Ausnahmsweise könnten Schweizer Rüstungsfirmen wieder Länder beliefern, die in Konflikte verwickelt sind. Der Vorschlag wirft demokratiepolitische Fragen auf. Und die Ukraine muss warten.
So schnell kann es gehen. Ende 2021 hat sich das Parlament geweigert, im Kriegsmaterialgesetz eine Ausnahmeklausel zu verankern, die dem Bundesrat bei Waffenexporten ein wenig Spielraum gegeben hätte. Wenig später hat Russland die Ukraine angegriffen. Sofort entbrannte eine emotionale Debatte um die Neutralität, um die Lieferung von Waffen und Munition. Sind die Ausfuhrregeln zu streng? Soll der Bundesrat anderen Ländern erlauben, Kriegsmaterial an die Ukraine weiterzugeben, das sie hierzulande gekauft haben?
Nun liegt ein erstes Resultat vor – ironischerweise ändert sich damit aber für die Ukraine nichts: Der Bundesrat hat am Mittwoch eine Vorlage für eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes in die Vernehmlassung geschickt. Er erfüllt damit einen Auftrag des Parlaments, das nun doch exakt jene Ausnahmeklausel in das Gesetz einfügen will, die es 2021 noch abgelehnt hat.
Neu könnte der Bundesrat beim Entscheid über Waffenexporte von den gesetzlichen Kriterien abweichen, wenn «ausserordentliche Umstände vorliegen» und die «Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordert». Das lässt einigen Interpretationsspielraum.
So flexibel wie im zweiten Irakkrieg
Wirtschaftsminister Guy Parmelin hat einmal dieses Beispiel genannt: Ein wichtiges Partnerland wie die USA oder ein EU-Staat wird unerwartet in einen Konflikt verwickelt. Heute wären per sofort keinerlei Lieferungen mehr möglich – und zwar auch dann nicht, wenn es um Material ginge, das nicht im fraglichen Konflikt zum Einsatz käme, oder um Einzelteile von Schweizer Zulieferbetrieben.
Mit der Ausnahmeklausel hingegen könnte der Bundesrat solche Ausfuhren im Einzelfall in eigener Kompetenz erlauben. Er müsste jeweils das Parlament informieren. Die Ausnahmebewilligungen wären maximal viereinhalb Jahre gültig, danach wäre ein Entscheid des Parlaments nötig. Mit dieser Klausel könnte der Bundesrat wieder ähnlich flexibel kutschieren wie etwa während des Irakkriegs 2003, als die USA trotz ihrer Rolle als Konfliktpartei weiterhin Kriegsmaterial aus der Schweiz erhielten, sofern es nicht im Irak zum Einsatz kam.
Die Lockerung ist aus Sicht des Bundesrats doppelt wichtig. Zum einen für die Sicherheitsindustrie, deren ausländische Kunden durch die heutige Regelung abgeschreckt werden könnten. Zum anderen aber auch für die Schweiz selbst, weil für ihre Armee die Präsenz von Firmen der Sicherheits- und Wehrtechnik existenziell ist, diese aber allein vom Heimmarkt nicht leben können.
«Lex Ukraine» soll bald kommen
Demokratiepolitisch brisant ist die Vorgeschichte. Im Zeitraffer: Hilfswerke und links-grüne Kreise verlangten mit der Korrekturinitiative striktere Regeln für Waffenexporte. Das Parlament beschloss einen Gegenvorschlag. Nachdem es die Ausnahmeklausel gestrichen hatte, wurde die Initiative zurückgezogen. Dass die Klausel nun doch eingeführt werden soll, wollen die Initianten nicht hinnehmen. Sie drohen mit dem Referendum. Der Bundesrat erinnert aber daran, dass die Initianten ebenfalls Ausnahmen zulassen wollten, wenn auch unter restriktiveren Bedingungen.
Bleibt noch die Frage nach der Ukraine. Auch hier sind bald Neuigkeiten zu erwarten: Die Sicherheitskommission des Nationalrats dürfte im Juni eine Vorlage präsentieren, die indirekte Waffenlieferungen unter Auflagen ermöglichen würde. Der vertrauliche Plan, über den der «Tages-Anzeiger» bereits berichtet hat, sieht vor, dass die Schweiz einer Gruppe demokratischer Staaten erlaubt, Kriegsmaterial weiterzugeben, das sie hier erworben haben – jedoch nur an Länder, die von ihrem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch machen. Wie dies genau definiert wird, wenn – wie im Fall der Ukraine – der Uno-Sicherheitsrat blockiert ist, wird noch zu reden geben. Das Parlament dürfte erst 2025 über die Vorlage entscheiden.