Zwei Mal verspielt Kloten gegen Ambri-Piotta eine Drei-Tore-Führung, aber trotzdem fordert das Überraschungsteam im Play-off-Viertelfinal ab Donnerstag die ZSC Lions. Auf das abermals gescheiterte Ambri dürften unruhige Wochen warten.
Lange nach Spielschluss steht Lauri Marjamäki im Kabinengang der Swiss-Arena und sagt nachdenklich: «Ich weiss, dass diese Mannschaft sehr viel besser spielen kann. Wir sind momentan weit von unserem Potenzial entfernt.»
Gemessen am Anlass sind es überraschende Worte, die der Trainer des EHC Kloten da wählt. Gerade hat sich sein Team zum ersten Mal seit neun Jahren für das Play-off der National League qualifiziert und sich im Viertelfinal ein Rendez-vous mit dem Rivalen ZSC Lions gesichert. Es gab diese Affiche letztmals im Frühjahr 2014, im Final. Aus dem gleichen Jahr datiert der letzte Klotener Play-off-Sieg, ein 4:1 über Gottéron. Der Torhüter hiess Martin Gerber, der Trainer Felix Hollenstein und der Mehrheitsaktionär Philippe Gaydoul. Es ist alles unendlich lange her, Kloten hat seither viel durchgemacht, unter anderem vier Jahre Swiss League; Auswärtsspiele in Biasca vor 142 Zuschauern.
Der Weg zurück an die nationale Spitze ist noch sehr weit, es ist nicht abzusehen, ob Kloten sie jemals wieder erreicht, dafür fehlen im Budget ein paar Millionen im Vergleich mit der Konkurrenz. Aber diese Play-off-Qualifikation ist eine wichtige Etappe. Eine, die dem Klub mehrere hunderttausend Franken bescheren wird. Und die der Anhang am Montagabend fast so ausgelassen feierte wie einen Meistertitel.
Die kanadischen Investoren von Ambri-Piotta haben inzwischen eine Million Franken überwiesen
Wie schon zwei Tage zuvor bezwang Kloten den HC Ambri-Piotta 5:4. Wieder schenkte das Team einen Drei-Tore-Vorsprung her. Und erneut fing es sich, dieses Mal nach einem Torhüterwechsel. Es profitierte auch davon, dass das konfuse Ambri den Kopf verlor. Auf dem Eis wo der kanadische Wüterich Chris DiDomenico einmal mehr die Frusttoleranz eines renitenten Teenagers offenbarte. Und an der Bande, wo der Coach Luca Cereda rätselhafterweise vergass, dass der Geist Ambris in der Solidarität liegt, im Kollektiv. Der Verteidiger Jesse Virtanen stand 29 Minuten auf dem Eis, der Topskorer Dominik Kubalik mehr als 23. Falls sich nicht alle mit den Feinheiten der Verteilung der Eiszeit in der Moderne auskennen: Die Pensen von Ambris Top-Spielern hatten vergleichbar viel Überlänge wie «The Irishman» von Martin Scorsese.
Man wähnte sich in die tiefsten 1990er-Jahre zurückversetzt, so sehr forcierte Cereda seine Stars. Der Plan schlug fehlt: In zwei Partien kassierte Ambri zehn Treffer. Gegen ein offensiv gewiss nicht übermächtiges Kloten mit dem Erstliniencenter Tyler Morley. In den acht Spielzeiten der Ära Cereda hat Ambri die Play-offs nur ein einziges Mal erreicht, sechs Jahre ist das inzwischen her.
Auf Ambri dürfte ein unruhiger Sommer warten. Der Vertrag Kubaliks läuft aus, sein Verbleib ist ungewiss. Und den Klub drücken unverändert hohe Verbindlichkeiten. Für Linderung soll das Engagement kanadischer Investoren sorgen. Nach einer NZZ-Recherche liess der Klub im Januar per Communiqué verlauten, dass das nichts weiter als «Gerüchte» seien. Und als der unter Beschuss stehende Präsident Filippo Lombardi kurz darauf auf seinem Haussender «Tele Ticino» danach gefragt wurde, wie es denn angesichts der undurchsichtigen Kommunikation mit diesem Deal aussehe, antwortete dieser sinngemäss: Da müsse man bei der NZZ nachfragen, die sei ja immer so gut informiert.
Wir helfen gerne. Zwar weiss selbst klubintern kaum jemand, wer die eigentlichen Geldgeber sind, aber inzwischen ist eine Million Franken auf einem Treuhand-Konto in Lugano eingetroffen. Abzüglich der Vermittlerprovision und dem fälligen Darlehen von 500 000 Franken des Ex-Verwaltungsrats Heinz Haller bleiben davon allerdings nicht mehr allzu viele Mittel übrig. Mindestens zwei Play-off-Heimspiele wären der Liquidität zuträglich gewesen.
Kloten hatte die schwächsten Special Teams der Liga – und erreichte trotzdem Rang 7
Die spielt stattdessen Kloten. Was den Coach Marjamäki ein Stück weit überrascht. «Wir hatten in der Qualifikation das schlechteste Powerplay und das schwächste Boxplay. Wie ist das möglich, ohne Special Teams die Play-offs zu erreichen?», fragt er. Und liefert die Antwort gleich selbst: «Wir haben ein funktionierendes Kollektiv und sind mental sehr stark. Aber eben: Wo stünden wir, wenn die Special Teams funktionieren würden?».
Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass nichts das Klotener Selbstvertrauen hat erschüttern können. Nicht einmal der Abschied des wichtigsten Individualisten Miro Aaltonen, dessen Vertrag im Januar aufgelöst wurde, nachdem er aufgrund nächtlichen Kokainkonsums in einer Dopingkontrolle hängenblieb.
Die Frage ist, wie viel dieses Klotener Kollektiv noch im Tank hat. Die Mannschaft hat alle Erwartungen und Saisonziele übertroffen. In der Serie gegen den nach knapp zehntägiger Pause wieder ausgeruhten Titelhalter Zürich ist Kloten krasser Aussenseiter. Besteht die Gefahr, dass auf den Höhepunkt vom Montag so etwas wie ein Kater folgt? «Überhaupt nicht», sagt der Captain Steve Kellenberger, und ergänzt: «Wir werden uns voll hungrig in diese Serie hängen. Die Stadien werden jedes Mal ausverkauft sein, als Spieler kannst Du dir nichts Schöneres wünschen, das gibt automatisch Energie. Und am Ende schauen wir dann, ob es für vier Siege gereicht hat.»