Laut einer HSG-Studie wird hierzulande weniger Fleisch gegessen. Trotzdem haben es Vegetarismus und Veganismus schwer. Auch Kuhmilch bleibt beliebt.
Nicht ganz ideal war der Zeitpunkt, als die Forscher ihre letzten Daten erhoben. Das war im Mai und Juni des vergangenen Jahres, während eines eher nassen Frühlings. Die Grillsaison begann erst später. Trotzdem kann Matthias Eggenschwiler nach insgesamt dreijähriger Forschung einen Trend feststellen: «Der Flexitarismus boomt.»
Eggenschwiler untersucht für das Institut für Handelsmanagement der Universität St. Gallen die Gewohnheiten der Schweizerinnen und Schweizer zu Tisch – zusammen mit Forschern der Universitäten Rostock und Bern sowie des Inselspitals. In ihrer neusten Studie kommen sie zum Schluss, dass hierzulande immer weniger Fleisch auf die Teller landet.
Fleischproduktion bleibt unverändert
Im Vergleich zu 2022 bezeichneten sich 2024 deutlich mehr Befragte als Flexitarier – also als Menschen, die nicht mehr täglich einen Rinds-Hamburger oder ein Lachsfilet verdrücken und wöchentlich höchstens 300 Gramm Fleisch oder 200 Gramm Fisch essen. Ihr Anteil nahm innerhalb von zwei Jahren von 18,3 auf 26,6 Prozent zu.
Was die Produktion von Fleisch angeht, sagen die Zahlen allerdings etwas anderes. Wie der Branchenverband Proviande auf Anfrage mitteilt, blieb diese von 2022 bis 2024 praktisch unverändert bei rund 50 Kilogramm pro Person und Jahr. Unklar ist dabei, wie viel davon tatsächlich verkauft und dann auch verspeist wurde.
Wie bei jeder Umfrage, bleibt auch bei der HSG-Studie eine Ungewissheit: Sagen die Teilnehmer die Wahrheit oder was gesellschaftlich salonfähig ist? Gerade derzeit ist die Diskussion um den Fleischkonsum und die negativen Folgen für die Umwelt so gross wie kaum zuvor.
Ob Tatsache oder Wunschdenken: Die Daten zeigen einen Wandel. Eggenschwiler ordnet die grössere Zahl an Flexitarier als Ausdruck «eines gestiegenen Bewusstseins für nachhaltige Ernährung und für einen bewussten Fleischkonsum» ein. Zu viele Steaks in den Regalen, zu hohe Stickstoffwerte wegen der Zucht in den Böden, zu viel Methan in der Luft wegen rülpsenden und furzenden Kühen. In den Medien werde stark diskutiert, wie sich die Produktion von Fleisch auf die Umwelt auswirke, sagt Eggenschwiler.
Und die Umwelt macht mit Wetterextremen Kapriolen. Einige Konsumenten würden diese Ereignisse mit der Klimadebatte verknüpfen, sagt Eggenschwiler, «und das stärkt ihren Nachhaltigkeitsgedanken.»
Von der Cordon-Bleu-Lust überwältigt
Trotzdem nimmt die Zahl der Vegetarier nur geringfügig zu. Laut der HSG-Studie stieg sie in den vergangenen zwei Jahren von 7,8 auf 8,1 Prozent. Unter den Befragten gingen die Veganer sogar von 0,5 auf 0,3 Prozent zurück.
Der naturschützerische Instinkt scheint sich in Zaum zu halten: Wenn man vor der Speisekarte sitzt oder vor der Sandwich-Theke steht, überwältigt einen womöglich die Cordon-Bleu- oder Fleischkäse-Lust. Und selbst panierte Poulet-Nuggets kommen bei den Kindern am Familientisch in der Regel besser an als Tofu-Geschnetzeltes. Gewohnheiten und einfache Umsetzbarkeit siegen in der Hektik des Alltags.
Christine Brombach ist Professorin am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Dass die Zahl der Veganer zurückgehe und diejenige der Vegetarier nur leicht steige, könne auf etwas bestimmtes hindeuten: «Die steigende Zahl von Flexitariern könnte durch eine Kombination aus Pragmatismus, gesellschaftlicher Akzeptanz und wirtschaftlichen Erwägungen erklärt werden», schreibt Brombach auf Anfrage.
Kostspielig sind für Konsumenten etwa Lebensmittel, die Milch, Fleisch oder Fisch ersetzen. Auch aus diesem Grund ist der Absatz veganer Burger oder Shrimps inzwischen eher rückläufig. Aber nicht nur: Für die Käufer ist ausserdem oft unklar, ob die hochverarbeitete Ware tatsächlich gesünder und nachhaltiger ist. Und Konsistenz und Geschmack sind anders.
Gleiches gilt auch für Milch-Ersatzprodukte wie etwa Mandelmilch oder Soja-Joghurts. «Alle müssen mit Kalzium, Spurenelementen und Vitaminen angereichert werden, da sie im Naturzustand über vergleichsweise weniger Nährstoffe verfügen», sagt Eggenschwiler. So würden Nährstoffdefizite gemindert. Vollständig könnten sie aber meist nicht wettgemacht werden.
Der Milchprodukte-Hersteller Danone hat die HSG-Studie mitfinanziert. Die St. Galler Uni betont allerdings, vollkommen unabhängig gearbeitet zu haben. Dabei stellte sie fest, dass Kuhmilch und ihre Erzeugnisse mit weitem Vorsprung die beliebtesten Produkte im Handel bleiben. In den letzten zwei Jahren verloren Kuhmilch-Produkte nur ein Prozent Marktanteil an ihre Alternativen – auch wenn die meisten veganen Varianten umweltfreundlicher hergestellt werden, allen voran die Hafermilch.
Gerade bei der Milch spielen aber auch die Traditionen wieder eine Rolle. Kevin Hegg ist Dozent für Lebensmittelmarketing an der Berner Fachhochschule. Milchalternativen würden als Lifestyle-Produkte angesehen. «Sie sind oftmals auf eine junge und urbane Zielgruppe ausgerichtet.» Und dort stiessen sie auch auf Anklang. Kuhmilchprodukte wie auch Käse lösten dafür gerade in der Schweiz Kindheitserinnerungen aus. Sie punkten auch deswegen und bleiben beliebt. In ländlichen Gebieten seien die Alternativen teilweise gar nicht erhältlich, so Hegg.
Nicht im Einklang mit neuer Ernährungs-Pyramide
Die Untersuchung der HSG orientiert sich an der Planetary Health Diet. Ein Team von internationalen Wissenschaftern hatte diese Form der Ernährung 2019 erstmals in der Fachzeitschrift «The Lancet» erläutert. Vereinfacht erklärt, empfiehlt sie weniger Fleisch, im Allgemeinen auch weniger tierische Produkte und dafür mehr Hülsenfrüchte. Dahinter steht auch der Umweltschutzgedanke. Unsere Ernährung soll aus nachhaltiger Produktion kommen.
Im vergangenen Herbst veröffentlichte der Bund seine neue Lebensmittelpyramide. Auch sie ist vom ökologischen Gedanken beeinflusst und in Teilen von der Planetary Health Diet, die allerdings auch umstritten ist. Nicht überall auf dem Planeten ist sie umsetzbar, nicht alle Empfehlungen würden den Bedarf decken, wie etwa an Kalzium, monierte etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung.
Auch die HSG untersuchte in ihrer Studie, inwiefern der Konsum weniger tierischer Nahrungsmittel in der Gesellschaft angekommen ist. Die Antwort ist ein deutliches Nein. Erst 13 Prozent der befragten Haushalte leben schon nach diesem Prinzip. Immerhin sind dies leicht mehr als noch vor zwei Jahren.
Der Wandel zu weniger Fleischkonsum brauche Zeit, «ohne drastische politische Eingriffe womöglich Jahrzehnte», sagt Eggenschwiler. «Wichtig ist es, den Leuten einfach verständliche Richtlinien zu geben wie man sich gesund und nachhaltig ernähren kann.»
Und letztlich braucht es mehr Wissen, das auch an Schulen vermittelt wird, grundlegendes, praktisches. Öffnet man den Kühl- oder Vorratsschrank, braucht es Ideen. Was kochen mit Bohnen und Linsen?