Die Weltgesundheitsorganisation und ihre Erfüllungsgehilfen wollen aus uns abstinente und durchtrainierte Tugendbolde machen. Das ist Interventionismus und Anmassung in Reinform.
Seit den späteren neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gibt es die – in der Fachwelt kontrovers diskutierte – Krankheitsbeschreibung Orthorexia nervosa. Geprägt wurde der Begriff in Anlehnung an die Anorexia nervosa (Magersucht) von dem amerikanischen Arzt und Autor Steven Bratman.
Diese Störung äussert sich dadurch, dass Betroffene derart auf gesundes Essen fixiert sind, dass es nicht mehr gesund ist. Wer an Orthorexia nervosa leidet, ist ein Junkie, und die Droge ist gesundes Essen.
«Richtiger» Appetit
Beim pathologischen Orthorektiker dreht sich also fast alles um die gute Ernährung. Orthorexia heisst nicht umsonst übersetzt «richtiger Appetit». Ein häufiger Begleiter auf dem Weg in die ernährungsbezogene Gesundheitssucht ist die Angst – genauer gesagt die Angst, den eigenen Körper mit dem falschen Essen und Trinken zu beschädigen.
Wäre die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Mensch aus Fleisch und Blut – man könnte glatt auf die Idee kommen, dass sie an dieser Störung leidet. Denn auch die WHO ist getrieben von der Vorstellung einer einzig richtigen Ernährung. Und auch die Angst als Mittel zum Zweck beziehungsweise zur Disziplinierung beherrscht sie virtuos. Hinzu kommt ein missionarisches Sendungsbewusstsein, das nicht nur die Ernährung, sondern unseren gesamten Lebensstil erfasst.
Irgendwie endet alles tödlich
Und so wird uns beinah täglich irgendeine Schreckensnachricht serviert. Die Botschaft ist aber immer die gleiche: Wir sind vom Bösen umzingelt. Und das Böse hat viele Namen. Mal ist es der Wein, dann ist es das Salz, der Tabak, der Zucker, die Wurst, aber auch der Bürostuhl oder der Fernsehsessel, auf dem wir zu lange sitzen, oder es sind die Sonnenstrahlen. Irgendwie macht alles Krebs und endet tödlich.
Dabei klingen auch immer wieder explizit antikapitalistische Töne an. So ist neben dem Tabak das hochverarbeitete Lebensmittel quasi zur Ikone des Bösen avanciert. Dabei waren Lebensmittel noch nie so sicher wie heute, und wir werden immer langlebiger.
Trotzdem sollen wir uns bessern, wenn nicht freiwillig, dann halt mit Zwang. In einer Pressemitteilung vom letzten Jahr schwärmt die WHO richtiggehend von neuen Steuern, Verboten und Monopolen nach nordischem Vorbild – im konkreten Fall in Bezug auf Alkohol.
Erziehung durch akademische Eliten
Was in den Ohren der WHO offenbar wie Musik klingt, schmerzt die liberale Seele zutiefst. Etwas Gutes haben diese Steuer-, Verbots- und Monopolphantasien dennoch; sie zeigen, wes Geistes Kind die Präventionspolitik ist. Sie ist Interventionismus und Anmassung in Reinform und hat grosses Potenzial, unsere Freiheit Stück für Stück aufzufressen. Die Bevölkerungsteile mit tieferen Einkommen werden das am meisten zu spüren bekommen.
Wer auf Selbstbestimmung etwas hält, kann die lebenslange Gesundheitserziehung durch ferne akademische Eliten nicht gutheissen. Ernährungserziehung gehört ins Elternhaus – und in den Hauswirtschaftsunterricht. Alles andere liegt im Ermessen des Einzelnen. Wer dem Einzelnen nicht einmal den Umgang mit Lebensmitteln zutraut, hat das Konzept der Eigenverantwortung abgeschrieben – und damit auch die Freiheit und die Demokratie.