«Bass» heisst die neuste Arbeit von Steve McQueen. Sie zieht dem Besucher in einem aus Licht und Klängen geschaffenen Raum den festen Boden unter den Füssen weg.
Schon beim Eintritt ins Gebäude verliert man die Orientierung. Dämmerung umfängt die Besucher. Die gewohnte Kaltlicht-Atmosphäre des Schaulagers ist erloschen. Alles erscheint gedämpft, die Konturen verschwimmen. Schaut man hoch in die fünf Geschosse, leuchten die LED-Lampen farbig. Langsam, fast unmerklich, gleitet das Licht durch das Spektrum des Farbkreises von Rot zu Violett. Der Raum ist leer – bis auf einige Bänke und einen an der Decke hängenden Aufbau aus Lautsprechern. Basstöne schwingen und durchdringen den Körper mit unsichtbarer Kraft. Wo ist die Kunst? Wir brauchen sie nicht zu suchen – wir sind schon mittendrin.
Die Installation «Bass» des englischen Künstlers Steve McQueen spricht viele Sinne an. Sein Titel steht für das wichtigste Element des Ganzen. Die Bassfrequenzen wurden als improvisierendes Zusammenspiel von fünf Musikern aufgenommen. Harmonisch und leicht arrhythmisch erfüllen sie das Erdgeschoss und das Untergeschoss des Schaulagers. Obwohl die Verstärkeranlagen sichtbar im Raum hängen, kann man die Klänge schwer lokalisieren. Sie sind eigentlich überall, und ihre spürbaren Schallwellen erreichen jeden Winkel. Der Bass bildet eine Art Fluidum, in dem sich der Besucher bewegt.
Dass man den Bassfrequenzen nicht entkommen kann, ist nicht unangenehm, aber doch ein wenig beunruhigend. Genauso wollte es der Künstler: ein Raumgefühl der Desorientierung erzeugen. Hinzu kommt die optische Dämpfung durch das farbige Licht. Es löst die Konturen der Architektur auf. So sind weder der Ort der Töne noch die Grenzen des Raums klar erkennbar. Die Höhe des Atriums im Schaulager mit seinen fünf Geschossen wird unfassbar für das Auge. Licht und Klang isolieren auch die Menschen voneinander. Man tastet sich durch das Fluidum und nimmt die übrigen Besucher kaum wahr. Sie schreiten ebenso erratisch durch den Raum wie man selbst.
Irritierte Wahrnehmung
Steve McQueen, 1969 in London geboren, bewegt sich in seinem Werk zwischen Filmregie, Installation und Drehbuchautor. Für seine artifiziellen und sozialkritischen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet. «Bass» ist der zweite Auftritt des Künstlers im Schaulager, wo 2013 eine grosse Schau seines Werks gezeigt wurde. Damals war es eher die Fülle der Filmräume, kombiniert mit Spiegel- und Glaswänden, die für Desorientierung sorgte. Fast scheint es, als ob er nun mit der Leere von «Bass» einen Kontrast zur Themen- und Formenvielfalt seines Werks inszeniert habe.
McQueen betreibt eingehende Recherchen zu seinen Themen, er durchdringt sie intellektuell und reflektiert sie auch in historischer Perspektive. Hinter jedem Werk steht eine Geschichte, die wiederum mit seiner eigenen Erfahrung als schwarzer Künstler zu tun hat. Dabei entwickelt er eindringliche Umsetzungen seiner Stoffe, arbeitet mit der emotionalen Wirkung von Farben und Helldunkel. Für «Bass» nutzte er den «Designer’s Dictionary of Color», ein Fachbuch für den Einsatz von Farbe. Schon bei der Premiere von «Bass» in der Dia Beacon, einer stillgelegten amerikanischen Fabrik am Hudson nördlich von New York, spielte die Farbgebung eine wichtige Rolle.
Im Schaulager steuert eine präzise Regie die Beleuchtung. Innerhalb von dreissig Minuten gleitet der Raum durch das ganze Farbenspektrum. Das verwandelt die sonst so kühl wirkenden Räume zu einer begehbaren Plastik. Dinge und Menschen werden sanft und beharrlich in ein wechselndes Farbbad getaucht. Was zunächst nicht auffällt: Es gibt nahezu keinen Schatten. Dadurch verschwimmt die klare Form der Dinge, und das Auge muss sich immer wieder neu der spezifischen Qualität der Farbe anpassen. Auch hier herrscht das Prinzip der Desorientierung. Klang und Licht bilden die Einheit des Werks. Beides hat eine Verwirrung der Wahrnehmung zur Folge.
In einer präzisen Choreografie durchläuft das Licht das ganze Farbenspektrum. (Bilder Pati Grabowicz)
Erinnerung an den Sklavenhandel
McQueen hat sich für sein Konzept von einer historischen Episode inspirieren lassen, von der sogenannten «Middle Passage». Der Begriff bezeichnet den Handel mit Sklaven und Gütern zwischen Europa, Afrika und Amerika, der vom 16. bis zum 18. Jahrhundert den europäischen Reichtum geschaffen hatte. Die Händler kauften mit dem Erlös aus dem Menschenhandel begehrte Waren wie Tabak, Zucker und Rohstoffe. Angekettet im Schiffsbauch, waren die verschleppten Afrikaner unvorstellbar grausamer Behandlung ausgesetzt. Viele überlebten die mehrmonatige Fahrt über den Atlantik nicht.
Zum Kalkül der Händler gehörte nicht nur die Nutzung der Sklaven als Ware, sondern auch der Verlust der Menschenwürde. Durch die Dunkelheit in den engen Räumen des Schiffsbauchs verloren die verschleppten Afrikaner ihr Zeitgefühl. Die ehemals freien Menschen wurden auf ihr Schicksal als Sklaven vorbereitet. Leid, Elend und Desorientierung waren Programm.
McQueen hat die «Middle Passage» einige Jahre als Idee mit sich herumgetragen. Es fasziniert ihn die Frage, wie diese Erfahrung der Raumlosigkeit durch ein bestimmtes Klangspektrum erzeugt werden kann. Sein Werk «Bass» bringt sie in eine abstrakte und radikal reduzierte Form. Von der Beklemmung bleibt allein die Wahrnehmung des Orientierungsverlusts. Man braucht den historischen Kontext nicht zwingend zu kennen. Das Gefühl, in einem Klangraum eingeschlossen zu sein, bemächtigt sich der Besucher auf eindringliche und unausweichliche Weise.
Steve McQueen: «Bass». Schaulager Basel, bis 16. November. Der Katalog zur Ausstellung ist noch nicht erschienen.