Der Strafrechtsprofessor lanciert die Debatte um das Jugendstrafrecht neu und bekommt Unterstützung von rechts.
Jugendliche sollen bei schwerwiegenden Straftaten härter bestraft werden können als heute: Dies fordern Politikerinnen und Politiker, nachdem am Samstag ein 15-Jähriger in Zürich einen orthodoxen Juden mit einem Messer lebensgefährlich verletzt hat.
Beim Täter handelt es sich um einen Anhänger des Islamischen Staats, er ist Schweizer mit tunesischen Wurzeln. Gemäss heute geltendem Jugendstrafrecht droht ihm ein Freiheitsentzug von maximal einem Jahr.
Da er sich mutmasslich aber «nur» eines versuchten Mordes schuldig gemacht habe, werde er nicht die Maximalstrafe bekommen, sagt der Zürcher Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch (SP) gegenüber der NZZ und fragt rhetorisch: «Wenn es für den Versuch schon die Höchststrafe gäbe, was würden die Richter dann machen, wenn ein Jugendlicher wegen Mordes angeklagt wird?»
Jositsch fordert schon seit Jahren schärfere Sanktionen für jugendliche Täter. «Unser Jugendstrafrecht wird nicht jeder Situation gerecht», sagt er. Es sei zwar grundsätzlich richtig, dass das Jugendstrafrecht auf Resozialisierung und Reintegration ausgelegt sei. Doch die gesellschaftliche Akzeptanz dafür schwinde, wenn die Maximalstrafen nicht im Verhältnis zu schwerwiegenden Straftaten stünden.
Zusammen mit der damaligen National- und heutigen Zürcher Kantonsrätin Chantal Galladé (GLP, vormals SP) hat Jositsch vor siebzehn Jahren ein Zwölf-Punkte Programm für straffällige Jugendliche vorgelegt. Konkret forderten sie darin eine Handhabe für straffällige Jugendliche unter sechzehn Jahren sowie für solche, die weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten.
«Dafür wurden wir massiv kritisiert. Man warf uns in den Medien vor, 14-Jährige in den Knast stecken zu wollen», sagt Jositsch. Und heute würden dieselben Medien staunend fragen, warum das Jugendstrafrecht keine härteren Strafen zulasse. Eine gewisse Resignation bei ihm sei nicht zu leugnen.
Heute kämen straffällige Jugendliche in Massnahmeanstalten, aus denen sie wieder entlassen würden, wenn ihr Problem als behoben gelte, sagt Jositsch. Wenn beispielsweise ein Drogenproblem vorliege, kämen die Jugendlichen wieder frei, wenn der Entzug absolviert sei. «Neben solchen Massnahmen ist es aber auch wichtig, eine gewisse Strafe auszusprechen.» Dabei gehe es natürlich auch um Symbolik und darum, eine Drohkulisse aufzubauen.
Spätestens mit 25 Jahren müssten jugendliche Straftäter freigelassen werden – egal, wie gefährlich sie seien, sagt Jositsch. Es brauche da dringend mehr Spielraum, Täter über das 25. Altersjahr hinaus festzuhalten, wenn sie in diesem Alter noch als gefährlich eingestuft würden. «Aktuell wird deshalb die Verwahrung für Jugendliche diskutiert, was ich befürworte.»
Auch Jositschs Mitstreiterin Chantal Galladé betont, dass man das Jugendstrafrecht nicht als Ganzes über den Haufen werfen müsse. «Die Devise, therapeutische und erzieherische Massnahmen höher zu gewichten als eine Bestrafung, ist richtig.» Bei sehr jungen Tätern wie auch bei Jugendlichen, die besonders schwerwiegende Straftaten begangen hätten, bestehe aber eine Lücke, die es zu schliessen gelte.
Natürlich ersetzten Strafen keine Prävention, sagt Galladé. «Aber es macht einen Unterschied, ob man mit einer Straftat ein Jahr oder mehrere Jahre Gefängnis riskiert.» Ausserdem gehe es um die Sicherheit der Gesellschaft. Sie sei froh, dass es damals zumindest gelungen sei, die Altersgrenze von Massnahmen von 22 auf 25 anzuheben.
Noch fehle es an Wissen über die genauen Hintergründe des Angriffs des 15-Jährigen am letzten Samstag, sagt Galladé. «Und wir müssen uns fragen, wie wir mit radikalisierten Jugendlichen umgehen sollen, wenn sie keine Einsicht zeigen und nicht von ihren Tötungsabsichten abkommen.»
SVP: Freiheitsentzug soll länger dauern
Unterstützung bekommen Jositsch und Galladé von der SVP. Die Zürcher Nationalrätin Nina Fehr Düsel hat am Donnerstag in Bern eine entsprechende Motion eingereicht, die von über siebzig Parlamentariern mitunterzeichnet wurde. Darin fordert sie, den maximalen Freiheitsentzug für 15-Jährige von einem auf zwei Jahre sowie ab 16 Jahren von vier auf sechs Jahre zu erhöhen. In schweren Fällen wie Mord sollen unbedingte Strafen gelten.
Auch Fehr Düsel beschäftigt sich schon lange mit dem Thema Jugendstrafrecht. 2019 reichte sie, damals noch als Kantonsrätin, zusammen mit ihrem Ratskollegen Valentin Landmann (SVP) eine parlamentarische Initiative zur Verschärfung des Jugendstrafrechts ein, fand aber keine Mehrheit.
Für Fehr Düsel ist klar: Auch wenn der Grundsatz der Resozialisierung im Vordergrund stehe – mit der heutigen Gesetzgebung hätten die Jugendlichen kaum etwas zu befürchten. «Und das wissen sie auch.» Sie zeigt sich besorgt, dass die Zahl der schweren Straftaten bei Jugendlichen steige und die Täter gleichzeitig jünger würden.
Fehr Düsel glaubt, dass schwerwiegendere Strafen durchaus eine abschreckende Wirkung hätten, auch wenn dies im Fall des Täters von Zürich schwer abzuschätzen sei. Deshalb würde sie es begrüssen, wenn dem Jugendlichen das Schweizer Bürgerrecht entzogen werden könnte, wie es der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr in der NZZ forderte. «So könnte der Täter ausgeschafft werden.»
Bereits letzte Woche hat sich das Parlament mit einer Anpassung des Jugendstrafgesetzes befasst. Es hat – gegen den Willen von SP und Grünen – beschlossen, dass auch junge Mörderinnen und Mörder künftig verwahrt werden können. Ein Schritt, den nicht nur Daniel Jositsch begrüsst, sondern auch der renommierte Psychiater Frank Urbaniok, wie dieser gegenüber den Tamedia-Zeitungen sagte.
Urbaniok würde die Massnahme auch bei vorsätzlicher Tötung, schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung anwenden. Es brauche eine Handhabe für Jugendliche, die mit extrem schwerer Gewalt auffielen – und bei denen zudem ein hohes Risiko bestehe, dass sie rückfällig würden. Die Hürde, sagte Urbaniok, sollte nicht zu hoch angesetzt werden.