Das Börsenbeben im US-Tech-Sektor macht bisherige Verlierer zu Gewinnern. Ausserdem: Kein Grund zur Sorge bei Givaudan, aber auch kaum Grund zur Freude bei Swatch Group. 2025 könnte das Jahr für Julius Bär werden und Galenicas Aktienkurs steigt mit der Grippewelle.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Diese Woche hat die Stunde des Schweizer Aktienmarkts geschlagen.
Das Beben im Tech-Sektor, ausgelöst durch das jüngste KI-Modell des chinesischen Start-up DeepSeek, trieb die Anlegerinnen in Scharen in defensive Werte – und damit auch in die 2024 leicht in Vergessenheit geratenen Schweizer Blue Chips.
Der Swiss Performance Index steigt insbesondere dank dem Plus von Nestlé und Roche auf ein Rekordhoch; selbst in den Index der mittelgrossen Unternehmen SMIM kommt Leben.
Zumindest an der Oberfläche haben sich die Märkte beruhigt. Der US-Technologieindex Nasdaq 100 schloss am Dienstag versöhnliche 1,6% fester. Die Aktien des Chipherstellers Nvidia, die besonders unter der Furcht vor der chinesischen KI-Konkurrenz gelitten hatten, gewannen fast 9%. In der Schweiz sind Titel der Halbleiterzulieferer VAT Group und Comet heute gefragt. Umgekehrt erwischt die Gegenbewegung am Mittwoch Nestlé, die Aktien des Nahrungsmittelherstellers notieren nach einem deutlichen Anstieg an den Vortagen im Minus.
Der Absturz vom Wochenauftakt ist längst nicht wettgemacht, und viele Fragen, ob der Implikationen des DeepSeek-Modells bleiben offen, wie mein Kollege Christoph Gisiger in der heutigen Ausgabe von The Pulse beleuchtet. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob die Chinesen tatsächlich die Revolution im Bereich der künstlichen Intelligenz angestossen haben und bisherige Gewissheiten, wie die unüberwindbare Dominanz der US-Tech-Konzerne, tatsächlich ins Wanken bringen.
Die Episode macht aus meiner Sicht aber vor allem eines deutlich: Die einseitige Fokussierung der Anleger auf Themen wie künstliche Intelligenz und einem damit verbundenen Infrastruktur- und Energieboom in den USA ist nicht nur gefährlich, sie verdeckt im Fall des Schweizer Aktienmarkts auch die Vorzüge der eher defensiven Qualitätstitel. Angesichts der Unsicherheit könnte der hiesige Leitindex 2025 deutlich besser abschneiden als noch im vergangenen Jahr.
Zu den gefragten Aktien am Schweizer Markt gehörten zum Wochenauftakt jene von Givaudan. Nachdem sie vergangene Woche nach der Publikation der Jahreszahlen noch nachgegeben hatten, erreichte der Kurs diese Woche die Marke von 4000 Fr.
Mit einem zweistelligen organischen Umsatzwachstum und 20% mehr Gewinn hatte der Aromen- und Riechstoffhersteller die Erwartungen der Analysten ziemlich genau getroffen, das Resultat liess eigentlich nicht zu wünschen übrig. Längst war zudem klar, dass das Wachstum im laufenden Jahr nicht mehr dermassen stark ausfallen wird wie noch 2024. Entsprechend standen die Aktien wie auch jene der Konkurrenten bereits seit Ende September unter Druck, wobei die generelle Abneigung gegenüber dem Nahrungsmittelsektor und defensiven Werten im Allgemeinen bestimmt nicht geholfen hatte.
Die Wachstumsverlangsamung dürfte mittlerweile also berücksichtigt sein. Woher kommt dann die bleibende Skepsis gegenüber Givaudan?
Wie ich höre, zweifeln einige Marktteilnehmer daran, dass das mittelfristig angestrebte organische Wachstum von 4 bis 5% angesichts der sehr hohen Vergleichsbasis auch dieses Jahr erreicht werden kann. Nach einem jährlichen Zuwachs von mehr als 7% in der Periode von 2021 bis 2024 würde eine Normalisierung kaum überraschen. Das Management rund um CEO Gilles Andrier zeigt bisher aber keine Spur von Unsicherheit.
Die Gewinnausweitung wird so oder so weitergehen, und sie hat die Bewertung bereits sinken lassen. Die chronisch hoch bewerteten Aktien sind derzeit nicht besonders teuer, das Kurs-Gewinn-Verhältnis basierend auf dem erwarteten Gewinn für 2025 liegt bei 30 (2026: 29) und damit im Schnitt der vergangenen zehn Jahre. Zumal der Konzern stets Aktionärswert schuf, wie die Rendite auf das investierte Kapital (ROIC) von knapp 13% für 2024 verdeutlicht, und Mittel für Ausschüttungen, Investitionen in kleinere Zukäufe und die weitere Schuldenreduktion scheffelt. Der Anteil des freien Cashflows am Umsatz stieg vergangenes Jahr auf gegen 16%, das Verhältnis zum Unternehmenswert beträgt knapp 3%.
Für mich gehört Givaudan auch deshalb zu den Favoriten am Schweizer Aktienmarkt für 2025.
Diese Runde geht an Richemont: Branchenprimus LVMH konnte in den vergangenen Monaten wie erwartet nicht ganz mit dem Schweizer Konzern mithalten und enttäuschte damit die Börse am Mittwoch.
Zwar steigerten die Franzosen den Umsatz im abgelaufenen Jahr entgegen den Erwartungen leicht, das Plus kommt aber mit einem niedrigeren Gewinn daher. Bei den verschiedenen Häusern zeigte sich indes, dass es keine breite Erholung im Luxusgütermarkt gibt: Das Uhrengeschäft, mit Marken wie Hublot, Tag Heuer und Zenith, das zwar nicht einzeln ausgewiesen wird, dürfte weiterhin hinterhergehinkt sein. Demgegenüber überzeugte LVMH bei ihren starken Kernmarken wie Dior.
Das spiegelt die Stärke von Richemont, die im Weihnachtsquartal dank ihrem sehr gut positionierten Schmuckgeschäft brillierte und damit die Erwartungen ans Gesamtjahr 2024/25 (per Ende März) weiter nach oben geschraubt hat. Der Konzern ist das Luxushaus der Stunde, das hängt massgeblich mit der Dominanz der Marken Cartier und Van Cleef & Arpels zusammen. Entsprechend haben die Analystinnen und Analysten nach der jüngsten Zahlenpublikation ihre Schätzungen und Kursziele reihenweise hochgestuft.
Nach dem sehr guten Resultat aus Genf und nicht ganz so enttäuschenden Zahlen des angeschlagenen britischen Modeherstellers Burberry vergangene Woche hatte sich unter Analystinnen und Investoren das Narrativ noch verstärkt, dass ein Ende der Krise im Luxussektor absehbar ist und vielen, wenn auch nicht allen, Unternehmen eine baldige Besserung bevorsteht. Dies, nachdem 2024 nicht zuletzt wegen der schwachen Nachfrage aus China enttäuschend ausfiel. Bereits seit vergangenem Herbst streben die Aktienkurse nach oben.
Nun aber macht LVMH deutlich: Ganz so einfach ist es nicht. In der Krise sind Faktoren wie Markenstärke, die geografische Diversifizierung – gegenwärtig: niedriges China-Exposure – und operative Flexibilität sowie eine umsichtige Steuerung der Vorräte und Lieferketten für den Erfolg noch entscheidender als sonst. Das stellt Richemont derzeit eindrücklich zur Schau. Auch um LVMH mache ich mir mittelfristig – wie ihr CEO Bernard Arnault – keine Sorgen. Sie wird mit Blick auf Grösse, Kapitalrendite und Investitionen die klare Nummer eins bleiben.
Aber für Unternehmen, die diese Qualitätskriterien nicht erfüllen – auch auf Managementebene nicht –, ist es ungleich schwieriger. Und angesichts der anhaltenden Schwäche im Uhrengeschäft gilt das besonders für einen Namen: Swatch Group. Die Aktien verlieren am Mittwochmorgen denn auch anfänglich deutlich, bevor sie sich im positiven Marktumfeld etwas erholen.
Bereits morgen könnte der Uhren- und Schmuckhersteller Zahlen zum abgelaufenen Geschäftsjahr publizieren, wie immer hat er kein Publikationsdatum bekanntgegeben. Definitiv morgen erscheinen die Zahlen zu den Schweizer Uhrenexporten im Dezember. Bisherige Daten zeigen, dass sich die Branchenkrise in der zweiten Jahreshälfte 2024 eher noch verschlimmert hat, im November lagendie Exporte gegen 4% tiefer als im Vorjahresmonat. Bei Richemont ging der Uhrenabsatz zwischen Oktober und Dezember noch 8% zurück, nach einem Minus von 16% in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahrs 2024/25.
Aus der Perspektive von Swatch Group besonders negativ haben sich dabei die Preissegmente entwickelt. Während sich der Absatz bei den teuersten Uhren am besten hielt, büssten die mittelteuren und günstigeren Modelle deutlich mehr ein. Gemäss einer Schätzung der Zürcher Kantonalbank sind die Bieler mit einem Umsatzanteil von weniger als 20% aber gerade im oberen Preissegment unterdurchschnittlich stark vertreten, zumal Analyst Patrik Schwendimann davon ausgeht, dass Breguet, Blancpain und teilweise selbst Omega Marktanteile an unabhängige Marken wie Patek Philippe und Audemars Piguet verloren haben.
Ausserdem ist Swatch Group mit einem Umsatzanteil von einem Drittel deutlich stärker von China abhängig als andere Hersteller. Und dort zeichnet sich bisher keinerlei Erholung ab. Nach dem Einbruch 2024 rechnen Branchenexperten lediglich mit einer Stabilisierung auf deutlich niedrigerem Niveau.
Die Einschätzung der Börse ist mittlerweile eindeutig: die Erholung im Sektor ist an den Aktien von Swatch Group in den vergangenen Monaten vollständig vorbeigegangen. Sie notieren weiter auf Mehrjahrestief. Auf diesem Niveau braucht es wenig für eine positive Überraschung – ich weiss einfach nicht, woher diese kommen sollte.
Der Aktienkurs von Julius Bär ist heute erstmals seit mehr als 18 Monaten auf über 64 Fr. geklettert. Die Privatbankengruppe hat damit – zumindest an der Börse – den Schlag verdaut, den die törichte Kreditvergabe an den Tiroler Immobilienspekulanten René Benko dem Aktienkurs im Herbst 2023 versetzt hat.
Sie erinnern sich: Ungesicherte Kredite von bis zu 600 Mio. Fr. haben dem damaligen CEO Philipp Rickenbacher den Posten gekostet und den Aktienkurs auf unter 45 Fr. sinken lassen.
Im Juli vergangenen Jahres hat Bär den neuen Konzernchef präsentiert: Stefan Bollinger, damals Leiter des Privatkundengeschäfts von Goldman Sachs. In Schweizer Finanzkreisen stiess die Nomination zum Teil auf Unverständnis; es wurde moniert, Bollinger habe noch nie eine grosse Bank geführt. Ich war schon damals der Meinung, dass das ein schwaches Argument ist.
Wie ich höre, kommt Bollinger, der sein Amt im Januar offiziell angetreten hat, sowohl intern als auch bei Investoren sehr gut an. Meiner Meinung nach ist er genau der Richtige für den Job: Mit seinem Hintergrund bei Goldman Sachs ist er ein «No Bullshit»-Banker. Er wird einige verkalkte Strukturen bei Bär aufbrechen und die Privatbank wieder auf Leistung trimmen. Am kommenden Montag, 3. Februar, wird Bollinger für die Präsentation der Jahreszahlen 2024 erstmals offiziell in Erscheinung treten.
Positiv werte ich auch, dass Romeo Lacher im Frühjahr seinen Posten als Verwaltungsratspräsident räumen wird. Die Benko-Kredite haben auch seinen Ruf schwer angekratzt. Wie Bär mitteilt, soll die Nachfolge im VR-Präsidium von extern kommen und im März kommuniziert werden. Wenn das eine Person ist, die gut mit Bollinger funktioniert, kann bei Bär richtig etwas in Bewegung kommen. Viele Private-Banking-Kunden der gestrauchelten Credit Suisse, die vorübergehend bei der Zürcher Kantonalbank einen sicheren Hafen gefunden haben, dürften am Ende doch noch den Weg zu Bär finden.
Für mich bleiben die Aktien ein klarer Kauf, wie mein Kollege Ruedi Keller bereits in einer Analyse Ende Oktober dargelegt hat. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 auf Basis der Gewinnschätzungen für 2025 sowie einer Dividendenrendite von etwas mehr als 4% sind sie auch auf dem derzeitigen Niveau noch attraktiv bewertet.
Alles hustet, alles niest. Wer derzeit regelmässig mit einem öffentlichen Verkehrsmittel unterwegs ist, kennt sie: die unsichtbare Virenwolke. Das lässt die Kassen der Apotheken klingeln; eine Erkältung dauert zwar stets sieben bis zehn Tage, aber mit Lutschtablette, Kopfwehmittel und Hustensaft wird sie doch etwas erträglicher – wobei das nicht unbedingt für jene gilt, die sich dann in Bus und Tram oder im Büro bei den Schein-Genesenen anstecken.
Mit der Grippewelle steigt auch der Aktienkurs der Apothekenbetreiberin Galenica.
Laut dem schweizerischen Bundesamt für Gesundheit (BAG) suchten in den vergangenen Wochen so viele Menschen ärztliche Hilfe wegen grippeähnlicher Symptome auf wie nie im gesamten vergangenen Jahr. Direkt begründen lässt sich der Kursanstieg damit zwar nicht. Aber für Galenica ist das Geschäft mit Grippe- und Erkältungsmedikamenten durchaus ein wichtiger Ertragspfeiler.
Vor diesem Hintergrund umso erfreulicher war die Umsatzentwicklung 2024, denn im vierten Quartal haben sich noch deutlich weniger Menschen als im Vorjahr mit einer Erkältung oder Grippe in eine Arztpraxis begeben. Und doch hat das Unternehmen das Jahr stärker abgeschlossen als erwartet worden war. Der Umsatz stieg 4,7% auf knapp 4 Mrd. Fr. Zudem bestätigt Galenica die Ergebnisprognose für das abgelaufene Jahr: Die adjustierte operative Gewinnmarge auf Stufe Ebit soll erneut zwischen 8 und 11% zu liegen kommen, die Dividende mindestens 2.20 Fr. je Aktie wie im Vorjahr betragen (Rendite: 2,7%).
Die Analysten sind ihren Prognosen für das laufende Jahr bisher treu geblieben. Damit bleiben die Aktien aus meiner Sicht teuer. Klar, Galenica erwirtschaftet eine knapp zweistellige Rendite auf das eingesetzte Kapital (ROCE) und einen positiven freien Cashflow. Die Wachstumsfantasien bleiben aber begrenzt, wodurch das Verhältnis des erwarteten operativen Gewinns für 2025 zum jetzigen Unternehmenswert mit mehr als 20 stolz anmutet. Daran ändern auch die vielen schniefenden Nasen nichts.
An der Schweizer Börse stand die Galenica-Aktien mit der guten Performance indes auch nicht alleine da. Der gesamte Gesundheits- und Medtech-Bereich sieht seit Jahresbeginn sehr gut aus – und hat durch die Unsicherheit an den US-Börsen noch an Schwung gewonnen.
Aber mehr dazu ein anderes Mal.
Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market
Gabriella Hunter