In seiner neuen Oper «Das grosse Feuer», die am Sonntag in Zürich uraufgeführt wird, macht der Komponist kriegerischen Imperialismus, die Zerstörung indigener Kulturen und der Natur zum Thema. Es ist das bislang politischste Werk des gebürtigen Schweizers.
In seinen Werken für das Musiktheater bezieht Beat Furrer oft Stellung zu gesellschaftlichen Fragen. Für einen Komponisten, der gemeinhin mit einer Ästhetik des Leisen und Stillen verbunden wird, erscheint das wie ein Widerspruch. Man muss indes nicht lautstark auf die Barrikaden steigen, um als Künstler «engagiert» zu sein: Auch in der Musik anderer Komponisten des Leisen wie Luigi Nono, Salvatore Sciarrino oder des bald 90-jährigen Helmut Lachenmann richtet sich ein kritischer Blick auf die Gegenwart.
Im Schaffen Furrers, der 2024 Composer-in-Residence am Lucerne Festival war, sind zudem das Laute, der Ausbruch, der Schrei genauso präsent wie geräuschhafte Klangaktionen, mikrotonale Vielschichtigkeit und sogar – seit der 2015 in Hamburg uraufgeführten Oper «La bianca notte» nach Dino Campana – das dezidiert Melodische. Was die Musikwissenschafterin Marie Luise Maintz das «Gegenüber von Subjekt und Welt» nennt, prägt das gesellschaftskritische Denken Furrers durch und durch.
Das Ich und die Welt
Furrer, der in Schaffhausen geboren wurde und heute in Österreich lebt, rückte in seiner Campana-Oper einen Schriftsteller in den Fokus, der an der Welt scheitert und 1932 in einer psychiatrischen Klinik bei Florenz stirbt. Im neuen Musiktheater «Das grosse Feuer», das an diesem Sonntag an der Oper Zürich uraufgeführt wird, wirkt die Gesellschaftskritik Furrers noch brisanter. Es geht darin um Kolonialismus und postkoloniale Verdrängung, um kriegerischen Imperialismus, um die Zerstörung indigener Kulturen und der Natur.
Das Libretto von Thomas Stangl fusst auf dem Roman «Eisejuaz» der argentinischen Autorin Sara Gallardo. Im Jahr 1977 publiziert, geht das Buch wiederum auf ein Interview zurück, das der Indigene Lisandro Vega, genannt Eisejuaz, in den 1960er Jahren im nordargentinischen Salta gegeben hat. Er ist einerseits Schamane, ein Mann mit seherischen Fähigkeiten; andererseits ist er in einer christlichen Mission aufgewachsen und arbeitet, ausgerechnet, in einem Sägewerk.
Eisejuaz erkennt zwar, wie die moderne Zivilisation in den Regenwald eindringt und die Natur sowie die Lebensräume der indigenen Völker zerstört; er ist aber selbst Teil des Zerstörungswerks. Bald wird er «falscher Schamane» genannt. Für einen zweiten grossen Verrat steht die Figur des Paqui. Er ist ein spanischer Händler und Krimineller, der schwer erkrankt ist. Die anerzogene christliche Nächstenliebe bringt Eisejuaz dazu, diesen Rassisten und Vergewaltiger zu pflegen. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Am Ende wird Eisejuaz alles verlieren, auch sein Leben.
«Es ist kein exotisches Märchen, sondern eine Geschichte, die uns im Hier und Jetzt tangiert», betont Furrer im Gespräch. «Unser Verhältnis zur Natur, unser Verhältnis untereinander, unser Unvermögen, Konsequenzen aus dem Scheitern kolonialistischer, imperialistischer Unterdrückung zu ziehen, die Bedrohungen, die heute wirklich immer näher kommen: Wir brauchen eine andere Begrifflichkeit, um über die Natur, über den Anderen und das Andere zu sprechen.»
Die Geschichte sei universeller, und ihre Aussagen und Auswirkungen könnten nicht «als linke Spinnereien einer Minderheit» abgetan werden, sagt Furrer. Es sei «erschreckend und armselig, wenn politischer Diskurs auf Konfrontationen verschiedener ideologischer Muster eines Freund-Feind-Schemas reduziert wird». Stattdessen nennt Furrer die beiden Protagonisten der Oper, die in Zürich von Leigh Melrose (Eisejuaz) und von Andrew Moore (Paqui) dargestellt werden, ein «Beckettsches Duo»: In ihrem Zusammenwirken spiegelten sie die tragische, abgründige und gleichzeitig komisch-bizarre Absurdität menschlicher Existenz wider.
«Mir ist wichtig, dass die Figuren mehrere Farben haben», betont Furrer. Das hat auch Konsequenzen für den Stil seines neuen Werks. Mit «Das grosse Feuer» legt er seine erste grosse Choroper vor – in dem Sinn, dass sich solistische Stimmen aus dem Chor entwickeln. Furrer spricht selbst von seiner «ersten Oper, die nicht trennt zwischen einem Chor und Solisten». Die daraus erwachsenden Anforderungen sind erheblich, Furrer spricht konkret etwa von «Intonationssicherheit in mikrotonalem Umfeld» und einer «sehr grossen Bandbreite des vokalen Ausdrucks in vielen Stufen vom Sprechen zum Singen». Bei der Uraufführung übernimmt diesen Part das Vokalensemble Cantando Admont, das durch seine doppelte Spezialisierung auf die Musik der Renaissance und jene der Gegenwart die nötige Erfahrung im Umgang mit wechselnden Stimmungssystemen mitbringt.
Die Möglichkeiten der Kunst
Ein solistisch geführtes Vokalensemble hat auch Folgen für die Dramaturgie. Setzte die Sozialkritik im Schaffen Furrers bislang in der Regel dort an, wo Reibungen zwischen dem Ich und dem Kollektiv entstehen, so werden nun die Grenzen zwischen dem Ich und den Anderen fluider, aber dadurch noch direkter erfahrbar. Zwischen dem Guten und dem Bösen lässt sich nicht mehr zweifelsfrei unterscheiden, weil das eigentlich Gute auch Teil des Bösen werden kann – und umgekehrt. Das verdeutlicht Furrer auch, indem er die Erzählweise der Vorlage Gallardos mit verschiedenen Zeitebenen aufgreift. «Dieses Mehrperspektivische ist für mich wesentlich, auch weil sich darin die Vergangenheit und unsere Gegenwart verzahnen.»
Die Gegenwart scheint die Aussage der Oper unterdessen einzuholen. Vor knapp einem Jahr hatte Furrer auf Nachfrage erklärt, dass alle Kriege unserer Zeit mit einer ähnlichen Form der Ignoranz zusammenhingen wie Imperialismus oder Kolonialismus. In der Zwischenzeit hat sich die Weltlage verschärft. Wie beeinflusst dies Furrers Haltung? «Ich betrachte mich selbst weder als Optimisten noch als Pessimisten. Ich hoffe lediglich, dass doch noch irgendetwas eintreten kann und wir Dinge in eine vernünftigere Richtung führen.»
Und er ergänzt: «Kunst ist immer in der Lage, diesen Möglichkeitsraum offenzuhalten. Sie ist nicht synchronisiert mit unserer Gesellschaft, nicht funktional, sondern sie spiegelt etwas wider und bringt gleichzeitig andere Möglichkeiten zum Ausdruck.»