Die Betreiberin des Kinos hat von Stadt und Kanton schon früher Geld erhalten – jetzt soll die Genossenschaft aushelfen.
Es waren schlimme Nachrichten für die Zürcher Kulturszene: Vor knapp einem Jahr wurde bekannt, dass die Kinos Uto und Alba geschlossen werden. Die Eintritte waren während der Pandemiejahre zusammengebrochen. So traditionsreich die beiden Säle auch sein mochten – sie brachten einfach kein Geld mehr ein.
Und nun steht mit dem Houdini in der Kalkbreite schon das nächste Programmkino vor dem Aus. Vorerst bleiben die fünf Säle zwar offen –aber wie lange das Kino durchhält, ist unklar. Die finanzielle Situation des Kinos scheint äusserst fragil zu sein, wie in einem Bericht der Tamedia-Zeitungen zu lesen war.
Demnach hat die Kinobetreiberin Neugass Kino fast 1,8 Millionen Schulden bei ihrer Vermieterin, der Genossenschaft Kalkbreite. Es ist ein Betrag, den die Firma aus eigener Kraft nicht aufbringen kann, wie eine Sprecherin auf Anfrage der NZZ bestätigt. Deshalb steht nun ein Schuldenerlass im Raum.
Die Genossenschafterinnen und Genossenschafter der Kalkbreite werden am 30. Januar bei einer ausserordentlichen Generalversammlung über das Schicksal des Houdini befinden.
Von Anfang an verschuldet
Im aktuellen Jahresbericht der Genossenschaft Kalkbreite ist detailliert aufgezeichnet, wie diese Abhängigkeit zustande gekommen ist. Es ist die Geschichte einer komplizierten Geschäftsbeziehung.
Vor der Eröffnung des Kinos im Jahr 2014 gewährt die Genossenschaft der Neugass Kino AG ein Darlehen von gut 2,8 Millionen Franken. Das Geld ist für den Innenausbau der Bar und der Vorführräume bestimmt. Zehn Jahre später, Ende 2024, hat das Unternehmen davon bloss etwas mehr als eine Million plus Zinsen zurückgezahlt.
Trotzdem springt die Genossenschaft immer wieder in die Bresche: Als sich die wirtschaftliche Lage des Kinos im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie verschlechtert, verzichtet sie über mehrere Jahre hinweg auf einige zehntausend Franken Miete und korrigiert den Wert des Darlehens zwei Mal erheblich nach unten.
Doch für die Kinos der Stadt Zürich bleibt die Geschäftslage schwierig. Ein Kino nach dem anderen geht zu. Den Anfang dieser traurigen Serie macht 2019 das Arthouse Nord Süd. 2021 folgt das Cinema Frosch. 2023 ist im Arthouse Alba Schluss, und 2024 geht schliesst auch das Uto zu.
Mit dem Houdini könnte die Serie weitergehen – sofern die Genossenschaft Kalkbreite dies nicht verhindert. Eine Kommission der Genossenschaft schlägt der Generalversammlung einen entsprechenden Deal vor.
Im Rahmen dieses Deals sollen die Kinobetreiber der Genossenschaft 597 900 Franken bis am 30. April des laufenden Jahres zurückzahlen. Weitere 597 900 Franken wollen die Betreiber den Genossenschaftern in Form von Kinobilletten und «weiteren Leistungen» erstatten. Die letzten 579 901 Franken soll die Genossenschaft ihrer Mieterin im Gegenzug erlassen.
Eine wegweisende Abstimmung
Doch auch für die Genossenschaft sind 1,8 Millionen «viel Geld», wie es im Jahresbericht heisst. Die Kalkbreite finanziert sich hauptsächlich durch Mieteinnahmen aus ihren Wohnungen. Ein Entscheid müsse die Genossenschaft deshalb mit Sorgfalt prüfen.
Eine Sprecherin der Genossenschaft Kalkbreite schreibt der NZZ auf Anfrage: «Die jetzt notwendige teilweise Abschreibung von einem Drittel des Darlehens können wir über die Zeit vollständig decken.» Da sie vorausschauend geplant hätten, würde ein Schuldenerlass weder die Liquidität noch das Budget der Genossenschaft beeinflussen.
Seit 2018 seien zwischen der Genossenschaft und der AG laufend Gespräche geführt worden. Über die strukturellen und finanziellen Herausforderungen des Kinobetriebs seien sie stets informiert gewesen.
Zur Stimmung unter den Bewohnerinnen und Bewohnern könne die Genossenschaft keine Einschätzung abgeben. Da das komplexe Thema die gesamte Organisation betreffe, hätten Vorstand und Geschäftsstelle aber aktiv den Dialog zur gemeinsamen Lösungsfindung gesucht.
Dringend auf Unterstützung angewiesen
Die Neugass Kino schreibt, dass es sich bei den Schulden um «Altlasten» handle. Dass man diese nicht zurückzahlen könne, liege am Strukturwandel der Branche. Diese verschiebe sich mehr und mehr in den digitalen Raum.
Sollte die Generalversammlung dem Schuldenerlass nicht zustimmen, könne eine Schliessung des Houdini deshalb «nicht ausgeschlossen» werden. Was dies für das Kino Riff Raff und das Luzerner Bourbaki, die ebenfalls zu Neugass Kino gehören, bedeuten würde, lässt das Unternehmen offen.
Angesichts der Tatsache, dass das Houdini rund einen Drittel zum Umsatz Unternehmens beiträgt, könnte sein Ende aber gefährliche Konsequenzen für das ganze Unternehmen haben.
Obwohl das Houdini also ziemlich dringend auf das Wohlwollen der Genossenschaft Kalkbreite angewiesen ist, gäbe es auch andere Geldquellen: 2023 und 2024 erhielt die Neugass Kino AG von der Stadt und Kanton Zürich einmalige Zahlungen von je rund 250 000 Franken.
Die Unterstützung sei an Bedingungen geknüpft gewesen, sagt Primo Mazzoni von der Dienstabteilung Kultur der Stadt Zürich gegenüber der NZZ. Das Unternehmen habe Sanierungsmassnahmen vorlegen müssen und dies auch getan. Einen ähnlichen Antrag könnte Neugass Kino abermals einreichen.
Ein solcher sei bei ihm aber bislang aber nicht eingegangen, sagt Mazzoni am Mittwoch zur NZZ. Sowieso werde zurzeit grundsätzlich überprüft, wie die Stadt künftig das Film- und Kino-Angebot fördern werde.
Eine Schliessung wäre mit hohen Kosten verbunden
Wenn sich die Genossenschafterinnen und Genossenschafter am 30. Januar gegen einen Schuldenerlass aussprechen, ist die Zukunft des Houdini ungewiss. Ohne die Unterstützung sei «die Fortführung des Kinobetriebs stark gefährdet,» wie die Genossenschaft schreibt.
Und dies wär auch nicht im Interesse der Genossenschaft. Sollte das Houdini Konkurs anmelden, müsste diese nämlich die Räumlichkeiten neu vermieten. Die Genossenschaft schätzt die Kosten einer Neuvermietung inklusive Rückbau der Kinosäle auf 800 000 bis 1 500 000 Franken. Alternative Nutzungen seien grundsätzlich realistisch, eine Analyse über mögliche Szenarien habe die Genossenschaft bereits in Auftrag gegeben.
Die Genossenschaft halte sich aufgrund der Vielfältigkeit aktuell alle Möglichkeiten offen. Baurechtlich gebe es allerdings Einschränkungen bezüglich der Wohnungsnutzung.