Christoph Brand rechtfertigt im Gespräch seinen Bonus, gesteht aber Fehler bei der Kommunikation. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit sagt Brand, dass auch Gas- und Kernkraftwerke Teil der Lösung sein könnten.
Christoph Brand, Sie haben fürs Geschäftsjahr 2023/24 über anderthalb Millionen Franken verdient. Dieser Lohn hat in der Öffentlichkeit für Empörung gesorgt. Was haben Sie sich mit Ihrem Bonus eigentlich gegönnt?
Nichts Spezielles. Ich habe keine teuren Hobbys.
Die Axpo hat argumentiert, die Vergütung sei die Folge eines guten Geschäftsjahrs und sei in der Branche in dem Ausmass üblich. Alles richtig gelaufen also?
Es tut mir leid, dass sich die Leute so aufregen mussten. Ich bereue zwei Dinge. Erstens haben wir die politische Sensibilität unterschätzt. Zweitens ist uns nicht gelungen zu erklären, was die Axpo eigentlich tut.
Wie meinen Sie das?
Viele stellen sich vor, die Axpo sei ein Monopolunternehmen, das der Schweizer Bevölkerung hohe Strompreise verrechnet und im Ausland zockt wie im Casino. Dieses Bild entspricht nicht der Realität.
Sie wollen damit sagen: Wenn die Bevölkerung verstünde, was die Axpo genau tut, dann würde sie Ihren Lohn für gerechtfertigt halten.
Ich sage nur: Die Vergütungen könnten im Kontext des Geschäftsergebnisses betrachtet werden. Die Axpo hat in den letzten fünf Jahren 7 Milliarden Franken Wert generiert für die Aktionäre, 700 Millionen Franken Steuern geliefert, 1200 Arbeitsplätze in der Schweiz geschaffen. Weniger als zwei Prozent des Gewinns kamen aus dem Monopolgeschäft mit Schweizer Stromendkunden. Und kein anderes Unternehmen leistet einen vergleichbaren Beitrag für die Versorgungssicherheit, gemessen an Produktion und Investitionen. Es ist aber nicht an mir, zu sagen, welche Vergütung dafür angemessen ist.
Ein Grossteil des Gewinns kam aus dem Handelsgeschäft. Wie funktioniert dieses eigentlich? Wieso hat die Axpo in den letzten Jahren in diesem Geschäftsfeld so hohe Gewinne erzielt?
Der Kern unseres Handelsgeschäfts ist es, die Energieprobleme unserer Kunden zu lösen. Wir liefern Strom und Gas – für französische Gemüsebauern mit kleinen Gewächshäusern oder für multinationale Firmen mit riesigem Energieverbrauch. Dabei machen wir keine spekulativen Geschäfte. Wenn wir eine Abmachung eingehen, wissen wir, dass wir diese in der Zukunft auch erfüllen können. Damit übernehmen wir die Risiken unserer Kunden und sichern sie ab, sie müssen sich so keine Sorgen mehr machen über steigende Strompreise oder Lieferausfälle.
Es gibt Kritik am Handelsgeschäft. So wirft Ihnen der HSG-Professor Karl Frauendorfer vor, durch intransparente Buchhaltung Verluste im Handel zu verstecken.
Dem muss ich vehement widersprechen. Unsere Abschlüsse umfassen auch die Zahlen des Handelsgeschäfts und werden gemäss internationalen Rechnungslegungsstandards ausgewiesen. Alles wird jährlich von externen Revisoren bestätigt. Die Vorwürfe machen auch keinen Sinn, denn es würde bedeuten, dass Axpo über Jahre Milliarden bewusst falsch gebucht hätte – und keine Revisoren oder Verwaltungsräte es je bemerkt hätten. Wir wären dumm, an einem Geschäftsfeld festzuhalten, das über Jahre solche Verluste generiert.
Sie sagen, bei der Axpo sei alles sicher, das Handelsgeschäft sei keine Spekulation. Und doch zahlt das Unternehmen Millionenboni. Wie soll das jemand verstehen?
Unser Geschäft ist hochkomplex. Ich habe nun schon in mehreren Branchen gearbeitet, aber keine davon kommt auch nur im Ansatz an die Komplexität der Energiebranche heran. Und wir befinden uns im Wettbewerb. Während der Energiekrise haben wir im Handelsgeschäft Mitarbeiter verloren, weil andere Firmen deutlich bessere Löhne zahlen.
Manche Händler der Axpo sollen noch deutlich mehr verdient haben als Sie. Von drei und mehr Millionen Franken Jahreslohn ist die Rede.
Wir geben keine Zahlen zu individuellen Vergütungen bekannt.
Warum nicht? Die Axpo gehört den Nordostschweizer Kantonen und damit deren Bürgern. Diese werden auch geradestehen müssen, wenn die Axpo eben doch zu riskant wirtschaftet.
Die Axpo ist eine privatrechtliche Aktiengesellschaft. Wir sind gegenüber unseren Mitarbeitern zu Datenschutz verpflichtet. Und wir wollen keine Geschäftsgeheimnisse verraten. Unsere Konkurrenz wäre brennend an solchen Informationen interessiert.
Die Axpo hat doch einfach davon profitiert, dass die Strompreise zeitweise auf neue Rekordhöhen angestiegen sind.
Die einzigen sicheren Einnahmen, die wir haben, sind die Tarife aus den Netzen und die minimalen Erträge von gebundenen Endkunden im Kanton Luzern. Diese werden aber vom Regulator tief gehalten. Alle anderen Erträge müssen wir uns tagtäglich erarbeiten. Im Handelsgeschäft ist niemand gezwungen, bei uns Kunde zu werden. Trotzdem haben wir es geschafft, viele zu überzeugen.
Und dabei geht die Axpo eben doch Risiken ein. Kunden können zum Beispiel plötzlich nicht mehr bezahlen.
Klar, denn ohne Risiko kein Ertrag. Was aber häufig vergessengeht: Das grösste Risiko für die Axpo ist nicht unser Handelsgeschäft im Ausland. Sondern die Stromproduktion in der Schweiz.
Warum?
Die Kosten unserer Kraftwerke sind riesig, der Strompreis wird aber international gebildet und liegt fernab unserer Kontrolle. Wir kriegen für unseren Strom genau so viel, wie der Markt hergibt. Vor etwa zehn Jahren war die Schweizer Stromproduktion mehrere Jahre defizitär. Das internationale Handelsgeschäft hat die Axpo in dieser Zeit über Wasser gehalten.
Kommunikativ wäre aber eine Abspaltung des Auslandgeschäfts doch eine elegante Lösung. Die Axpo könnte sich im Inland auf ihre Rolle als Stromproduzentin zurückbesinnen.
Klingt einfach, greift aber zu kurz. Würde man den ganzen internationalen Teil verkaufen, gäbe es vom ersten Tag an grosse Wertverluste, bestehen doch zwischen dem In- und dem Ausland grosse Synergien. Zudem droht der Axpo in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine schleichende Erosion der Stromproduktion in der Schweiz: Unsere AKW werden schrittweise abgeschaltet, bei vielen Wasserkraftwerken laufen die Beteiligungen der Axpo bald aus – sie wurden der Firma vor Jahrzehnten von den Standortgemeinden auf Zeit übertragen und könnten danach in den Besitz der öffentlichen Hand übergehen. Die Axpo wäre in der Schweiz einem stetigen Schrumpfkurs ausgesetzt, womit auch viele Arbeitsplätze verlorengehen würden.
Wäre es nicht besser, diese unausweichliche Entwicklung im Kerngeschäft zu bewältigen, anstatt ihr mit einem Ausbau der Auslandgeschäfte entgegenzutreten?
Die Axpo verdient überproportional viel im Ausland, investiert aber überproportional viel in der Schweiz. Eine Abspaltung würde dazu führen, dass uns das Geld für diese Investitionen fehlt. Und das in einem Umfeld, in dem ohnehin schon zu wenig Geld in die Infrastruktur des Landes gesteckt wird. Ohne Risikodiversifikation durch das Auslandgeschäft wäre diese Schweiz-Axpo einer nächsten Energiekrise ausserdem schutzlos ausgeliefert. Eine Abspaltung wäre verheerend. Nicht für Herrn Brand, sondern für die Eigner. Und auch für die Schweizer Versorgung.
Aber wenn die Axpo künftig massiv weniger Strom in der Schweiz produziert: Wie sinnvoll ist es denn noch, dass sie im Eigentum der Kantone steht?
Es liegt nicht an mir, das zu beurteilen. Entweder freut man sich ob dieser Maschine, die in der Schweiz investiert und Arbeitsplätze schafft. Oder man kann aus ordoliberaler Optik sagen, ein solches Unternehmen solle nicht im Besitz der öffentlichen Hand sein. Als bekennender Liberaler ist das für die Privatperson Christoph Brand schon ein theoretisches Dilemma, aber so ist die Axpo nun einmal gewachsen. Und sie funktioniert ja.
Sie sind seit fast fünf Jahren bei der Axpo. Wie war diese Zeit für Sie?
Turbulenter als gedacht. Es fing in einem Lockdown an, zwei Jahre später kam die schwerste Energiekrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber grosse Veränderungen haben mich immer motiviert. Ich wollte mitgestalten, das ist bis heute so.
Dachten Sie nie ans Aufhören?
Ich bin relativ zäh.
Sind Sie noch der Richtige an der Spitze der Axpo?
Das müssen andere beurteilen.
Was ist Ihre Haltung dazu?
Solange meine Mitarbeiter, der Verwaltungsrat und die Aktionäre mir das Gefühl geben, mit meiner Arbeit zufrieden zu sein, mache ich weiter. An Motivation mangelt es nicht. Und an Handlungsbedarf auch nicht.
Was meinen Sie?
Die Versorgungssicherheit für die Schweiz ist nicht gelöst. Die Rolle der Axpo muss neu gedacht werden, weil sie schleichend ihre Schweizer Kraftwerke verlieren wird und wegen Einsprachen kaum neue bauen kann. Und die Dekarbonisierung muss weiter voranschreiten. Solange ich noch an diesen Herausforderungen arbeiten kann, wäre ein frühzeitiger Abgang mit meinem Selbstverständnis nicht vereinbar.
Wie steht es um den Ruf der Axpo?
Das messen wir regelmässig. Erstaunlich gut, zumindest war dem vor der Bonus-Geschichte so. Die Leute attestieren uns hohe Sachkompetenz. In Sachen Empathie können wir uns aber noch verbessern.
Wie schwierig ist das?
Das ist nicht so leicht, denn in der Energiebranche kann man es keinem recht machen. Egal was man baut, irgendjemand wird es blöd finden. Nehmen Sie die Atomkraft: Da kritisieren uns die Atomfreunde für unsere Feststellung, dass ein neues AKW betriebswirtschaftlich nicht zu stemmen ist. Nukleargegner wiederum wollen nicht einsehen, wieso die Axpo die Betriebsdauer der Reaktoren in Beznau bis 2033 verlängert hat.
Nirgendwo steht, dass die Axpo für die Versorgungssicherheit verantwortlich ist. Und doch ist ziemlich klar, dass der Konzern hart kritisiert würde, wenn es zu einer Notlage käme. Wie gehen Sie mit dieser impliziten Verantwortung um?
Indem ich mein Bestes gebe. Inmitten der Energiekrise war es die Axpo, die im Ausland Gasspeicherkapazitäten reserviert und Flüssiggaslieferungen nach Europa organisiert hat oder ohne Gewinn das Reservekraftwerk Birr betrieben hätte. Gleichzeitig braucht es den Mut, auch anzusprechen, wenn die Schweiz nicht auf Kurs ist. Das hat mir Ärger bereitet und wird es auch künftig tun, aber manchmal ist Klartext nötig.
Wie lautet heute Ihr Klartext bezüglich Versorgungssicherheit?
Technologisch wären alle Möglichkeiten da, dass die Schweiz ihre Versorgung zu einem guten Teil absichern kann. Es braucht aber eine Güterabwägung. Viel zu häufig höre ich in der Debatte ein «Weder-noch»: keine Gaskraftwerke, keine neuen Kernkraftwerke, keine Windturbinen, keine Staudammerhöhungen. Etwas müssen wir aber bauen.
Was würden Sie sagen, wenn es ein AKW sein soll?
Neue AKW können ein Teil der Lösung sein. Sie produzieren CO2-freien Strom, und das auf einer sehr kleinen Fläche. Aber mit allen politischen Verfahren in der Schweiz dauert es über zwanzig Jahre, bis ein neuer Reaktor steht. Und betriebswirtschaftlich kann ein Konzern wie die Axpo das Risiko nicht stemmen. Es müsste also eine Form der Risikobeteiligung geben, wonach alle Stromkunden einen Teil der Kosten tragen. Denn die günstigste Lösung sind neue AKW sicher nicht.
Wie sieht es mit Kleinreaktoren aus?
Wenn solche einmal kommerziell laufen, schauen wir uns das selbstverständlich an. Derzeit gibt es zwar diverse Startups, die auch namhafte Investoren angelockt haben. Ob sie damit Erfolg haben werden, lässt sich heute allerdings nicht sagen. Ich zumindest hoffe es, denn die Kleinreaktoren gäben uns zusätzliche Optionen.
Sie plädierten jüngst für den Bau von 1200 Windrädern in der Schweiz. Wieso?
Von allen heute verfügbaren Technologien produzieren Windkraftanlagen zu den tiefsten Systemkosten Winterstrom. Windräder erhöhen die Versorgungssicherheit und machen die Schweiz unabhängiger von Importen. Der einzige Einwand, den die Gegner haben, ist der Landschaftsschutz. Einen Anteil von Windkraft in einem Strommix mit Wasserkraft, Solaranlagen, Gaskraft und Importen erachten wir als eine vernünftige Kombination. Für die Schweiz wären 1200 Windräder wirklich gut. Das wäre in diesem Umfang keine Verspargelung der Landschaft.
Windräder wären aus wirtschaftlicher Sicht also am sinnvollsten?
Kein anderer Bundesstaat in den USA baut mehr Windräder als das von den Republikanern dominierte Texas. Dort hat man die Ideologie abgelegt, der Windausbau wird aus wirtschaftlichem Kalkül vorangetrieben.
Was wären die weiteren Alternativen?
Gaskraftwerke, irgendwann einmal neue Kernkraftwerke oder importierter Strom. Importe wären ohne Stromabkommen eindeutig schwieriger zu gewährleisten.
Welche Rolle sehen Sie für Gaskraftwerke?
Sie könnten die Stromlücke füllen, falls Solar- und Windanlagen einmal wenig produzieren. Und wäre es denn so schlecht, ein solches Back-up zu haben? Netto-Null ist das richtige Ziel. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die letzten Prozente der Dekarbonisierung teuer werden. Ein Strommix mit einem kleinen Gasanteil wäre günstiger und würde mit Blick aufs Klima doch viel bringen, weil dank einer umfassenden Elektrifizierung der Verbrauch von Erdgas und Öl fürs Heizen oder für Benzin und Diesel im Verkehr massiv gesenkt werden könnte.
Wie wird der neue US-Präsident Donald Trump die Energiewelt verändern?
Ich bin nicht so pessimistisch. Eine höhere Gasförderung in den USA kann es der Welt kurzfristig erleichtern, sich von der Kohle zu lösen. Zudem wird der wirtschaftliche Druck der Erneuerbaren nicht verschwinden. Wenn Windturbinen günstiger als alles andere sind, werden sie auch trotz allen Vorurteilen des Präsidenten weiter gebaut werden. Dass ein Land aus ideologischen Gründen bestehende Solar- und Windanlagen wieder abbaut, halte ich für unrealistisch.