Die im Kollektiv erstaunlich starken Genfer setzen nach ihrem Hoch im Europacup auch in der Super League ein Ausrufezeichen. Hinterher übt sich der Servette-Trainer René Weiler im Tiefstapeln.
Eigentlich müsste der 26-jährige Franzose Timothé Cognat in der Ligue 1 unterwegs sein. Private Verbindungen und eine funktionierende Standleitung zwischen Lyon und Genf haben ihn 2018 in die Schweiz geführt, wo er über fünf Jahre später immer noch Fussball spielt. Cognat ist einer der Gründe für die Genfer Erweckung. Deshalb überrascht es nicht, dass der Dauerläufer im Spitzenspiel vom Sonntag gegen YB jenen Ball weit in die gegnerische Platzhälfte bringt, der Alexis Antunes das 1:0 ermöglicht, das einzige Tor dieser Partie.
Am letzten Donnerstag hatte der Servette FC in Bulgarien gegen Ludogorez Rasgrad ebenfalls 1:0 gewonnen und die Achtelfinals der Conference League erreicht – dank einem Tor Cognats. Von Bulgarien herkommend, landete die Delegation am Freitag in Payerne, von wo es vorzeitig nach Bern ging. Im Gepäck trug sie überschäumende Elogen auf ihr Tun mit, die in einem Satz in der «Tribune de Genève» gipfeln, wonach man in dieser Saison bei Stilstudien manchmal glauben könnte, dass «Servette mehr YB gleicht als YB sich selbst».
Verwegen? Nach dem Direktduell vom Sonntag ist der von Lokalkolorit geprägte Satz etwas besser nachzuvollziehen.
Servette ist an diesem Sonntag deutlich besser als YB
Auf jeden Fall ist die umkämpfte Partie mit dem Führungstor des Tabellenzweiten lanciert, und der Leader YB hat einen Charaktertest vor der Brust, den er nicht besteht. Cognat wirkt in der zweiten Halbzeit zwar etwas ausgelaugt, aber die technisch versierte, ballsichere und zweifellos bessere Mannschaft des Trainers René Weiler legt als Kollektiv ein Reifezeugnis ab und lässt in Bern die Erkenntnis zurück, dass die Meisterschaft kein Selbstläufer ist.
Zu wenig gelingt den Young Boys, zu verzweifelt wirken sie zuweilen, zu wenig homogen – im Kontrast zum Gegner, dessen Potenz bei den spielstarken Aussenverteidigern Keigo Tsunemoto und Bradley Mazikou ihren Anfang nimmt. Der Servette-Erfolg im ungefährlichen Bau der zahmen Berner Bären bringt einen kräftigen Windstoss zurück an die Spitze der Super League.
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— Servette FC (@ServetteFC) February 25, 2024
Auch in Bern ist der Publikumszuspruch leicht rückläufig, aber das ist nicht auf Sättigung, nicht auf den zweifellos vorhandenen Identifikationsverlust des Teams und schon gar nicht auf die ungelöste Trainerfrage zurückzuführen. Das bringt in fast jedem Schweizer Stadion der neue Modus mit sich – und Gegner wie Yverdon oder Stade Lausanne-Ouchy.
Dennoch: YB ist zum Anziehungspunkt geworden, wodurch sich sogar temporär die Frage stellte, ob seinerzeit im Hinblick auf die Euro 2008 in der Schweiz nicht (nur) die Kapazität des St.-Jakob-Parks, sondern auch diejenige des Wankdorfstadions hätte erweitert werden müssen. YB füllte in dieser Saison die Arena in der Meisterschaft mehrmals, dazu in der Champions League gegen Leipzig, Manchester City und Roter Stern Belgrad – und jüngst in der Europa League gegen Sporting Lissabon.
Die Genfer haben nur im Europacup einen Publikumsboom
Davon kann der Servette FC in seinem Euro-2008-Stadion nur träumen, obschon auch er im Europacup eine Stufe tiefer gegen Widersacher wie Genk, Glasgow Rangers, Slavia Prag, AS Roma, Sheriff Tiraspol und Ludogorez Rasgrad einen Publikumsdurchschnitt von über 20 000 Zuschauern erreichte. Gegen Viktoria Pilsen, den Gegner in den Achtelfinals der Conference League, dürfte das Stade de Genève Anfang März ebenfalls gut gefüllt sein.
Dazu streicht der Klub zwar nicht Champions-League-Geld ein wie YB, aber auch er hat bis jetzt deutlich mehr als 5 Millionen Franken an Uefa-Prämien eingespielt. Erreicht er gegen Pilsen die Viertelfinals, addiert sich eine weitere Million dazu.
Das ist der Beleg dafür, wie sehr die Genfer weitergekommen sind, obwohl ihre Attraktivität in der Super League nicht grösser geworden ist. Mit weniger als 7000 Zuschauern im Durchschnitt liegen sie weit hinter YB, Basel, St. Gallen, dem FC Zürich und Luzern. In dieser Hinsicht ist Genf ein pickelharter Boden. Nach Ursachenforschung nennen Klubvertreter dafür den primären Grund, dass Herr und Frau Genfer «verwöhnt» seien. Das kulturelle Angebot ist in der von Internationalität geprägten Stadt beträchtlich, dazu liegen der See, die Berge, der Schnee und Frankreich nahe.
Natürlich trifft die Modusänderung auch Genf, obschon die zusätzlichen Konkurrenten aus dem Waadtland stammen. Aber es gab auch geschlossene Fankurven wegen Fanausschreitungen, was in einem Dezember-Match gegen Lugano dazu führte, dass sich weniger als 3000 Personen im Stade de Genève einfanden. Undenkbar in Bern.
Der Genfer Klub leistet sich ein bürokratisches Malheur
Nicht alles glänzt in Genf. Ärgerlich ist der Umstand, dass die Administration des Vereins die drei neuen Spieler Bassirou N’Diaye (Senegal), Omar Rekik (Niederlande/Tunesien) und Takuma Nishimura (Japan) bei der Liga nicht fristgerecht gemeldet hat. Inwiefern das Versäumnis nachträglich ausgebügelt werden kann, ist noch offen. Immerhin schafften es die Genfer, am Sonntag Nishimura aufs Matchblatt zu bringen.
Es ist ohnehin nicht so, dass der Servette-Trainer Weiler personell aus dem Vollen schöpfen kann. Da ist ihm Raphael Wicky, sein Gegenüber am Sonntag, ein Stück voraus. Aber man wird bisweilen das Gefühl nicht los, dass YB vor lauter Wechseln und Transfers um die innere Bindung ringt. Jene Bindung, die der eingespielte Tabellenzweite findet. Oder immer mehr findet.
René Weiler spricht in Bern zwar von einem «weiteren grossartigen Abend», aber der Frage, was denn mit diesem Team noch möglich sei, weicht er aus. Er wolle Titel gewinnen – und nicht von ihnen sprechen. Wie in Belgien 2017 (Anderlecht) und Ägypten 2020 (al-Ahly). In der Schweiz lässt das Vorhaben auf sich warten. Warum denn Servette nicht noch näher an YB dran sei, ist eine weitere Frage. Weiler reklamiert Zeit, nennt die Abgänge von Mbabu und Clichy, einige Verletzte. Und ja, er arbeitet erst seit letztem Sommer in Genf.
Während die Zukunft Wickys offen ist, setzt Servette auf Weiler. Der langjährige Trainer Alain Geiger habe den Klub in 100-Meter-Einheiten vorangebracht, sagt Didier Fischer, die starke Person im Servette-Hintergrund. Mit Weiler gehe es nun um die Verfeinerung, um Zentimeter. «Wir wollten ein Plus holen», sagt Fischer, «und wir haben es.»
Die für Geiger bittere Servette-Rechnung scheint aufzugehen. Geiger hatte das Team 2023 auf den zweiten Tabellenplatz gebracht – und musste dennoch Weiler weichen, der nach 25 Runden 11 Punkte mehr geholt hat als sein Vorgänger.