Al Drago / Bloomberg
Machtmensch, Maulheld, Meinungsmacher: Die Zeichen stehen gut für eine Wahl von Trump. Es ist an der Zeit, die politischen Künste zu honorieren – ohne seine dunklen Seiten zu vergessen.
Wer hätte gedacht, dass Donald Trump ein solches politisches Comeback hinlegt. Wer konnte voraussehen, dass sich der Kult um Trump noch steigern lässt, dass die Republikaner ihn im Glücksrausch erneut zum Präsidentschaftskandidaten erküren. Die Fähigkeit von Trump, aus einer K.-o.-Lage heraus die Oberhand zu gewinnen, kann man nicht anders als phänomenal bezeichnen. Trump hat eine enge Verbindung zum Wrestling-Sport; und er politisiert wie ein Wrestling-Champion. Aber das ist nur ein Aspekt des talentierten Mr. Trump, der sich selbst einmal als «sehr stabiles Genie» bezeichnet hat. Damals lachten alle, heute nicht mehr.
Vor dreieinhalb Jahren galt Trumps politische Laufbahn als klinisch tot. Der 45. Präsident der USA verliess Washington in Schimpf und Schande, nachdem er die amerikanische Demokratie an den Rand des Kollapses gebracht hatte. Sein Exodus erfolgte am 20. Januar 2021, um genau 8 Uhr 20.
An diesem klirrend kalten Morgen atmeten die Bewohner der amerikanischen Hauptstadt auf. Sie hatten miterlebt, wie der 45. Präsident der Vereinigten Staaten sich 78 Tage lang einbunkerte, unwillig, das Amt an den legitim gewählten Präsidenten Joe Biden zu übergeben.
Ein Trump gibt nie auf
Doch nun stieg Trump zusammen mit der First Lady in den Marine-One-Helikopter und flog von dannen. Fernsehbilder zeigen, wie Mitarbeiter hastig Container mit den Habseligkeiten der Trumps vom Gelände karrten – und, wie später zu erfahren war, wohl auch einigen Geheimdokumenten. Nur eineinhalb Stunden später wurde Präsident Joe Biden ins Amt geschworen.
Der Spuk der Trump-Jahre war vorbei: die ständigen Demonstrationen und Gegendemonstrationen, die Truppen der Nationalgarde, die gepanzerten Fahrzeuge, die Kampfhelikopter, die Trump im Sommer 2020 in die Stadt rief, um die «Black Lives Matter»-Proteste zu stoppen, die Trump-Fans, die mit ihren Mistgabeln das Capitol stürmten, die Make-America-Great-Again-Schamanen und fundamentalistischen Strassenprediger, die auf Schwule hetzten – sie verschwanden mit Trump; es kehrte wieder Ruhe ein im District of Columbia.
Die letzten Worte von Präsident Trump, als er in den Helikopter nach Mar-a-Lago stieg, klingen heute wie eine Verheissung: «Ich möchte mich verabschieden, hoffentlich nicht für lange Zeit. Wir sehen uns wieder.» Dazu reckte er die rechte Faust in die Höhe. Niemals aufzugeben, das hat Trump früh von seinem hartherzigen Vater gelernt. «Sei ein Killer, sei ein König», lautete dessen Ratschlag an seinen Sohn. Daraus machte dieser ein Lebensmotto: 2008 erschien eine Autobiografie von Donald Trump, mit dem Titel: «Never Give Up». Darin geht es darum, wie man Niederlagen in Triumphe verwandelt.
Frühe politische Ambitionen
Donald Trumps tumultuöse Ankunft in der amerikanischen Politik wird oft als unvorhersehbares Ereignis kommentiert, seine siegreiche Präsidentschaftskandidatur 2016 als Schwarzer Schwan. Dabei interessierte sich Trump bereits als junger Immobilienunternehmer für die Politik und begann ein Jahr vor den Wahlen 1988 das Gerücht zu streuen, dass er womöglich in die Politik einsteige. Er liess zahlreichen Magazinen und Zeitungen einen «Brief an die Amerikaner» drucken und tingelte 1987 mit seinem Bestseller-Buch «The Art of the Deal» durch die amerikanischen Talkshows, wie beispielsweise bei Letterman.
Seine politische Botschaft – er war als Republikaner registriert, bevor er unabhängig und dann Demokrat und dann wieder Republikaner wurde – ähnelt erstaunlich derjenigen von heute: Die USA lassen sich von ihren Partnern und Verbündeten über den Tisch ziehen, es braucht an der Spitze der Regierung einen Mann, der weiss, wie man die Interessen der USA draussen in der Welt durchsetzt. Das grosse Feindbild war für ihn damals Japan, heute sind es die Migranten und China.
Das Auftreten des kaum über vierzig Jahre alten Unternehmers und Playboys, der in Manhattan Hochhäuser baut, strotzte vor Selbstbewusstsein: Er hielt sich für fähig, die Volkswirtschaft zu retten oder im Handumdrehen ein Abkommen zur nuklearen Abrüstung mit Russland auszuhandeln. Trumps politische Regungen blieben nicht unbemerkt in Washington. Führende Demokraten im Kongress versuchten, den prominenten Multimillionär zu rekrutieren. Ohne Erfolg – Trump winkte ab und liess verlauten, die Politik sei «ein sehr gemeiner Ort»; die «fähigsten Leute» würden eine Karriere in der Wirtschaft suchen. Stattdessen tauchte er in die testosterongeladene Welt der Wrestling-Kämpfe ein: 1989 und 1991 veranstaltete er im Plaza Hotel in Atlantic City den zukünftigen Super Bowl der Wrestler, die Wrestlemania.
Richard Nixon als Brieffreund
Schon damals, in den achtziger und frühen neunziger Jahren, zog Donald Trump eine grosse Fangemeinde fast magisch an, andere wiederum fühlten sich von seinem grossmäuligen, protzigen Gehabe abgestossen. Schon damals machte sich dieses Gemisch aus Arroganz, Pomp und Volksnähe bemerkbar, das heute seinen politischen Stil prägt. Schon damals schienen sich die Medien nicht von ihm losreissen zu können. Sein erster politischer Streifzug war weder ernsthaft noch tiefgründig. Aber die Idee, in die Politik zu wechseln, liess Trump nicht los.
Einer, der Trumps Potenzial als Politiker früh erkennt, war der ehemalige Präsident Richard Nixon. In einer Ausstellung in Washington war 2020 die Korrespondenz zwischen Nixon und Trump zu sehen. Der junge, ehrgeizige Immobilienunternehmer und der im unehrenhaften Ruhestand dümpelnde Ex-Präsident pflegten in den achtziger Jahren einen regen Briefwechsel über Sport, Immobilien und die Medien. In einem berühmt gewordenen Brief schrieb Nixon 1987, seine Frau Pat habe Trump im Fernsehen gesehen: «Wie Sie sich vorstellen können, ist sie eine politische Expertin und sagt voraus, dass Sie siegen werden, sobald Sie sich entscheiden, für ein Amt zu kandidieren.» Trump sagt, Nixon habe ihn persönlich dazu gedrängt, in die Politik zu wechseln.
Die Macht der Verschwörungstheorie
Nach schweren unternehmerischen Problemen und Bankrotten seiner Kasinos in den neunziger Jahren erkundete Trump im Jahr 2000 als neues Mitglied der kleinen Reformpartei eine Präsidentschaftskandidatur, die niemand ernst nahm und die er bald wieder fallenliess. Danach polierte er als Host der NBC-Fernsehshow «The Apprentice» sein ramponiertes Image als Geschäftsmann auf. In der preisgekrönten Reality-Show, die vierzehn Staffeln umfasst, kämpften Kandidaten um einen Job in der Trump Organization; die Verlierer schickte Trump jeweils mit dem Satz «You are fired!» in die Wüste. Trump wurde zum Medienstar und erreichte ein Publikum von 16 Millionen.
2012 prüfte Trump erneut eine Präsidentschaftskandidatur. Sein politischer Stil wurde immer aggressiver – er wurde zum Hauptakteur in der «Birtherism»-Kampagne gegen Präsident Barack Obama. Die Verschwörungstheorie behauptete, Obama sei nicht in den USA geboren, deshalb sei er kein amerikanischer Bürger und folglich ein illegitimer Präsident. Trump trieb diese Schmierkampagne mit rassistischen Untertönen voran und gab erst 2016 zu, dass er eine Lüge verbreitet hatte. Mit dem «Birtherism» erreichte er eine wachsende Online-Gemeinschaft, die wirre hasserfüllte oder paranoide Gerüchte verbreitete und die mit QAnon eine Fortsetzung fand. Von nun an fühlten sich rechtsextreme «White Supremacists» von Trump angesprochen.
Der Aussenseiter wird Präsident
Und dann kam, was niemand erwartet hatte und wohl selbst Donald Trump überraschte: Er besiegte in der Wahl 2016 die demokratische Favoritin Hillary Clinton. In den Vorwahlen überrumpelte er zuerst seine Mitbewerber, wie Jeb Bush, Marco Rubio und Ted Cruz. Diese politisierten im ausgeruhten Stil der Grand Old Party; Trump kämpfte wie ein räudiger Underdog von den Strassen New Yorks.
Die Wahrheit kümmerte Trump im Wahlkampf nicht: Während der durchschnittliche Politiker einen Spin fabriziert, lügt Trump geradeheraus und für alle ersichtlich. Der Unterhaltungswert dieses authentischen Lügners war und ist gross, und sein politisches Momentum wuchs ab 2019 schnell.
In den Fernsehdebatten gegen Hillary Clinton im Wahlkampf 2020 scheute er sich nicht, die Gegnerin körperlich einzuschüchtern. Um den Skandal rund um seine sexistischen Aussagen («Grab ’em by the pussy») im «Access Hollywood»-Video zu verwischen, schaffte er angebliche Opfer sexueller Übergriffe durch Bill Clinton herbei und setzte sie ins Live-Publikum einer Town-Hall-Veranstaltung. Gleichzeitig zirkulierte im Netz die Verschwörungstheorie, dass Hillary Clinton im Keller einer Pizzeria in Washington einen Pädophilenring betreibe. Mit der Ankunft Trumps erreicht das Niveau in der amerikanischen Politik neue Tiefen.
Doch Trump bringt viel mehr aufs Parkett als primitives Verhalten und aggressive Rhetorik. Er beweist gleichzeitig einen erstaunlich sensiblen Instinkt für die Anliegen der Wähler. Er erkennt, wie sehr die amerikanische Arbeiterschaft sich wirtschaftlich abgehängt fühlt, wie gross der Groll auf die Eliten in den Küstenstädten ist, die sich an den Früchten des Freihandels erfreuen, während die Jobs im «Flyover-Land» nach Mexiko und Asien abgewandert sind und einst pulsierende Regionen vergammeln.
Er mobilisiert eine ungebildete, weisse Wählerschaft und schafft es innerhalb der Republikanischen Partei, eine stabile Koalition aufzubauen, welche disparate Gruppen wie Wirtschaftsvertreter und die Christlich-Konservativen ins gleiche Boot holt. Trump erschafft eine konservativ-nationalistische Bewegung, die nur ihm frönt; wer seine Wahlkampfveranstaltungen besucht, weiss, wie eng die Bande zwischen ihm und seinen Anhängern sind.
Für Trump fügten sich 2016 die Bausteine seiner Biografie glückhaft zusammen: sein Geschäftssinn als Unternehmer, der Kampfgeist eines Wrestling-Fans, die mediale Professionalität eines Fernsehstars, der Instinkt eines begnadeten Populisten. Und dann auch Glück: die E-Mail-Affäre von Hillary Clinton, die kurz vor den Wahlen zu einer FBI-Untersuchung führte.
Das Chaos der Trump-Präsidentschaft
Die Präsidentschaft von Donald Trump begann und endete düster. In seiner Antrittsrede am 20. Januar 2017 verzichtet er auf die optimistischen, einigenden Worte, wie sie für antretende Präsidenten üblich sind. Stattdessen zeichnet er ein dystopisches Bild von Amerika. Mütter und Kinder seien in den verarmten Städten «eingesperrt», wo rostende Fabriken «wie Grabsteine» aus der Landschaft ragten. Die Rede gipfelt in dem Satz: «Dieses amerikanische Blutbad muss aufhören, hier und jetzt.» Noch nie hielt ein Präsident eine so polarisierende Antrittsrede: Volk gegen Elite, Amerikaner gegen Migranten, Trump gegen Washington.
Auf die Regierungstätigkeit war der 45. Präsident der USA denkbar schlecht vorbereitet. Im Weissen Haus brachen schon in den ersten Wochen interne Streitigkeiten aus, Leaks waren an der Tagesordnung, der Personalverschleiss beträchtlich. Präsident Trump hatte schlicht keine Ahnung, wie der amerikanische Staat mit seinen Checks und Balances funktioniert. Er begriff nicht, warum er das Land nicht regieren konnte, wie ein CEO sein Unternehmen steuert, mit weitgehenden Machtbefugnissen. Er verbitterte zunehmend, weil er sich durch die Medien ungerecht behandelt sah, weil Dauerproteste seinen Hausfrieden in Washington störten, weil er eine Sonderermittlung und zwei Impeachments über sich ergehen lassen musste.
Zwar gelang es Trump, einiges umzusetzen, was auf seiner Agenda stand: Er senkte die Steuern, er ernannte reihenweise konservative Richter, er richtete die Handelspolitik protektionistischer aus, und er hielt Diktatoren in Schach.
Trump zeigt sein autokratisches Gesicht
Doch das Jahr 2020 wurde zum Annus horribilis: die Pandemie, die «Black Lives Matter»-Proteste, die Plünderungen und ein unerbittlicher Wahlkampf. Trump reagierte auf die Krisen mit Repression. Statt die Lage staatsmännisch zu deeskalieren, wollte er das Militär auf amerikanische Bürger hetzen, was das Pentagon als illegal bezeichnete und verhinderte. Unvergessen bleibt sein Auftritt vor der St.-John’s-Kirche in Washington, als Trump, umringt von Kabinettsmitgliedern und dem uniformierten Generalstabschef, die Bibel stumm in die Höhe streckte. Derweil starben Hunderttausende von Amerikanern an Covid.
Spätestens im Herbst 2020 zeichnete sich ab, dass Trump eine Wahlniederlage nicht akzeptieren würde. Die Mär, dass die Demokraten einen Coup vorbereiteten, war weit verbreitet unter den Republikanern. In der Wahlnacht erklärte Trump seinen Sieg, bevor die Stimmen ausgezählt waren. Der Versuch, die Volkswahl von Joe Biden zu verhindern, nahm seinen Lauf: Trumps Loyalisten liessen in den «Swing States» falsche Elektoren aufstellen, um das Wahlresultat zu hintertreiben.
Trump selbst verlangte vom Justizministerium, die Wahlen für korrupt zu erklären; er übte Druck auf die Wahlbehörden in Georgia aus, Stimmen für ihn zu finden, und wies Vizepräsident Mike Pence an, die Wahl nicht zu zertifizieren. Schliesslich stürmten aufgewiegelte Trump-Anhänger am 6. Januar 2021 das Capitol. Der Umsturzversuch scheiterte, und Trump verliess das Weisse Haus als Paria.
Das unerwartete Comeback 2024
Doch Trump gab auch diesmal nicht auf. Diese Woche nominierten ihn die Republikaner in Milwaukee erneut zu ihrem Präsidentschaftskandidaten, und zwar begeistert. Die Republikanische Partei steht geeint wie noch nie hinter Trump, mehr noch, sie steht im Dienst von Trump. Seine Schwiegertochter sitzt im Parteipräsidium; Trump schrieb das diesjährige Parteiprogramm eigenhändig mit. Man fragt sich: Wie schaffte er das bloss?
Unmittelbar nach seinem schmachvollen Abgang aus Washington am besagten eiskalten Januarmorgen im Jahr 2021 begann Trump auf seinem Anwesen in Mar-a-Lago, Florida, sein Comeback zu planen. Er hatte einen wichtigen Trumpf in der Hand: die unbedingte Treue seiner Anhänger. Er liess die Republikaner wissen, dass seine Machtbasis innerhalb der Partei zu gross sei, als dass sie ohne ihn auskämen.
Der damalige Speaker im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, pilgerte nur drei Wochen nach dem Sturm aufs Capitol nach Mar-a-Lago, um Trump seine Loyalität zu beweisen. Das Impeachment gegen Trump, das seine Rückkehr in die Politik verhindert hätte, scheiterte am Widerstand der Republikaner. Die Zwischenwahlen 2022 nutzte Trump für eine Säuberungsaktion im Kongress. Sie war nur teilweise erfolgreich. Dutzende seiner Wunschkandidaten scheiterten an der Urne, und die Republikaner verpassten die Mehrheit im Senat. Damit war klar, dass Trump die Partei im Streit mit sich in die Tiefe ziehen würde. Es gab nur einen Weg aus dem Dilemma: einen Pakt mit Trump und seine Nominierung als erneuter Präsidentschaftskandidat.
Noch einmal bewies Donald Trump, wie meisterlich er selbst in misslichen Lagen eine Machtposition erringt, um dann den Deal zu seinem Vorteil abzuschliessen, wie er es in seinem Buch «The Art of the Deal» voraussagt: Trump geht immer als Sieger hervor.
Hinzu kommt, wie schon so oft, eine tüchtige Portion Glück. Sei es, dass sein Gegner, Präsident Joe Biden, vergreist; sei es, dass er der Kugel eines Attentäters entgeht. Das Schicksal scheint dem nicht ganz stabilen Genie von Trump gewogen zu sein.