In dem bettelarmen Land am Roten Meer leben Hunderttausende Männer von der Fischerei. Doch der Bürgerkrieg und die Angriffe der Huthi auf die internationale Schifffahrt machen ihnen zu schaffen.
Es ist früh am Morgen. Über dem Arabischen Meer ist gerade erst die Sonne aufgegangen. Die Vulkanfelsen von Aden erheben sich wie finstere Kegel aus der tiefblauen See. Doch schon jetzt brennt die Sonne auf Hafed Saleh und seine Männer nieder. Ihr Boot schwankt im Wellengang, während sie schweigend arbeiten.
Immer wieder werfen sie ein grosses Netz ins Wasser, um es nach einiger Zeit mithilfe zweier anderer Schiffe wieder hochzuziehen. In ihm zappeln zahllose kleine glänzende Fische. Es sind Sardinen, die Saleh, sein Sohn und die anderen Fischer mit blossen Händen in den Rumpf ihres Bootes werfen.
Mit seinem Tuch, das er um den Kopf geschlungen hat, seiner vom Meer und der Sonne ledrig und tiefbraun gewordenen Haut und seinem Bart, der am Kinn etwas flauschig ist, sieht Saleh aus wie Sindbad der Seefahrer. Aber in Wahrheit ist er bloss ein armer Fischer, der jeden Tag hinaus aufs Meer fährt, um zu überleben.
Hier wird gefischt wie vor hundert Jahren
Jemen ist das ärmste Land Arabiens. Die Fischerei ist hier der zweitwichtigste Wirtschaftszweig hinter Öl und Gas. Rund 500 000 Männer fahren jeden Tag vor Sonnenaufgang mit ihren winzigen Holzbooten hinaus in den Golf von Aden oder auf das Rote Meer. Mit der modernen Hochseefischerei hat das schweisstreibende Handwerk nichts zu tun. In Jemen wird immer noch gefischt wie vor hundert Jahren.
Zwei Tage am Stück bleibt Saleh jeweils draussen auf dem Meer. Er und seine Männer ernähren sich auf See von ein paar Keksen und Wasser. Mit ihren kleinen Booten bleiben sie in der Nähe der Küste. Zurück im Hafen, verkaufen sie ihre Sardinen sofort an andere Fischer. Diese nutzen die Sardinen dann als Köder, um weiter draussen auf dem Meer Makrelen, Tintenfische, Thunfisch und Baby-Haie zu fangen.
Es ist ein hartes Leben. Die Männer in ihren kleinen Holzbooten mit den röhrenden Aussenbordmotoren trotzen der Sonne, der Kälte, der Nacht und den Wellen, die höher und gefährlicher sind, als sich das vom Strand aus erahnen lässt. Und nicht zuletzt kämpfen sie gegen die fürchterlichen Umstände, in denen sich ihr Land befindet.
Der Krieg macht den Fischern zu schaffen
Denn in Jemen herrscht seit zehn Jahren Bürgerkrieg. Die Huthi – eine islamistische Bewegung, die 2015 im Norden die Macht an sich gerissen hat – sind von den Amerikanern mit Sanktionen belegt. Zur Unterstützung der Hamas in Gaza beschiessen sie internationale Schiffe im Roten Meer mit Drohen und Raketen. Die Fischer leiden unter den Folgen.
Das Leben werde immer schwieriger, sagt Salem Awad, ein Freund von Saleh. Er steht an einem Strand etwas westlich der Hafenstadt Aden. Sein Boot schaukelt ein paar Meter entfernt im flachen Wasser.
Awad fährt normalerweise weiter hinaus als Saleh und kauft ihm deshalb Sardinen ab, die er dann als Köder verwendet, um damit Thunfisch zu fangen. Heute sei ein normaler Tag gewesen, sagt er. An guten Tagen fange er ein bisschen mehr. An schlechten hingegen gar nichts. «Dann muss ich mir Geld leihen, um über die Runden zu kommen.»
Awad verdient im Schnitt 10 000 jemenitische Rial pro Tag, das sind rund vier Franken. Er hat drei Kinder und eine Frau, die er ernähren muss. Doch die Fischerei kostet Geld. Erst nach zehn Jahren des Sparens konnte er sich ein eigenes Boot und einen Motor kaufen – davor ist er bei anderen Fischern mitgefahren. Der Unterhalt sei jedoch teuer. Denn in Jemen herrscht wegen des Krieges Inflation, Ersatzteile sind kaum aufzutreiben. «Ich kann mir kaum Benzin leisten», sagt Awad.
«Ich wünsche mir ein Auto»
Awad stammt aus al-Hudaida, einer Hafenstadt im Norden. Dort war er ebenfalls Fischer, wie schon sein Vater. Aber heute herrschen in al-Hudaida die Huthi, und es ist Krieg. Deshalb ist Awad 2018 in den Süden geflohen, nach Aden, wo er wieder von vorne anfangen musste. Manchmal, wenn er am Nachmittag in seiner winzigen Hütte liegt, träumt er von einem besseren Leben. «Ich wünsche mir ein Auto, dann könnte ich zusätzlich noch als Fahrer arbeiten», sagt er.
Awad ist nicht der einzige Flüchtling im Fischerei-Geschäft. Auf den Booten – aber auch auf dem Fischmarkt von Aden, wo die Fischer ihren Fang verkaufen – arbeiten unzählige Männer wie er, die vor den Huthi und dem Krieg geflohen sind. Wie Naim Said, 29, ebenfalls aus al-Hudaida, der mit einem grossen Messer einen Thunfisch aufschlitzt. «Hier, solange die Kiemen noch rot sind, ist er frisch», erklärt er.
In al-Hudaida habe er nicht mehr leben können, sagt er, deshalb sei er nach Aden kommen. Auf dem Markt herrscht reges Treiben. Fischer werfen ihre noch zappelnde Beute auf den Steinboden, barfüssige Männer stehen mit Messern im Blut. «Du bist ein Dieb, ein Dieb!», ruft ein dicker Mann einem Käufer zu, der nicht genug bezahlen will.
Ein harter Überlebenskampf
Der Fischmarkt ist das Herz von Aden. Das Meer vor der Küste ist reich an Fischen, die Hafenstadt ist berühmt für ihre Fischgerichte. Man kann den Fang hier frisch kaufen und ihn auf der anderen Seite der Strasse in einem offenen Restaurant direkt zubereiten lassen.
Aber wie auf dem Meer herrscht auch auf dem Markt ein harter Überlebenskampf. Die Inflation macht den Verkäufern schwer zu schaffen. Meist kommen sie kaum über die Runden. Zudem müssen sie für die Stände, an denen sie arbeiten, Miete bezahlen.
Der Herr über den Markt ist Ali Sallem, ein dicker Mann mit buschigem Schnauz. Während draussen gefeilscht und gehandelt wird, sitzt er mit fast geschlossenen Augen auf einem Bettgestell in seinem Büro, umgeben von emsigen Buchhaltern. Das Kat – jene Droge, welche die Jemeniten kauen, als handle es sich um Kaugummi – hängt ihm aus den Mundwinkeln.
Auf Fragen antwortet Sallem jeweils nur mit einem Brummen. Ja, die Lage sei schwierig. Aber er gewähre den Händlern Kredite, stelle ihnen Strom zur Verfügung und auch die Kühltruhen, deren Eiswasser aussieht wie eine ölige, braune Suppe.
Morgen werden sie wieder hier stehen
«Es ist schwer für alle von uns, wegen des Krieges», sagt Sallem zum Abschied. Wo er im von Parteiführern und Milizenchefs beherrschten Aden die Konzession für den Markt herhabe, will er nicht sagen. «Beziehungen», brummt er nur.
Draussen ist inzwischen die Sonne untergegangen. Die Kinder der Fischer springen aus den Booten ins Wasser und tollen herum, die Händler verkaufen die letzten Fische zu Ramschpreisen oder versenken sie in Kühltruhen. Morgen werden sie wieder hier stehen und versuchen, genug zu verkaufen, um zu überleben.
Saleh, der Fischer, ist derweil noch immer draussen auf dem Meer und fängt Sardinen, die er dann weiterverkauft an andere Fischer, damit diese mit ihnen grössere Fische fangen können. So wie gestern und vorgestern und all die Jahre zuvor.







