In seinem neuen Roman vermengt der Autor deutsche Kulturgeschichte mit Jugenderinnerungen an die Achtzigerjahre. Das überzeugt – meistens.
Vielleicht ist das politische Generationenleben von einer einfachen Idee des Protests getragen. Früher waren die Väter konservativ bis rechts. Der Nachwuchs konnte aus den Jugendzimmern heraus eine Revolte des Linksseins starten. Heute hat dieser Nachwuchs selbst Söhne und Töchter. Wie behauptet wird, wählen diese oft Parteien, die gewissen Vätern verhasst sein müssen.
Ein bisschen handelt Andreas Maiers neuer Roman «Der Teufel» auch davon. Der Vater ist CDU, trägt Anzüge vom kleinstädtischen Herrenausstatter und kann sich vor der «Tagesschau» gemeinsam mit Onkel Heinz in einen wahren Rausch der Empörung hineinsteigern. Es sind die Jahre Willy Brandts. Es ist Wahlkampf. Der Vater sagt: «Die Roten, sie werden uns an die Kommunisten verkaufen. Die müssen verhindert werden.»
«Die Roten lügen wie gedruckt», ruft der Vater
Während Onkel Heinz nur nickt, gerät der CDU wählende Erzeuger des Ich-Erzählers allmählich ins Fortissimo. «Sie haben die Terroristen erst hervorgebracht», ruft er, «und sie betrügen alle, so gewinnen sie ihre Wahlen. Sie lügen uns allen etwas vor. Sie lügen wie gedruckt. Die Roten lügen wie gedruckt, das haben sie schon immer gemacht.»
«Der Teufel» ist eine autobiografische Geschichte vom Aufwachsen in den siebziger und achtziger Jahren und vom damaligen Begleitmedium, dem Fernsehen. Was gut und was böse ist, konnte man hier erfahren. Kinderseelen wurden moralisch an Western und Krimis geschult. In späteren Jahren kam mit der «Tagesschau» ein politisches Format dazu, dessen Autorität nicht hinterfragt wurde. Was hier gesagt wird, stimmt. Die Einteilung der Welt in Helden und Schurken erfolgt mit staatstragend heruntergekühltem Gestus. Jeden Tag wird das Publikum mit dem Gefühl in den Abend entlassen, auf der richtigen Seite zu stehen.
Gespür für pointenhafte Augenblicke
Andreas Maier wurde 1967 in Hessen geboren. Sein Romangrossprojekt «Ortsumgehung» besteht mittlerweile aus zehn Bänden. Nach dem «Teufel» soll zum Abschluss noch «Der liebe Gott» folgen. Im Roman sagt der Ich-Erzähler, dass die Zeit dränge, weil die wirkliche Ortsumgehung, also die neue Strasse um den Kindheitsort Friedberg, auch bald fertig sei.
Maiers elfbändige Heimaterkundung ist ein Experiment, das seine eigenen Bedingungen immer wieder anders formuliert. In jedem Roman werden die Linien der Erinnerung anders gezogen, und in dem «Teufel» geht es um das Schauen als Aggregatzustand des Ichs. Als stiller Zeuge steht der Erzähler am Rand der Zeit. Mit beunruhigender Genauigkeit merkt er sich alles, was in der Familie geschieht. Und er hat den Fernseher als Fenster zur Welt. An einem ganz realen Fenster beobachtet das Kind den Vater, wie er ein Eck des grossen Gartens für die Pflanzung von Rosen vorbereitet. In bunter Prallheit werden sie später dastehen und von den heimlichen Träumereien eines stets korrekten, täglich im Mercedes-Firmenwagen von zu Hause abgeholten Menschen erzählen.
Andreas Maier hat ein untrügliches Gespür für pointenhafte Augenblicke, für das Zusammenschiessen von Zufall und Bedeutung. Das macht die ernsthafte Komik seines Werks aus. Tante Lenchen kommt immer wieder einmal aus der DDR zu Besuch und beschädigt mit ihrer rotwangigen Lebenslust alle westdeutschen Vorstellungen von der Verhärmtheit der unterdrückten Arbeiter- und Bauernstaatsbürger.
Die Angst, ein «Schwanzsteckermännerschwein» zu sein
Das mit Andreas Maier identische Roman-Ich erzählt von seinen Kleinstadterlebnissen in den achtziger Jahren. Vom langhaarigen Linkssein, von den Pali-Tüchern, die jeder trug, und vom ersten Sex. Svende Merians feministisches Kultbuch «Der Tod des Märchenprinzen» wurde damals gelesen und verpflichtete die männliche Jugend in Geschlechterdingen zum Umdenken. Man wollte kein «Schwanzsteckermännerschwein» sein, wie es im Roman heisst.
Beim ersten Mal mit einem Mädchen namens A. rattern dem Erzähler die merianschen Imperative durch den Kopf. Mit Batiktüchern gedämpfte Lichtquellen umstehen diesen Akt aus Entgrenzung und gleichzeitiger Selbstzurücknahme. Sex in den achtziger Jahren war zweifellos eine Sache für sich.
Andreas Maier ist dort gut, wo er die deutsche Kulturgeschichte mit seinen privathistorischen Studien vermengt. Nach dem Mauerfall fällt die DDR-Verwandtschaft mit kühner Regelmässigkeit im hessischen Familienhaushalt ein. Man bangt, die Integrität des westdeutschen Glücks könnte durch sächsische Glückssucher gefährdet sein, kann aber später Entwarnung geben.
Der Fernseher ist im Roman «Der Teufel» immer mit dabei. Vom Mauerfall und von den Golfkriegen bis zum umkämpften Ende Jugoslawiens. Wenn es um diese historischen Ereignisse geht, wird der Roman leider zur etwas spröden Angelegenheit. Hier wird eher lustlos rapportiert, was über die Fernsehsender läuft und wie die Welt einmal mehr in Gute und Böse eingeteilt wird. Die Teufel sind Saddam Hussein und die Serben. Amerika ist heilig.
Geht es um das Politische, fehlt es Andreas Maier leider ein bisschen an jener Tiefe, die seine Privatarchäologie immer hat. Da sind im Garten immer noch die üppigen Rosen des Vaters, und da war einmal das Kind, das am Fenster stand und ihn beobachtet hat. Was ist aus diesem Kind geworden? «Wie es sich ausgewachsen hat seit da.» Schriftsteller zu werden, ist nicht die schlechteste Art, nach dem Aufwachsen noch etwas auszuwachsen.
Andreas Maier: Der Teufel. Roman. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2025. 248 S., Fr. 36.90.