Trotz den Erfahrungen mit der Coronapandemie werden derzeit in den USA die grundlegenden Massnahmen zur Eindämmung einer Tierseuche missachtet. Statt das Virus auszumerzen, wird ihm die Möglichkeit gewährt, sich an Menschen anzupassen.
In den USA grassiert in Milchkuhbetrieben ein Vogelgrippevirus vom Typ H5N1. Und die zuständigen Behörden handeln fahrlässig. Sie missachten die weltweit allgemein anerkannten Regeln, um eine ansteckende Erkrankung in einem Nutztierbestand einzudämmen. Offenbar haben die Verantwortlichen in den USA das Handbuch der Seuchenbekämpfung nicht gelesen.
Es ist nämlich durchaus möglich, den Ausbruch jetzt schnell einzudämmen. Die dafür notwendigen Instrumente sind vorhanden. Auch in den USA.
Kein Experte hatte erwartet, dass Rinder überhaupt durch das Vogelgrippevirus H5N1 angesteckt werden können. Daher ist es verständlich, dass bei den ersten Kühen mit Anzeichen für eine Euterentzündung nicht sofort auf H5N1 getestet wurde. Aber es hätte schneller erledigt werden müssen. Die genetischen Daten geben an, dass bereits im Dezember 2023 erstmals das Vogelgrippevirus auf eine Milchkuh übersprang. Doch als Verursacher identifiziert hat man das Virus erst im März 2024.
Niemand kennt die Übertragungswege im Stall
Nach wie vor kann niemand sagen, wie ein Ausbruch auf einem landwirtschaftlichen Betrieb wirklich abläuft. Es fehlen alle nötigen Daten dafür. Doch nur wenn man die Übertragungswege kennt, kann man sie unterbinden.
Daher müsste unbedingt jedes Tier eines betroffenen Betriebes daraufhin untersucht werden, ob es im Euter sowie im Nasenrachenraum die Vogelgrippeviren aufweist. Des Weiteren müssen Melkgeschirre, Futtervorräte und auch das für die Reinigung verwendete Wasser überprüft werden.
Ja, das wäre ein erheblicher Testaufwand. Aber die Tests an sich stehen zur Verfügung, sie müssen – im Gegensatz zum Beginn der Corona-Pandemie – nicht erst entwickelt werden. Und ja, es werden grosse Laborkapazitäten benötigt. Doch die sollten eigentlich nach der Pandemie vorhanden sein oder zumindest schnell hochgefahren werden können.
Auch epidemiologische Daten müssen detailliert analysiert werden. Da zählen die zeitliche Abfolge der Infektionen, die räumliche Verteilung im Stall oder ob nur milchgebende Kühe oder auch andere Tiere infiziert wurden. Dazu müssten allerdings Farmer und externe Kontrolleure transparent zusammenarbeiten.
In vielen Ländern Europas werden Nutztierbetriebe mit Virenausbrüchen gesperrt. Das heisst, kein Tier, kein Futter, nichts darf den Hof verlassen. In den USA hingegen werden nach wie vor Milchkühe von betroffenen Farmen munter durch die Gegend kutschiert. Erst seit wenigen Tagen müssen Tiere von solchen Höfen zuvor getestet werden.
Die Behörden versichern treuherzig – und scheinheilig –, dass für Konsumenten ja kein Risiko bestehe. Denn nur Milch von absolut gesunden Kühen dürfe an Molkereien geliefert werden. Die Realität sieht aber völlig anders aus: In zahlreichen Milchtüten aus ganz normalen Supermärkten fanden Forscher Virusfragmente. Notabene stiessen sie auch in Gliedstaaten, die offiziell keine H5N1-infizierten Milchkühe aufweisen, auf kontaminierte Milch.
Pasteurisierte Milch ist zwar gemäss Tests nicht gefährlich für die Konsumenten. Aber die Funde bedeuten, dass der Ausbruch viel grösser ist als derzeit angenommen. Denn in Molkereien wird Milch aus mehreren Betrieben gemischt. Wenn also trotz der Verdünnung Virusfragmente in Supermarktmilch herumschwimmen, scheiden offenbar viele Kühe viele Viren in die Milch aus. Um einen Überblick über das wahre Ausmass der Epidemie zu bekommen, müssen Milchproben aus Tankwagen getestet werden.
Droht eine neue Pandemie?
Die Forderungen sind keineswegs Panikmache. Die Tatsache, dass eine als unempfindlich geltende Tierart erstens von dem H5N1-Virus infiziert und zweitens das Virus zwischen den Artgenossen weitergegeben wird, weckt Befürchtungen.
Hat sich das Vogelgrippevirus bereits so verändert, dass es nun leichter Säugetiere anstecken kann? Ist es gar gerade dabei, sich auch an den Menschen anzupassen? Das weiss keiner.
Daher dürfen wir dem Virus nicht weiterhin zahllose Möglichkeiten geben, um von Kühen auf Menschen überzuspringen. Es gab bereits vereinzelt solche Zoonose-Ereignisse. Doch je mehr es werden, desto grösser wird die Gefahr einer Pandemie.