Zum fünften Mal in fünf Jahren erhält die Türkei einen neuen Währungshüter. Für einmal bedeutet das aber keinen Kurswechsel. Präsident Erdogan bleibt dennoch der grösste Unsicherheitsfaktor in der türkischen Geldpolitik.
Nach nicht einmal acht Monaten ist die Amtszeit von Hafize Gaye Erkan, der ersten Frau an der Spitze der türkischen Zentralbank, schon wieder vorbei. Am späten Freitagabend erklärte die in den USA ausgebildete Ökonomin, sie habe Präsident Recep Tayyip Erdogan um Entbindung von ihren Pflichten gebeten. Als Grund nannte Erkan eine Rufmordkampagne, vor der sie ihre Familie schützen wolle. Wenige Stunden später ernannte der Präsident Erkans Stellvertreter Fatih Karahan zu ihrem Nachfolger.
Jähe Kehrtwenden
Die Episode weckt ungute Erinnerungen. Erkans Abgang ist bereits der fünfte Wechsel in fünf Jahren. Dies hat vor allem mit Präsident Erdogan und seinen geldpolitisch unkonventionellen Vorstellungen zu tun. Beeinflusst vom islamischen Sündenbegriff und fixiert auf einen Wachstumskurs um jeden Preis, ist Erdogan ein erklärter Gegner hoher Zinsen.
Der türkische Präsident hat die Währungsbehörde in den vergangenen Jahren ihrer Unabhängigkeit beraubt und an ihrer Spitze vorzugsweise gefügige Gefolgsleute installiert, die seine Tiefzinspolitik widerspruchslos umsetzen. Wird der Druck zu gross, weil der Lirakurs ins Bodenlose stürzt und internationale Investoren dem eigentlich mit grossem Potenzial gesegneten Land das Vertrauen entziehen, dürfen konventionelle Ökonomen das Ruder übernehmen und einen rationaleren Kurs verfolgen.
Dies geschah zuletzt nach den gewonnenen Wahlen im Mai. Ein neues Team, zu dem auch Erkan gehörte, hat das Land seither zu geldpolitischer Orthodoxie zurückgeführt. Unter ihrer ersten Chefin erhöhte die Zentralbank die Leitzinsen in mehreren Schritten von 8,5 auf nun 45 Prozent. Damit ist die Inflation zwar noch nicht gebändigt, im Januar lag sie bei knapp 65 Prozent. Auch die Lira verliert weiter an Wert. Dennoch zeichnet sich nach den Verwerfungen der letzten Jahre eine Stabilisierung ab. Auch das Vertrauen der Investoren kehrt allmählich zurück.
Die Sorge der Märkte war immer, dass Erdogan angesichts der unvermeidbaren Wachstumseinbussen, die mit diesem Kurs einhergehen, irgendwann die Geduld verlieren und eine neuerliche Kehrtwende verordnen würde. Erkans Vorvorgänger wurde 2021 genau aus diesem Grund nach nur vier Monaten im Amt wieder entlassen.
Verhängnisvolle Misstritte
Doch diesmal liegen die Dinge anders. Erkan musste nicht wegen ihrer Geldpolitik gehen, sondern wegen Vorwürfen der Vetternwirtschaft und anderer Misstritte. In den vergangenen Wochen waren Berichte aufgetaucht, wonach ihr Vater in der Zentralbank ein und aus gehe und, ohne offizielle Befugnisse, Weisungen erteile. Eine Mitarbeiterin beklagte sich sogar, von ihm geschlagen worden zu sein.
Bereits vor einigen Wochen hatte die Zentralbankchefin Schlagzeilen gemacht, als sie erklärte, wegen der hohen Wohnkosten in Istanbul mit ihrer Familie wieder bei den Eltern zu wohnen. Der Versuch der Volksnähe konnte angesichts des Millionenvermögens der ehemaligen Goldman-Sachs-Bankerin nicht überzeugen.
Wie berechtigt die Vorwürfe des Nepotismus sind, bleibt ungeklärt – ebenso die Frage, weshalb eine Zentralbankchefin glaubt, sich öffentlich anbiedern zu müssen. Dass Erkan über einflussreiche Gegner verfügte, dürfte aber unbestritten sein.
Geldpolitische Stabilität als oberstes Ziel
Wichtiger für die Türkei ist jedoch, dass der jüngste Personalwechsel in der Zentralbank für einmal nicht mit einem Politikwechsel einhergeht. Erkans Nachfolger Karahan hat sich am Sonntag in einer ersten Stellungnahme explizit zum Ziel der Preisstabilität bekannt. Der Ökonom, der wie seine Vorgängerin lange in den USA tätig war, steht ebenfalls für eine konventionelle Wirtschaftspolitik. Die Märkte nahmen es erleichtert zur Kenntnis. Anders als nach früheren Wechseln gab die Lira am Montag kaum an Wert nach.
Präsident Erdogan hält somit vorerst am Kurs der geldpolitischen Stabilisierung fest. Die Frage, wie lange das Gültigkeit hat, bleibt aber bestehen. Denn solange auch in wirtschaftspolitischen Fragen alle Fäden im Präsidentenpalast zusammenlaufen, sitzt jeder türkische Zentralbankgouverneur auf einem Schleudersitz.