In der Selbstwahrnehmung macht die Filmindustrie alles richtig. Aber ihre Ambitionslosigkeit irritiert.
Der Schweizer Film ist zufrieden mit sich. Ein «ausserordentlich gutes Jahr» sei es gewesen, vermeldet der einheimische Kino- und Verleih-Verband Pro Cinema. Grund für die Freude ist der beachtliche Marktanteil von Schweizer Filmen. Fast jeder zehnte Kinoeintritt ging im vergangenen Jahr an eine einheimische Produktion.
Das ist eine Steigerung von beinahe 40 Prozent gegenüber 2023 und der höchste Wert seit vier Jahren. Zu verdanken ist der Anstieg in erster Linie der sehr erfolgreichen Komödie «Bon Schuur Ticino», die Ende 2023 gestartet ist und auch 2024 noch gut 300 000 Zuschauer erreichte. Dazu fand «Tschugger – Der lätscht Fall» mit über 90 000 Eintritten ordentlich Anklang beim Publikum.
Kommerzielle Flops
Deutlich weniger imposant sind die Zahlen bei den Filmen, die die Branche als ihre künstlerisch wertvollsten erachtet. Die fünf beim Schweizer Filmpreis als beste Spielfilme nominierten Werke waren aus kommerzieller Sicht fast ausnahmslos Flops.
Das gilt nicht zuletzt für das Familiendrama «Reinas», das am Freitagabend im Bâtiment des Forces Motrices in Genf mit der wichtigsten Auszeichnung bedacht wurde. Klaudia Reynicke rührte die Mitglieder der Filmakademie mit ihrer autobiografisch inspirierten Coming-of-Age-Geschichte über einen sommerlichen Abschied aus dem politisch instabilen Peru der frühen 1990er Jahre. Ein schöner Film, den allerdings keine 8000 Menschen in der Schweiz gesehen haben.
Den unterlegenen sechsfach nominierten «Spatz im Kamin» kennen sogar nur 3600 Menschen, ähnlich wenige wie «Les Paradis de Diane». «Le Procès du chien», ausgezeichnet in der Kategorie beste Darstellerin (Laetitia Dosch), hatte in der Romandie zumindest 12 000 Zuschauer, wobei der Film in der Deutschschweiz erst noch in die Kinos kommt. Auf halbwegs vernünftige Zahlen brachte es einzig der Animationsfilm «Sauvages» mit über 35 000 Zuschauern.
Der stolz ausgewiesene Marktanteil trügt also. Unter dem Strich zeigt sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen den anderthalb Zugpferden und dem Rest. Ohne «Bon Schuur Ticino» und «Tschugger» hätte sich der Schweizer Film faktisch von der Öffentlichkeit verabschiedet. Das tat er allerdings auch insofern, als die Verleihung des Filmpreises im Fernsehen nicht übertragen wurde. Offenbar gibt es zu wenig Zuschauerinteresse dafür.
Der Grund sind nicht unbedingt Filme wie «Reinas» oder «Der Spatz im Kamin». Dass diese kein nennenswertes Publikum anziehen, ist schade, aber man kann es ihnen nicht zum Vorwurf machen. Arthouse-Filme haben es auch in anderen Ländern schwer.
David Constantin gewürdigt
Ebenso ist es keine Schweizer Eigenart, dass die kommerziellen Stoffe bei Preisverleihungen nur am Rande eine Rolle spielen: «Bon Schuur Ticino» bekam einen Trostpreis für seinen Box-Office-Erfolg, David Constantin aus «Tschugger» wurde – zusammen mit Dimitri Krebs, dem «Landesverräter» – als bester Schauspieler gewürdigt.
Das Irritierende am Schweizer Film ist, wie wenig ihn sein Nischendasein zu stören scheint. Er will gar nicht mehr. Er sucht keine grosse Aufmerksamkeit. In der Szene herrscht nicht erst seit gestern eine bemerkenswerte Selbstzufriedenheit. Auf nur schon homöopathisch verabreichte Kritik aus den Medien reagiert die Branche gekränkt.
Dabei ist das der einzige Weg, wie der Schweizer Spielfilm wieder ins Gespräch finden könnte: Er muss in die Konflikte reingehen. Neben und auf der Leinwand. So wie es der hiesige Dokumentarfilm vormacht, der ein gutes Gespür für Themen hat.
In dieser Kategorie ging die Auszeichnung am Freitagabend an «Wir Erben». Es geht um den Generationenwechsel, die Alten danken ab. Ein Thema, das alle angeht. Auch den Schweizer Film.