Der erste Schnee in der Stadt fällt mit dem Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung zusammen. Viele freuen sich über die weisse Pracht, doch Marktfahrer sehen Nachteile.
«Drei, zwei, eins, null!» Die Menschenmenge auf dem Herkulesplatz an der Zürcher Bahnhofstrasse zählt den Countdown mit. Bei null wird es kurz still: Dann leuchtet «Lucy», die Weihnachtsbeleuchtung.
Tausende haben sich versammelt, um die ersten Stunden der Zürcher Vorweihnachtszeit mitzuerleben. Heuer wurde «Lucy» erstmals mit einem sogenannten Buzzer eingeschaltet, auf einem grossen Bildschirm wurde der Countdown eingeblendet.
«Wie in New York»
«Ein Countdown ist immer gut!», sagen zwei Zürcherinnen am Herkulesplatz zu der Neuerung. «Das ist wie in New York, am Times Square!» Doch nicht alle mögen die Neuerung. «Mir geht’s einfach um die Beleuchtung, ob Buzzer oder nicht, ist egal», sagt eine Bernerin, die für «Lucy» nach Zürich gereist ist.
Ebenfalls neu: Dieses Jahr können Zürcherinnen und Zürcher einen Bestandteil von «Lucy» verschenken. Die Vereinigung Zürcher Bahnhofstrasse, die die Weihnachtsbeleuchtung finanziert, verkauft Patenschaften für die einzelnen Kristalle der Beleuchtung. Insgesamt sind 11 500 Patenschaften zu haben, für jeden Kristall von «Lucy» eine. Eine Patenschaft kostet 45 Franken und gilt für ein Jahr.
Der Verkauf dieser Patenschaften hätte eigentlich am 21. November anfangen sollen. Doch weil die Nachfrage sehr hoch war, beschloss die Vereinigung Bahnhofstrasse, den Verkauf schon am 5. November zu eröffnen. Bisher wurden 300 der 11 500 Sterne verkauft. Fanny Eisl von der Vereinigung Bahnhofstrasse sagt: «Wir sind sehr zufrieden mit dem Start der Aktion.»
10 der 45 Franken spendet die Vereinigung Bahnhofstrasse den Clowns des Kinderspitals. Patinnen und Paten können den Betrag, der gespendet wird, ausserdem freiwillig erhöhen – beispielsweise um 30 oder 60 Franken. Das hätten bisher viele getan, sagt Eisl. 5000 Franken seien bis jetzt zusammengekommen.
Wer die Patenschaft eines Kristalls kauft, erhält dazu eine silbern glänzende Urkunde. Darauf steht, wo der Kristall hängt, zum Beispiel: «Kristall Nr. 2380 von 11 500» an der Bahnhofstrasse, Ecke Bärengasse.
Vorfreude auf die Weihnachtsmärkte
Während «Lucy» die Bahnhofstrasse schmückt, finden in der ganzen Stadt Weihnachtsmärkte statt. Auch sie wurden am Donnerstag eröffnet – und ebenfalls sehnsüchtig erwartet.
Kurz vor 16 Uhr stehen vor dem Eingangsbogen vor dem Weihnachtsmarkt auf dem Sechseläutenplatz etwa hundert Leute, einige halten Regenschirme in der Hand. «Noch eine Minute», sagt eine Besucherin, dann wird das Band durchgeschnitten. Der Weihnachtsmarkt ist eröffnet.
Den ersten Glühwein gibt es um drei nach vier, um fünf nach vier erklingt zum ersten Mal «Jingle Bells». Die Tannenbäume im Wienachtsdorf sind leicht mit Schnee bedeckt. Der perfekte Start in die Adventszeit – so scheint es.
Nur: Für jene, die am Weihnachtsmarkt arbeiten, bringt der Schnee Nachteile mit sich. Der Marroniverkäufer Michael Ademi sagt: «Wenn es schneit, bleiben viele zu Hause.» Der Schnee sei zwar besser als Regen. «Aber am besten ist es, wenn die Temperaturen zwischen 3 und 10 Grad liegen, wenn es trocken ist und idealerweise sonnig. Dann kommen die Leute und kaufen auch», sagt Ademi. Sei es zu kalt, sei das für ihn ebenfalls schlecht. «Bei Minusgraden wollen die Leute keine Marronitüte halten müssen.»
Maja Gautschi am traditionellen Bratlachs-Stand sieht das gleich: «Bei Schnee kommen die Leute und holen sich rasch etwas, aber trocken ist besser.» Sie möchte optimistisch bleiben: «Jetzt schauen wir einmal, wie dieses Jahr läuft.» Die Stände auf dem Sechseläutenplatz werden derweil weiter eingeschneit.
Weihnachtsschnee von gestern
Weisser Weihnachtsmarkt, heisst das auch weisse Weihnachten? Nein, wahrscheinlich nicht. Solche sind selten, auch in Jahren, in denen es im November schon schneit. In Zürich liegt die Wahrscheinlichkeit weisser Weihnachten laut Meteorologen bei 27 Prozent. Zuletzt gab es in Zürich im Jahr 2010 weisse Weihnachten.
Das war auch schon immer so: Zwar werden weisse Weihnachten wegen des Klimawandels seltener. Doch sie waren stets ein Ausnahmefall. Kurz vor den Festtagen setzt oft das sogenannte «Weihnachtstauwetter» ein: Zwischen dem 24. und dem 29. Dezember stösst feuchtwarme Luft aus dem Süden in die Schweiz vor. Es fängt an zu regnen – und der Vorweihnachtsschnee schmilzt pünktlich zu Heiligabend wieder.
Warum scheinen sich trotzdem so viele daran zu erinnern, dass es «früher» öfter weisse Weihnachten gegeben habe? Das seien Erinnerungstäuschungen, sagen Psychologen. Unser Hirn neige dazu, besondere Ereignisse stärker wahrzunehmen als gewöhnliche. Erleben wir also einmal in zehn Jahren weisse Weihnachten, werden wir uns daran in dreissig Jahren viel eher erinnern als an die neun grünen Weihnachten.
Das Gute daran: Unser Hirn vermischt Erinnerungen auch gerne – und so wird Adventsschnee rückblickend zu Weihnachtsschnee. Schneit es also heuer das Wienachtsdorf ein, dürften sich einige in ein paar Jahren an weisse Weihnachten 2024 erinnern. Also: warm einpacken, Glühwein schnappen und Erinnerungen an den «Weihnachtsschnee» sammeln.