Text als Bild, Bild als Text: Eugen Gomringer verwandelte Wörter in Kunstwerke. Als Gründer der konkreten Poesie zählte er zu den wichtigsten Lyrikern unserer Zeit.
(dpa) Der Dichter Eugen Gomringer ist tot. Er starb am Donnerstag im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Bamberg, wie sein Sohn Stefan am Freitag mitteilte. Gomringer, Sohn eines Schweizers und einer Bolivianerin, gilt als Mitbegründer oder gar Vater der konkreten Poesie.
Geboren in Bolivien, aufgewachsen in der Schweiz
Eugen Gomringer kam 1925 in Bolivien zur Welt, wuchs in der Schweiz auf, aber verbrachte den Grossteil seines Lebens in Deutschland. Sein erster Gedichtband erschien 1953 – dreisprachig: «konstellationen constellations constelaciones».
Vor fünf Jahren – kurz vor seinem 95. Geburtstag – sagte Gomringer über seine damaligen Arbeiten: «Ich habe mir gedacht: Man müsste doch auch mit Worten so einfache Werke schaffen können.». Konkrete Kunst sei für ihn damals das ästhetische Kapitel einer neuen literarischen Weltbewegung gewesen.
Im Januar feierte Gomringer seinen 100. Geburtstag mit zahlreichen Gästen im oberfränkischen Rehau. In der Stadt, in der er lange gelebt hat, wurde anlässlich des Ehrentags eine ihm gewidmete Ausstellung eröffnet.
Sexismus-Debatte um bekanntes Gedicht
Gomringer hatte keine Berührungsängste mit der Wirtschaft. Der Posten des Kulturbeauftragten des Porzellan-Herstellers Rosenthal führte die Familie nach Oberfranken. Von 1977 bis 1990 lehrte er als Professor für Theorie der Ästhetik in Düsseldorf.
Sein bekanntestes Gedicht «avenidas» stand lange an einer Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin, bis Studentinnen die Zeilen als diskriminierend auffassten. Denn im letzten Satz heisst es übersetzt: «Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer». Damit würden Frauen, so die Kritikerinnen, zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert. In Rehau sah man das anders – dort war es seit 2018 an einer Hauswand zu lesen.