 1938 bis zu ihrem Tod im Palais Royal wohnte.
Glücklicherweise liegt auch einer der bekanntesten Romane Colettes nun in neuer Übersetzung vor: «Chéri». 1912 spielend und 1920 veröffentlicht, sorgte er bei Erscheinen sofort für Aufruhr, denn sittenstrenge Leserinnen und Leser zeigten sich moralisch entrüstet ob der skandalösen Beziehung, die der Roman verhandelt.
Boshafte Beobachterin
Ein Vierteljahrhundert trennt die Endvierzigerin Léa, eine Halbweltdame mit wechselnden Liebschaften, von ihrem jugendlichen Gespielen, dem Mittzwanziger Fred Peloux, «Chéri» genannt. Sechs Jahre bereits währt die Affäre zwischen dem egozentrischen jungen Mann und der ihm weit überlegenen Léa. Während er sich in seiner Schönheit sonnt, beginnt sie erste körperliche Makel zu konstatieren: ein Hals, der «seine strahlende Blässe» eingebüsst hat, und eine Haut, unter der sich «erschlaffte Muskeln» abzeichnen.
Colette erweist sich darin als Meisterin der Gesellschaftskonversation, angereichert mit Boshaftigkeiten und Aperçus. Was sie gleich zu Anfang des Romans vorführt, als sich Léa zu Freds Mutter, dem «Fässchen», nach Neuilly aufmacht. In scheinbarer Zugewandtheit verbringen die beiden Frauen den Nachmittag, plaudern über dies und jenes und belauern sich argwöhnisch, immer bereit, einen Giftpfeil abzuschiessen.
Gnadenlos seziert Colette das Äussere und Innere der sich aufplusternden Damen der Gesellschaft: «Die alte Lili ging in skandalöser Weise mit der Mode. Ein gestreifter Rock, revolutionsblau und weiss, hielt ihren Unterkörper zusammen, ein kleiner blauer Spenzer gab viel von der Brust mit der genarbten Haut eines zähen Truthahns preis; ein Silberfuchs kaschierte den nackten, blumentopfförmigen Hals nicht, einen Hals, der so voluminös war wie ein Bauch und das Kinn einfach eingesogen hatte.»
Als Chéri sich entschliesst, die achtzehnjährige Edmée zu heiraten, scheint Léa das nichts auszumachen, während der Bräutigam ein strenges eheliches Regiment zu führen beabsichtigt: «Sie soll die Spur meiner göttlichen Füsse küssen und ihr Schicksal preisen.» Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Léa verreist für ein halbes Jahr. Edmée fürchtet zu Recht, dass ihr Mann der «Alten» nachtrauert, und als Chéri von einer Reise im «noch verborgenen Frühling» nach Paris zurückkehrt, eilt er zu Léa, und die beiden landen wieder im Bett. Das Ende ist das jedoch nicht, denn Léa, nach der der Roman eigentlich heissen müsste, ist wieder einmal klüger als ihr Kind gebliebener Liebhaber.
Dreimal Colette, drei Beispiele dafür, welche Register diese Autorin zu ziehen weiss. Ihr üppiges Werkverzeichnis zeigt, welche Schätze hier für ein deutschsprachiges Publikum noch zu heben sind.
Colette: Chéri. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Renate Haen und Patricia Klobusiczky. Nachwort von Dana Grigorcea. Manesse-Verlag, München 2025. 258 S., Fr. 36.90.
Colette: Claudines Elternhaus. Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Elisabeth Edl. Zsolnay-Verlag, Wien 2025. 175 S., Fr. 34.90.
Colette: Vom Glück des Umziehens. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Ina Kronenberger. Unionsverlag, Zürich 2025. 126 S., Fr. 29.90.