Der Druck ist zu gross geworden: Drei Wochen nach dem desaströsen Fernsehduell gegen Donald Trump zieht Joe Biden seine Kandidatur für das Weisse Haus zurück. Gleichzeitig empfiehlt er seine Vizepräsidentin als Nachfolgerin.
Joe Biden musste viele Rückschläge in seinem Leben einstecken und erholte sich stets davon. Auch nach der lamentablen Fernsehdebatte gegen Donald Trump wollte er sich noch einmal zurückkämpfen. Doch diesmal reichte die Kraft des 81-Jährigen nicht mehr aus. Bis zum Wochenende hatten rund vierzig demokratische Kongressabgeordnete den Rückzug seiner Kandidatur gefordert. Selbst die legendäre vormalige Speakerin Nancy Pelosi machte klar, dass der Präsident auf seine Wiederwahl verzichten sollte.
Am Sonntag war es schliesslich so weit. «Es war die grösste Ehre meines Lebens, als euer Präsident zu dienen», schrieb Biden in einem Brief. Er habe seine Wiederwahl angestrebt, aber nun denke er: «Es ist im besten Interesse meiner Partei und meines Landes, wenn ich mich zurückziehe und mich bis zum Ende meiner Amtszeit auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident konzentriere.» Er werde sich in den nächsten Tagen mit einer Ansprache an die Nation richten.
Auch die Clintons stellen sich hinter Harris
Gleichzeitig strich Biden die Erfolge seiner Präsidentschaft heraus. Gemeinsam mit den Bürgern habe seine Regierung die Pandemie und die schwerste Wirtschaftskrise seit der Grossen Depression bewältigt, die Demokratie verteidigt und die globalen Allianzen der USA gefestigt. «Heute hat Amerika die stärkste Wirtschaft der Welt.»
Etwas später gab Biden eine Empfehlung für Kamala Harris ab. Ihre Wahl zu seiner Vizepräsidentin sei seine beste Entscheidung gewesen, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst X. «Heute möchte ich meine volle Unterstützung für Kamala als Kandidatin unserer Partei bekunden. Meine Demokraten, es ist Zeit für unsere Partei, um zusammenzufinden und Trump zu schlagen.»
Harris bedankte sich für Bidens Unterstützung und bezeichnete dessen Entscheidung als «selbstlos und patriotisch». Sie fühle sich geehrt und werde die Präsidentschaftskandidatur anstreben. Harris gelobte, alles in ihrer Macht zu tun, um die Demokraten zu einen. «Zusammen werden wir kämpfen. Und zusammen werden wir siegen.»
Es wird nicht einfach sein für die Partei, Bidens Empfehlung zu ignorieren – zumal sich am Sonntag auch der ehemalige Präsident Bill Clinton und seine Frau, die ehemalige Aussenministerin Hillary Clinton, hinter Harris stellten. Vieles spricht dafür, dass Kamala Harris nun die Hauptrolle im Rennen gegen Trump übernimmt. Zum einen bleibt nur noch sehr wenig Zeit bis zur Wahl im November, um einen anderen Kandidaten oder eine andere Kandidatin aufzubauen. Gewöhnlich setzt sich bei Präsidentschaftswahlen in den USA der Amtsinhaber durch. Harris war die Nummer zwei dieser Administration und kann für sich den Bonus des Amtsträgers zumindest teilweise beanspruchen. Zudem gehörte sie zu Bidens Wahlkampfteam und könnte dessen Organisation nun relativ einfach weiterführen.
Barack Obama stellte sich in einer ersten Reaktion jedoch nicht hinter Harris. Er lobte lediglich Biden für seine «hervorragende Erfolgsbilanz». Pelosi wiederum sprach sich jüngst für ein offeneres und kompetitives Auswahlverfahren aus. Wie Harris kommt auch Pelosi aus Kalifornien und gehört zu ihren Unterstützerinnen. Aber die 84-Jährige glaubt, dass auch Harris selbst von einem solchen Wettbewerb profitieren würde. Als Gewinnerin könnte sie gestärkt und mit der gesamten Partei im Rücken daraus hervorgehen. Bis zum Parteitag im August bleibt für ein solches Verfahren jedoch nicht mehr viel Zeit. Zudem birgt ein solch offener Prozess die Gefahr von unschönen Machtkämpfen innerhalb der Partei.
Allerdings bestehen durchaus berechtigte Zweifel an Harris. Sie mag die naheliegendste Alternative zu Biden sein, aber sie ist vermutlich nicht die beste. Im Präsidentschaftswahlkampf 2020 scheiterte sie früh und offenbarte dabei Führungsschwächen. Auch der Beginn ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin verlief schwierig. Sie zeigte sich nicht sehr mediengewandt, und ihre teilweise fahrigen Auftritte wirkten wenig charismatisch. Zudem stellt sich die Frage, ob Amerika bereit ist, das Experiment mit der ersten dunkelhäutigen Frau im Weissen Haus gerade jetzt zu wagen. Mit den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine sowie der Bedrohung durch China scheint die Welt derzeit sehr unsicher zu sein. Trump betont immer wieder, dass es nun eine starke und kämpferische Person brauche, um den ausländischen Autokraten die Stirn zu bieten.
Die Rolle als Amtsträgerin könnte für Harris zudem auch ein Nachteil sein. Trump und sein Wahlkampfteam machen die Vizepräsidentin bereits jetzt für den grossen Zustrom von Migranten über die Südgrenze mitverantwortlich. Biden hatte Harris zu Beginn ihrer Amtszeit damit beauftragt, die Wurzeln der Zuwanderung in den Herkunftsländern anzugehen. Schnelle Resultate konnte sie dabei nicht erzielen. Die Republikaner machten sich über Harris lustig. Sie bezeichneten sie als Bidens «Grenz-Zarin» und «Architektin der Migrationskrise».
Ob mit Harris oder einem anderen Kandidaten – die Demokraten müssen nun Historisches leisten, um die Präsidentschaftswahl im November zu gewinnen. Noch nie in der amerikanischen Geschichte ist ein Präsident so spät aus dem Rennen um das Weisse Haus ausgestiegen. Der Historiker Allan Lichtman bezeichnete die Kritik der Demokraten an Biden als «törichte, selbstzerstörerische Eskapade». Lichtman hat eine Methode entwickelt, mit der er den Sieger der amerikanischen Präsidentschaftswahlen über Jahrzehnte zuverlässig voraussagte. Auch seiner Meinung nach ist nun die Vizepräsidentin Harris die beste Alternative für die Demokraten.
Trump tritt gegen Biden nach
Allerdings könnte die Geschichte in diesem Wahlkampf ein schlechter Ratgeber sein. Denn auch Donald Trump ist ein fast einzigartiges Phänomen. Im Grunde ist er ein schwacher Kandidat. Gemäss einer aktuellen YouGov-Umfrage lag Trump gegenüber Biden zwar in allen wichtigen Swing States in Führung. Bei den Senatswahlen in diesen Gliedstaaten sieht es indes anders aus. In diesen Rennen führen überall die demokratischen Kandidaten. Nicht Bidens politische Inhalte schienen deshalb sein grösstes Problem zu sein, sondern seine zunehmende Gebrechlichkeit.
Genau gleich wie Biden ist der 78-jährige Trump bei einer Mehrheit der Amerikaner unbeliebt. Ungefähr ein Drittel seiner eigenen Partei hätte sich einen anderen Kandidaten gewünscht. Auch wenn viele Konservative es nicht öffentlich sagen, machen auch sie sich Sorgen um die amerikanische Demokratie und das transatlantische Bündnis, sollte Trump ins Weisse Haus zurückkehren.
Die 59-jährige Harris könnte den Amerikanern den Generationenwechsel anbieten, den sich alle wünschen. Vor allem wenn sie sich etwa einen noch jüngeren, moderaten und weissen Mann wie den Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, zur Seite stellen würde, könnte sie damit eine breite Wählerschicht ansprechen. Sie mag vielleicht nicht die stärkste Kandidatin sein, aber um Trump zu schlagen, könnte es womöglich dennoch reichen. Biden pflegte selbst zu sagen: «Vergleicht mich nicht mit dem Allmächtigen, vergleicht mich mit der Alternative.»
Auch Trump muss sich nun in seinem Wahlkampf neu orientieren. Es ist kein Geheimnis, dass er und sein Team wünschten, dass der greise Biden im Rennen bleiben möge. Bevor er aber in die Zukunft blickte, teilte Trump nochmals gegen Biden aus. Dieser sei nie wirklich fit gewesen, um Präsident zu sein, schrieb er in einem Spendenaufruf. «Das Washingtoner Establishment, die Amerika hassenden Medien und der korrupte tiefe Staat taten alles, um Biden zu schützen, aber er zog sich gerade auf völlig schändliche Weise aus dem Rennen zurück.»
Biden dürfte bestimmt noch lange brauchen, um diese persönliche Niederlage zu verarbeiten. Sollte Trump im November gewinnen, wird man ihn künftig dafür mitverantwortlich machen. Im Rückblick erweist es sich als grosser Fehler, dass er nach den Zwischenwahlen vor zwei Jahren nicht bereits auf die Wiederwahl verzichtet und den Weg für die nächste Generation frei gemacht hat.