Seit Jahren finanziert Iran Politiker, Parteien und Milizen im Irak. Doch nach dem Sturz des Asad-Regimes im benachbarten Syrien sind Teherans Verbündete auch dort unter Druck. Ein Besuch.
Mit wehenden Fahnen und lauten Gesängen marschieren entschlossen aussehende Männer durch die schiitischen Viertel von Bagdad, der irakischen Hauptstadt. «Tod Amerika, Tod Israel», skandiert die umstehende Menge immer wieder, aus Lautsprechern dröhnen Kampflieder.
Es ist der 28. März, der letzte Freitag im heiligen Fastenmonat Ramadan. Wie jedes Jahr findet an diesem Tag auch in Bagdad der sogenannte Al-Kuds-Tag statt – jene düstere Veranstaltung, die die iranischen Revolutionsführer einst ins Leben gerufen hatten, um ihren Kampf gegen Israel zu feiern. Auf der ganzen Welt ziehen jeweils Tausende Anhänger Teherans durch die Strassen und schwören, Jerusalem (al-Kuds) von den verhassten Zionisten zu befreien.
Doch die Machtdemonstration in Bagdad kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um die Sache, der hier gehuldigt wird, derzeit nicht besonders gut steht. Denn die von Iran angeführte «Achse des Widerstands» – jene Koalition aus Staaten und Milizen, die sich dem Kampf gegen Israel und Amerika verschrieben hat – ist so schwach wie nie.
Teheran hat viel in den Irak investiert
Erst mussten ihre Unterstützer mit ansehen, wie Israels Armee im vergangenen Herbst der libanesischen Hizbullah-Miliz, die als Kronjuwel Teherans galt, eine verheerende Niederlage beibrachte. Dann fiel kurz vor Weihnachten auch noch das mit Iran verbündete Regime von Bashar al-Asad in Syrien in sich zusammen.
Jetzt haben die Schockwellen Bagdad erreicht. Irak ist für das iranische Regime fast noch wichtiger als Syrien. Das Land war nicht nur eine wichtige Nachschublinie für Teherans Verbündete in Syrien und in Libanon. Als unmittelbarer Nachbar Irans ist es mit seiner schiitischen Bevölkerungsmehrheit für dessen Sicherheit überlebenswichtig.
In jahrzehntelanger Arbeit hat Irans Führung ihren Einfluss in Bagdad ausgebaut. Sie sponsert dort schiitische Politiker, Parteien und bewaffnete Milizen. Nun ist das alles mit einem Mal in Gefahr. Denn abgesehen von den Huthi im fernen Jemen, die allerdings ein politisches Eigenleben führen, ist Irak Teherans letzte Bastion im Nahen Osten. Könnte Bagdad der nächste Dominostein sein, der fällt?
Unzählige Gruppen und Grüppchen
«Natürlich haben wir verloren. Aber bei Gott, am Ende werden wir siegen», sagt Ali al-Hamdani, ein General der sogenannten Volksmobilisierungskräfte (PMF), in seinem Kommandostab in der Pilgerstadt Kerbala. Der 65-jährige Schiit verkörpert wie kein Zweiter die komplizierten Verhältnisse im Land. Als Militärkommandant untersteht er eigentlich dem Ministerpräsidenten in Bagdad. Die Freiwilligenverbände der PMF, die 2014 aus der Taufe gehoben worden waren, um den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen, gehören zu den Verteidigungskräften des Iraks.
Gleichzeitig wirkt Hamdani aber auch wie ein Parteigänger Irans. In seinem fensterlosen Büro hängen Bilder des Teheraner Generals Kassem Soleimani, der 2020 von den Amerikanern getötet wurde. Kürzlich hat Hamdani seine Galerie um ein Porträt des ehemaligen Hizbullah-Chefs Hassan Nasrallah ergänzt, der im letzten September bei einem israelischen Luftangriff starb. «Diese Leute sind unsere Verbündeten. Sollen wir uns etwa für sie schämen?», sagt Hamdani, der einst Seite an Seite mit den Iranern gegen den IS gekämpft hatte.
Die zumeist schiitischen PMF sind eine heterogene Truppe. Unzählige Gruppen und Grüppchen gehören der Organisation an. Manche folgen dem irakischen Grossayatollah Ali al-Sistani, der als patriotisch gilt und die PMF mit einem religiösen Erlass ins Leben gerufen hatte. Andere wiederum schwören dem iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei die Treue. Tausende Milizionäre hatten zudem im syrischen Bürgerkrieg auf der Seite von Bashar al-Asad gekämpft.
Nicht erst seit dem Sturz des syrischen Diktators stehen die PMF unter Druck. Vor allem den Amerikanern ist die rund 250 000 Mann starke, vom Staat besoldete Truppe ein Dorn im Auge. Washington, das selbst immer noch Soldaten im Irak stationiert hat, hält die Schiitenverbände für Handlanger Irans und drängt auf ihre Auflösung. Doch die PMF sind nicht nur kampferprobt, sondern auch mächtig. Längst mischen sie in der irakischen Politik mit und verfügen über ein eigenes Wirtschaftsimperium.
Iran hat kein Interesse an einer weiteren Konfrontation
Man werde sich keineswegs auflösen, sagt Mohannad al-Akabi, der Medienchef der Organisation, in seinem Büro in Bagdad, wo lauter Plastikmodelle von Panzern und Truppentransportern auf einem Glastisch stehen. Die PMF würden nach wie vor gebraucht – schliesslich gebe es im Land immer noch Schläferzellen des IS. Zudem würde eine Auflösung der Truppe verheerende Folgen haben: «Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn wir 250 000 Männer einfach auf die Strasse werfen», sagt Akabi. «Da ist es besser, wenn wir sie unter Kontrolle haben.»
Die Bagdader Regierung um Mohammed Shia al-Sudani versucht deshalb, Zeit zu gewinnen. Der irakische Ministerpräsident war selbst nur mithilfe der proiranischen Fraktionen im Parlament ins Amt gekommen. Gleichzeitig setzt er auf gute Beziehungen mit Amerika und will Irak aus den Konflikten in der Region heraushalten. Um Provokationen zu vermeiden, hält er die verschiedenen Untergruppen der PMF zur Zurückhaltung an.
Doch nicht alle Gruppen halten sich daran. Radikale Kampfverbände wie die Miliz Harakat al-Nujaba haben im vergangenen Jahr immer wieder Raketen auf amerikanische Stützpunkte im Irak abgeschossen. Der Organisation wird vorgeworfen, direkt aus Teheran gesteuert zu sein, obwohl sie offiziell den PMF angehört. Haidar al-Lami, der Sprecher der Truppe, streitet das vehement ab: «Wir stimmen uns zwar mit unseren Partnern ab. Aber am Ende treffen wir unsere eigenen Entscheidungen.»
Inzwischen hat die Miliz ihre Angriffe eingestellt, die sie einst zur Unterstützung der Hamas im Gazastreifen begonnen hatte. Dabei ist der Krieg dort erst gerade wieder aufgeflammt. Aber offenbar hat die iranische Führung zurzeit kein Interesse an einer Konfrontation und nimmt ihre Klienten deshalb an die Kandare. Lami äussert sich beim Treffen in einem schmucklosen Einfamilienhaus in Bagdad nicht dazu. Jeder Teil des «Widerstands» habe nun mal seine eigene Rolle, sagt er. «Zurzeit sind es die Huthi in Jemen, die den Kampf anführen.»
Angst vor Angriffen der Amerikaner oder der Israeli habe er nicht, sagt Lami. Zwar sei der Verlust Syriens für Harakat al-Nujaba, die während des Bürgerkriegs etliche Kämpfer ins Nachbarland geschickt hatte, ein herber Rückschlag gewesen. «Aber am Ende haben wir nicht für Asad gekämpft, sondern die schiitischen Schreine in Syrien beschützt. Die Idee des Widerstands hängt nicht von einzelnen Führern ab. Sie wird immer weiterleben.»
«Wir haben genug von äusseren Einflüssen»
Trotzdem schlägt Irans Unterstützern inzwischen auch im Irak ein härterer Wind entgegen. Vor allem unter den Sunniten herrscht seit der Machtübernahme ihrer Glaubensbrüder in Damaskus Aufbruchstimmung. Nach dem Sturz Saddam Husseins durch die Amerikaner 2003 hatte die sunnitische Minderheit im Irak ihre Macht eingebüsst und sich immer wieder erfolglos gegen die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad erhoben. «Seit Sharaa in Syrien regiert, hoffen viele, dass es auch im Irak zu einem Wandel kommt», sagt ein junger Sunnit im Zentrum von Bagdad.
Die Sunniten sind aber nicht die Einzigen, die von Teherans Einmischung die Nase voll haben. 2019 waren auch Hunderttausende Schiiten auf die Strasse gegangen, um gegen die grassierende Korruption zu demonstrieren und ein Ende des iranischen Einflusses im Irak zu fordern. Hunderte von ihnen wurden darauf von mutmasslich proiranischen Kämpfern niedergeschossen. Im Gegenzug brannte eine wütende Menge das iranische Konsulat in Kerbala nieder.
Längst haben die Demonstranten von damals eigene Parteien gegründet. «Wir haben genug von Konflikten und äusseren Einflüssen. Wir wollen eine wirkliche Heimat für alle Iraker, unabhängig von Konfession oder Ethnie», sagt Muhi al-Ansari, der Vorsitzende von Beit Iraq, einer liberalen Oppositionspartei, die ihren Sitz im Bagdader Nobelviertel Jarmuk hat. Die Iraner sollten aus dem Irak verschwinden und ihre bewaffneten Gruppen auflösen, fordert er.
Die proiranischen Milizen werden sich aber kaum so schnell verdrängen lassen. Schon die Demonstranten 2019 seien von den Amerikanern bezahlt worden, behauptet Lami, der Sprecher von Harakat al-Nujaba. Der Umsturz in Syrien sei nun ein weiterer Komplott Washingtons, um den Irak zu kontrollieren. «Wir geben unsere Waffen daher erst ab, wenn der Mahdi kommt», sagt er – und meint damit den letzten, entrückten Imam der Schiiten. Mit seiner Rückkehr wird allerdings erst am Ende der Zeiten gerechnet.