Der HC Ajoie als Prügelknabe der National League wartet auch nach sieben Runden auf den ersten Punktgewinn. Der Trainer Christian Wohlwend sagt, Ajoie sei momentan nicht konkurrenzfähig.
Als der Trainer Christian Wohlwend im Sommer gefragt wird, ob er finde, dass der HC Ajoie in der richtigen Liga spiele, antwortet er: «Wir sind in der National League am richtigen Ort. Der Klub wächst, die Menschen haben Freude. Wieso sollten wir da nicht in der NL spielen?»
Drei Wochen nach dem Meisterschaftsstart ist von Freude nicht allzu viel zu spüren. Ajoie ist abgeschlagen Tabellenletzter, hat sämtliche Partien verloren und stellt sowohl den schwächsten Angriff als auch die schlechteste Defensive. Wohlwend sagt: «Wir sind momentan weit weg und nicht konkurrenzfähig. Mit unserer derzeitigen Personalsituation ist es fast unmöglich, anderen NL-Teams auf Augenhöhe zu begegnen.»
Sieben Niederlagen in Serie sind für jeden Trainer in dieser Liga ein potenzieller Entlassungsgrund; es überrascht, dass der Klub Wohlwend nach dem 0:5 gegen Bern vom Dienstag nicht «au revoir» sagte. Der Engadiner sei «begnadigt» worden, schrieb «Le Matin». Man kann sich fragen, ob eine Entlassung nicht einer Erlösung gleichkäme. Denn das Festhalten an Wohlwend lässt sich schwerlich anders deuten als ein Eingeständnis des Sportchefs Julien Vauclair, dass nicht der Trainer das Problem dieser Mannschaft ist. Sondern die Qualität.
Im Frühjahr fehlten Ajoie 26 Punkte auf Rang 12
Seit dem unerwarteten Aufstieg von 2021 hat Ajoie die Qualifikation stets auf dem letzten Platz abgeschlossen, zum vorzeitigen Ligaerhalt fehlten 9, 18 und zuletzt 26 Punkte. Die Resultate waren mager, egal ob der Trainer Gary Sheehan, Filip Pesan, Julien Vauclair oder Christian Wohlwend hiess. Man könnte auch Ralph Krueger, Arno Del Curto oder den Stanley-Cup-Sieger Jon Cooper an die Bande stellen, das Leistungsvermögen dieser Mannschaft würde sich kaum entscheidend verändern.
Der unablässige Schwall von Niederlagen ist nicht verwunderlich, Ajoie operiert mit einem Budget von 15 Millionen Franken für den gesamten Verein. Das ist ein respektabler, ehrbarer Betrag, gemessen an der strukturschwachen Region Jura und dem Umstand, dass Pruntrut weniger als 7000 Einwohner zählt.
Doch Ajoie hat mit Abstand den kleinsten Etat der Liga. Seit dem Aufstieg ist dem Kader kaum Qualität beigefügt worden; für die Schweizer Spieler ist das hinter den sieben Jurabergen gelegene Dorf die allerletzte Abzweigung der Karriere – wer nicht muss, wechselt nicht zu Ajoie.
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En réaction aux résultats décevants de ce début de saison, la direction du HC Ajoie travaille au renforcement à très court terme de l’équipe. Le directeur sportif Julien Vauclair multiplie les contacts pour pouvoir engager un défenseur et un attaquant étranger supplémentaire. pic.twitter.com/I6tVAuMYqx— Hockey-Club Ajoie (@HC_Ajoie_off) October 2, 2024
In einem Land, das nicht genügend Akteure hervorbringt, um 14 National-League-Teams zu bestücken (und deshalb die Anzahl der spielberechtigten Ausländer von vier auf sechs erhöhen musste), sind das schlechte Voraussetzungen. Wohlwend formuliert es so: «Wenn alles, aber wirklich absolut alles für uns läuft und wir eine perfekte Saison spielen, dann werden wir vielleicht mal Zwölfter. Oder Elfter. Aber alles andere ist heute nicht realistisch. Und in der derzeitigen Konstellation morgen vermutlich auch nicht.»
Wohlwend, 47, wusste um diese Gegebenheiten, als er den Job im Sommer 2023 antrat. Kurz zuvor war er im HC Davos entlassen worden – die ordentlichen Resultate hatten seine unglückliche Aussendarstellung nicht aufwiegen können. Vielleicht hätte Wohlwend bei der Suche nach der nächsten Herausforderung mehr Geduld haben sollen, statt nach Ajoie zu gehen. Aber der Markt für Schweizer Trainer ist überschaubar – und im Ausland praktisch inexistent. Nicht nur Wohlwend fällt es da verständlicherweise schwer, Angebote abzulehnen.
Vielleicht hoffte er auch darauf, mehr bewegen zu können. Doch die Konsequenz der wirtschaftlichen Limiten ist, dass kaum Schweizer unter Vertrag stehen, die in der National League anderswo einen Stammplatz hätten. Eine Ausnahme ist der Stürmer Thibault Frossard, eine Identifikationsfigur – er betreibt in Glovelier sein eigenes Sportfachgeschäft. Der 31-Jährige ist einer der wenigen Spieler, die im eigenen Nachwuchs gross geworden sind; der Verein ist in den Altersklassen U 20 und U 17 nicht auf der höchsten Stufe vertreten. Doch Frossard leidet an einer Oberschenkelverletzung, er hat erst zwei Spiele absolviert. Und wird auch am Wochenende nicht einsatzfähig sein. Wohlwend sagt: «Wir können solche Ausfälle schlicht nicht kompensieren.»
Der Aufstiegscoach Gary Sheehan wurde 2021/22 erst nach 18 Niederlagen am Stück entlassen
Als Sofortmassnahme hat Ajoie am Mittwoch den zuletzt in Davos engagierten finnischen Verteidiger Kristian Näkyvä zu einem Probetraining eingeladen. Es dürfte die letzte Massnahme sein, den Trainer zu stützen, ehe die altbekannten Mechanismen trotzdem greifen und Wohlwend mit den besten Wünschen verabschiedet wird. Er sagt: «Ich habe noch nie von einem Verwaltungsrat so viel Wertschätzung gespürt wie bei Ajoie. Und auch noch nie von einem Sportdirektor so viel Vertrauen wie hier. Aber ich mache mir keine Illusionen, jeder weiss, wie das Geschäft funktioniert. Wenn du acht, neun, zehn Mal auf den Sack bekommst, dann musst du etwas machen. Und dann trifft es den Trainer.»
Wobei Ajoie bereits hohe Leidensfähigkeit bewiesen hat: 2021/22 stellte das Team mit 19 verlorenen Partien nacheinander einen National-League-Negativrekord auf; der Aufstiegstrainer Sheehan musste erst nach der 18. Niederlage gehen.
Noch besteht Hoffnung auf eine Wende, am Freitag empfängt Ajoie den EHC Kloten, den Leader, der bei seiner verblüffenden Kletterpartie in der Tabelle auch einiges an Fortune beansprucht hat; sein Wettkampfglück dürfte irgendwann aufgebraucht sein.
Wohlwend sagt, die Moral seiner Mannschaft sei intakt: «Das sind Profis. Es ist ein Privileg, in dieser Liga spielen zu dürfen und Eishockey als Job zu haben. Wir stehen in einer Bringschuld gegenüber den Fans und Sponsoren. Das Mindeste, was wir tun können, ist, uns den Hintern aufzureissen.»
Kann diese eine Tugend ausreichen, um die Negativserie zu stoppen: Einsatzfreude? Hält die Misere an, wird sich die Organisation irgendwann neuerlich die Frage stellen müssen, ob man in der Swiss League nicht glücklicher wäre. Ganz generell dürfte die in den letzten Jahren immer wieder emotional geführte Debatte, ob 14 Teams nicht zu viele sind, neu aufflammen, wenn ein Klub so lange nicht konkurrenzfähig ist wie Ajoie. Das ungleiche Duell mit dem SC Bern wollten am Dienstag noch 3595 Zuschauer sehen. Im Jura kündigt sich bereits der nächste garstige Winter an.