Nach 2011 hielt sich Asad mit brutaler Gewalt und taktischem Geschick an der Macht. Am Ende war sein korruptes Regime aber so marode, dass es binnen einer Woche kollabierte.
Bashar al-Asad war jedes Mittel recht, um an der Macht zu bleiben. Folter in den Gefängnissen, Fassbomben auf Wohngebiete, Giftgas gegen Zivilisten – der Diktator kannte keine Skrupel. Niemals nachgeben war seine Strategie, seitdem sich während des Arabischen Frühlings 2011 die ersten friedlichen Proteste auf den Strassen formiert hatten. Von Anbeginn an reagierte er mit rücksichtsloser Repression. Nie hat er ernsthaft versucht, den Ursachen des Unmuts mit Reformen zu begegnen oder die Spaltung des Landes zu überwinden.
«Der Slogan des Regimes war immer: Asad oder wir brennen das Land nieder», sagte der Regimegegner Yassin al-Haj Saleh vor einigen Jahren der NZZ im Exil in Berlin. Es sei immer klar gewesen, dass Asad alles tun würde, um an der Macht zu bleiben, auch wenn das Land dabei zerstört würde. Zugeständnisse sah der Diktator als Zeichen der Schwäche, einen Kompromiss mit der Opposition lehnte er ab. Stattdessen machte er den Konflikt für seine Anhänger zu einer Frage von Leben oder Tod.
Asad habe den konfessionellen Charakter des Konflikts gezielt gefördert, um die alawitischen und die christlichen Minderheiten zu zwingen, sich hinter sein Regime zu scharen, sagte Saleh. Gleich nach Beginn des Aufstands entliess Asad Tausende von Islamisten aus den Gefängnissen. Sein Kalkül war, dass sie die säkularen Oppositionskräfte an den Rand drängen und zu einer Radikalisierung und Konfessionalisierung des Konflikts beitragen würden. Seine Strategie ging auf.
Bashar folgte in den Fussstapfen seines Vaters
Dabei hatte Bashar al-Asad als Hoffnungsträger gegolten, als er nach dem Tod seines Vaters Hafez al-Asad im Juni 2000 die Macht übernahm. Sein Vater hatte Syrien drei Jahrzehnte lang mit eiserner Hand regiert. An der Spitze der sozialistischen Baath-Partei hatte er das Land zu einem Polizeistaat gemacht, in dem ein bleierner Personenkult herrschte. Einen Aufstand der islamistischen Muslimbrüder in Hama liess er 1982 von der Luftwaffe niederbomben. Wer ihn zu kritisieren wagte, verschwand in den Kerkern des Regimes – oft für immer.
Nach Hafez’ Tod hätte ursprünglich sein ältester Sohn Basil die Macht übernehmen sollen, doch dieser war 1994 bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Also musste Bashar ran. Der damals 34-Jährige galt als moderater und liberaler als sein Vater. Mehrere Jahre hatte er in London als Augenarzt gearbeitet und dort die elegante Investmentbankerin Asma geheiratet. Das junge Paar wirkte modern und frisch. Doch die Hoffnung vieler Syrer auf eine politische Öffnung zerschlug sich rasch.
Nach einem kurzen Damaszener Frühling zog Asad die Schrauben wieder an. Zwar liberalisierte er die sozialistisch geprägte Wirtschaft, doch blieb Syrien ein Einparteistaat mit Asad in seinem Zentrum. «Alles ist eng verbunden mit Asad», sagte der syrische Oppositionelle Usamah Darrah 2020 bei einem Gespräch in Istanbul. «Die ganze Befehlskette läuft bei ihm zusammen, die ganze Propaganda ist auf ihn fokussiert. Ohne ihn würde das Regime zusammenbrechen.»
Alle Macht lief bei dem Asad-Clan zusammen
Die Zentralisierung der Macht verstärkte sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs 2011. Die Baath-Partei wurde entmachtet, die anderen Institutionen des Staates marginalisiert. Gemeinsam mit seiner Frau Asma, seinem Bruder Maher und anderen engen Angehörigen kontrollierte Asad den Staat, das Militär und die Nachrichtendienste. «Das Militär ist nicht von Asad zu trennen, weshalb es den Präsidenten auch nicht absetzen kann», sagte der Oppositionelle Darrah.
In den ersten Jahren des Krieges setzten die Rebellen dem Regime hart zu: Bombenanschläge dezimierten die Führung, Tausende Soldaten liefen zur Opposition über, bald tobten die Kämpfe nur wenige Kilometer vom Präsidentenpalast entfernt. Doch Asad gab nicht nach. Auf internationalen Druck hin liess er sich zwar auf Verhandlungen mit der Opposition ein, doch liess er die Gespräche ins Leere laufen. Für ihn waren seine Gegner Terroristen, die vernichtet werden mussten.
Der stets etwas steif und scheu wirkende Präsident erwies sich als zynischer Taktiker der Macht, der seine Gegner, aber auch seine Alliierten in Teheran und Moskau geschickt gegeneinander ausspielte und sich nicht scheute, sein Volk für seinen Machterhalt zu opfern. Gnadenlos liess er seine Kritiker verfolgen und ins Gefängnis werfen. In den Gebieten der Opposition liess er systematisch Schulen, Spitäler, Märkte und Bäckereien bombardieren, um jedes Leben unmöglich zu machen. Hilfslieferungen setzte er als Druckmittel ein.
Keiner hat in Syrien mehr Blut an den Händen als Asad
Mehr als eine halbe Million Menschen hat der Bürgerkrieg seit 2011 das Leben gekostet – der Grossteil ging auf das Konto des Regimes. Die Halsabschneider des Islamischen Staats (IS) mögen die Welt schockiert haben mit ihren Greueltaten, die sie mit sadistischer Lust an der Gewalt öffentlich in Szene setzten. Doch am Ende starben weit mehr Menschen unter den Artillerie- und Bombenangriffen des Regimes und in Asads Folterkellern, wo Gegner des Gewaltherrschers ausgehungert, malträtiert und krank zu Tausenden in der Dunkelheit verreckten.
Nach 2015 gelang es Asad mithilfe der iranischen Revolutionswächter, der libanesischen Hizbullah-Miliz und der russischen Luftwaffe, die Rebellen zurückzudrängen. Aleppo, Homs, Daraa, Suweida, Ost-Ghouta – nach und nach fielen die Hochburgen der Rebellen zurück an das Regime. Zermürbt von Jahren der Blockade und der Bombenangriffe, waren die letzten Kämpfer ein ums andere Mal gezwungen, mit ihren Familien nach Idlib abzuziehen – der letzten Bastion der Opposition.
Seit dem Frühjahr 2020 waren die Fronten weitgehend eingefroren. Der Konflikt war zwar nicht gelöst, und es war klar, dass die Kämpfe jederzeit wieder aufflammen könnten, wenn sich die prekäre Machtbalance verschöbe. Doch schien Asad gesiegt zu haben. Kaum jemand glaubte mehr daran, dass die Rebellen ihm noch gefährlich werden könnten. Selbst die Türkei, die seit 2011 die Opposition mit Geld und Waffen unterstützt hatte, suchte zuletzt die Annäherung an Asad.
Asad hat offenbar den Ernst der Lage unterschätzt
Doch Asads Regime wirkte stabiler, als es war. Hinter der Fassade zerfielen die staatlichen Institutionen, zerfressen von Korruption und Klientelismus. Während sich mafiöse Banden im Umfeld des Asad-Clans hemmungslos am Staat bereicherten, versank die Bevölkerung in Armut. Längst litten auch die Anhänger des Regimes an der Inflation und der Mangelwirtschaft. Nur noch der lukrative Schmuggel des Amphetamins Captagon verhinderte, dass das Regime bankrottging.
Asad scheint zuletzt in seinem Palast den Ernst der Lage unterschätzt zu haben. Von der Offensive der islamistischen Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham wurde er kalt erwischt. In nur einer Woche fielen Aleppo, Hama, Homs und schliesslich Damaskus praktisch kampflos an die Rebellen. Da Asads Truppen der Wille zu kämpfen fehlte, waren auch seine Alliierten in Moskau und Teheran nicht länger gewillt, Asad den Kopf zu retten. Am Schluss blieb ihm nur die Flucht nach Moskau.
Nach 24 Jahren an der Macht hinterlässt Asad ein verwüstetes Land und eine zerrissene, tief traumatisierte Bevölkerung. «Wir Syrer sind eine gespaltene Gesellschaft», sagte die syrische Oppositionelle Suheir Atassi schon vor drei Jahren bei einem Gespräch in Istanbul. «Wir werden während Generationen dafür bezahlen, was Asad getan hat.» Viele Syrer blicken nun mit Sorge auf die Islamisten, die mit ihrer Blitzoffensive die Macht in Damaskus an sich gerissen haben. Doch der Sturz des Diktators weckt auch die Hoffnung auf einen Neubeginn. Für die breite Masse der Syrer gilt: Schlimmer als unter Asad kann es kaum werden.







